Peters Lebensart
Die magische Knolle
Das Trüffel-Geschnüffel von Schweinen ist nur noch Folklore. Für das Aufspüren der kostbaren Knollen kommen heute Hunde zum Einsatz.
Als ich Kind war und versuchte, mir die Welt zu erlesen, schienen mir Trüffel eine geheimnisvolle Speise aus längst entschwundenen feudalen Zeiten. Trüffel schmausten beleibte Barockbischöfe im Périgord oder Pariser Gourmets in den Romanen Balzacs. Ein absolutes Exoticum. Meine ersten habe ich gegessen, als ich in Perugia Italienisch lernte. Umbrien ist ein Paradies für Feinschmecker. Im nördlichen Hügelland um Gubbio erschnüffeln Hunde die kostbaren weißen tartufi, während die Sibyllinischen Berge um das benediktinische Norcia schwarze liefern. Damals begriff ich auch den sensorischen Unterschied: Weiße Trüffel werden frisch über zarte Speisen wie Tagliatelle, Eierpfännchen oder hauchdünnes Carpaccio gehobelt, um ihr feines, betörendes Aroma voll zur Geltung zu bringen. Bei schwarzen Varianten gilt es, zwischen dem geschätzten Wintertrüffel tartufo pregiato und dem weniger geschmacksintensiven deutlich preisgünstigeren Sommertrüffel zu unterscheiden. Letzterer eignet sich besser für Saucen als die mit Knoblauch und Olivenpaste vermengte salsa francescana oder für den köstlichen, trüffelgeäderten Moliterno-Käse.
Rangieren die Eichenwälder Umbriens, der Südtoskana und der Marken immer noch als Geheimtipp, so hat das Piemont mit seiner spätherbstlichen Trüffelmesse in Alba längst Kultstatus – auch weil hier die meisten Exemplare des kostbaren weißen Trüffels tuber magnatum pico gefunden werden: Kilopreis ab 3000 Euro, in einem Gourmettempel wie Peck in Mailand kann die Taxe auch mal auf 8000 steigen. Im Klartext: Über ein Gericht sollte man sich 15 bis 20 Gramm hobeln lassen, muss also mindestens 40 bis 50 Euro anlegen. Umbrische StaunRezepte wie der ganze mit Speck umwickelte Trüffel in Saubohnensuppe beziehen sich auf schwarze Trüffel.
Italiens tartufi werden von Hunden erschnüffelt, während in der klassischen Trüffelregion Frankreichs, dem Périgord, noch die letzten Trüffelschweine im Einsatz sind – zumindest für Fernsehauftritte und Touristen. Schweine haben angeblich eine noch feinere Trüffelnase als Hunde und werden vom Duft, der Sexuallockstoffen gleicht, magisch angezogen – wie manche Gourmets, die Trüffel als Aphrodisiakum preisen. Das Problem: Die Schweine fressen den Fund gern selbst auf und zerwühlen das Erdreich dermaßen, dass ihr Einsatz in Italien seit Jahrzehnten verboten ist. Auch Bruno, „chef de police“, setzt in Martin Walkers Périgord-Krimis folgerichtig auf seinen Trüffelhund Gigi.
Mich hat überrascht, wo sich überall Trüffel finden. Am Monte Baldo am Gardasee ebenso wie in Istrien, das sich mit weißen Trüffeln einen Ruf als Gourmet-Destination erarbeitet hat. Sogar im Fichtelgebirge gibt es wenig geschmacksintensive Schiefertrüffel. Chinesische und syrische Wüstentrüffel finden Abnehmer in der Lebensmittelindustrie.
Die horrenden Preise reizen zu Fälschungen – oder Züchtungen. Zuchtsets ohne Gelinggarantie lassen sich für schwarze Trüffel im Netz bestellen, die Versuche mit weißen stecken in den Kinderschuhen. Wie auch immer, die Zuchterfolge reichen bei Weitem nicht, um genug Rohstoff für den allgegenwärtigen Trüffelboom zu liefern. Chips oder Pizza mit Trüffelöl sind häufiger, als der durchschnittliche Konsument denkt, mit synthetischen Ersatzstoffen getränkt. Echte Trüffel statt Surrogaten werden ein kostspieliges Vergnügen für nicht alle Tage bleiben. Als kleinen Trost für zwischendurch empfehle ich eine Turiner Finesse: tartufo al tartufo – ein Schokotrüffel mit Spänen vom schwarzen Trüffel aromatisiert.
Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.
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