Peters Lebensart
Geheimnisvolle Zitrusfrüchte
Im November beginnt die Erntezeit für Bergamotten
Earl Grey Tee hatte ich schon einmal getrunken und das Wort Bergamotte in französischen Boudoir-Romanen aufgeschnappt. Als Student auf Türkeiexkursion fand ich in meinem archäologischen Führer verwirrende Hinweise, um was es sich dabei eigentlich handelte. Da stand etwas von Bergamottebirnen und Zitrusfrüchten und dass der Name eventuell vom antiken Pergamon herrühre. Aber ich war zu sehr auf Tempel und Theater konzentriert, um diesem Mythos nachzugehen. Intensiv kosten konnte ich in Nancy, der lothringischen Residenz des exilierten Polenkönigs Stanislaus I. Leszczyński. Hier verkaufen Confiserien Nostalgie-Döschen voller Berga mottenbonbons, angeblich Lieblingsschleckerei des dicken „bon roi“. Sogar seine Ur-Madeleines sollen mit BergamotteKonfitüre gefüllt gewesen sein.
Richtig die Augen geöffnet wurden mir in Grasse, der französischen Kapitale der Düfte, berühmt durch Patrick Süßkinds Bestseller Das Parfüm. Bergamottenöl mit zwischen Weihrauch und Limonen changierenden Noten ist eine der apartesten Ingredienzien der HespéridesParfums, die auf Agrumentönen basieren. Die Wiege dieser Idee stand in Köln. „Ich habe einen Duft gefunden, der mich an einen italienischen Frühlingsregen erinnert, an Bergnarzissen, Orangenblüten kurz nach dem Regen“ schwärmte 1708 Johann Maria Farina über sein bahnbrechendes Bergamottenbouquet, das er nach seinem Wohnort Eau de Cologne benannte.
Doch bisher hatte ich noch nie diese legendäre Zitrusfrucht in der Hand gehalten. Das sollte sich ändern, als ich für mein neues Buch die kalabresische Südspitze Italiens abfuhr. Eine touristisch vergessene Gegend, Schlaglöcher und viel Gastarbeiterbeton, dafür kulinarisch eine Offenbarung. Hier wird Pasta aus antiken Weizensorten handgeknetet, werden Wildartischocken gesammelt und gedeihen in tiefeingeschnittenen Tälern der Ionischen Küste Bergamotten. Im idyllischen Agriturismo Il Bergamotto darf ich an einer grünen Frucht kratzen und schnüffeln und erfahre bei einem Glas Bergamottensaft, dass sich in diesem Biotop weltweit einzigartige olfaktorische Qualitäten entwickeln, was dem Zusammenspiel von Wasserreichtum, südlicher Sonne und fächelnden Seewinden bei geschützter Lage zu danken ist.
Szenenwechsel nach Reggio, der Jugendstilstadt an der Straße von Messina. Das Museo del Bergamotto vermittelt Einblicke in die Goldenen Jahrhunderte dieser Kultur (ca.1750–1950). Die feine Welt riss sich um den Modeduft. Die flüchtigen Essenzen wurden nachts mit Schwämmen aus der aufgerauten Schale gepresst. Sie galten als so kostbar, dass die Trägerinnen sich heftiger in den Hüften wiegten, damit durch natürlichen Abrieb einige Tropfen in ihren Kopftüchern landeten, die sie gewinnbringend verkaufen oder als Volksmedizin gebrauchen konnten. Denn Bergamotte gilt als Wunderwaffe gegen Bluthochdruck, Cholesterin, Fettleber und Entzündungen.
Mit dem Aufkommen synthetischer Ersatzstoffe endete dieser Boom in den 1970ern. Die Gärten verwilderten, bis man darauf verfiel, die vorher zu teuren Früchte in der Küche einzusetzen. Die Ideen sprudeln, vom Bergamottensekt bis zum Spritz mit Bergamottenlikör, von Gelato bis zur mit kandierten Schnitzen gespickten Mortadella. Nicht nur in der Cocktail-Mixology hat sich Kalabriens Vorzeigefrucht in einer Liga mit angesagten Edelagrumen wie Sudachi, Yuzu, Zitronatzitronen oder echten Mandarinen etabliert. Ach ja, der Name. Der kommt vermutlich aus dem Türkischen und dürfte auf die Ähnlichkeit mit der Prinzen- oder Bergamottbirne „beg armudi“ zurückgehen.
Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.
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