Das Germanische Nationalmuseum zeigt die grösste Dürer-Ausstellung in Deutschland seit 40 Jahren
Frühe Bilder eines alten Meisters
Als berühmtester deutscher Maler bildet Albrecht Dürer einen Schwerpunkt in der Sammlung des Germanischen Nationalmuseums (GNM) in Nürnberg. Nur hier, im größten kulturhistorischen Museum des deutschen Sprachraums, kann der Besucher ganzjährig Dürer sowohl als Maler und Graphiker als auch als Lehrer und Entwerfer kennenlernen. Und eben hier hängt in der Dauerausstellung „Renaissance. Barock. Aufklärung“ auch das Bildnis von Dürers Mutter Barbara. Die Diskussion, ob Dürer der Autor sein könnte, kam in der kunsthistorischen Forschung erst am Ende der 1970er Jahre auf, eine kunsttechnologische Untersuchung des Gemäldes im Jahre 1998 brachte Sicherheit. Seitdem galt das Bildnis der Mutter als Opus 1, das in der Zuschreibung unbestrittene Porträt des Vaters (heute in den Uffizien zu Florenz) als Opus 2. Die Neubewertung hat ein internationales Forschungsprojekt am GNM ausgelöst, das sich drei Jahre lang auf das Frühwerk Dürers konzentrierte. Und noch einmal stand die Mutter auf dem Prüfstand mit dem Ergebnis: Dürer malte zuerst den Vater und dann die Mutter. So gibt es noch immer Sensationelles zu entdecken im Werk eines Künstlers, dessen kunsthistorische Erforschung bereits Regalmeter füllt.
Zur Neuentdeckung des vermeintlich allseits bekannten Dürers lädt das Germanische Nationalmuseum vom 24. Mai bis 2. September ein. Die Ausstellung „Der frühe Dürer“ präsentiert die Ergebnisse des Forschungsprojektes, in dem sich unterschiedliche Fachdisziplinen mit moderner Technik und klassischem Archivstudium, mit forschendem Blick auf Originalobjekt und Originalort erstmals dem Frühwerk Albrecht Dürers widmen.
Die Ausstellung versammelt über 200 Werke aus den bedeutendsten Museen der Welt. Viele Werke sind zum ersten Mal gemeinsam ausgestellt und geben eine Vorstellung vom künstlerischen Klima in Nürnberg um 1500. Vier Ausstellungssektionen schlagen den Bogen von Biografie und sozialem Umfeld über die Kernphänomene des Frühwerks bis zur Frage nach Dürers Rolle als Archetyp des modernen Künstlers.
Ich und mein „Herkumen“
Dürer wird nicht als voraussetzungsloser Neuerer und als isoliertes Genie betrachtet. Vor dem Hintergrund einer lebendigen Kultur von Selbst- und Familienzeugnissen in Nürnberg in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts erschließen sich Dürers Selbstbildnisse, seine Bilder von Eltern und Freunden neu. Dürer reagiert als Maler auf eine bereits Jahrzehnte gepflegte Tradition schriftlicher Selbstdokumentation in Form verschiedenster „Ego-Dokumente“. Im Ambiente der Burgstraße erfuhr Dürer auch seine wesentlichen künstlerischen Prägungen. Die Ausstellung versammelt dazu einige Schlüsselwerke jener Maltradition, die in der Pleydenwurff-Wolgemut-Werkstatt bereits seit 1460 buchstäblich zwei Häuser von Dürers Vaterhaus entfernt entwickelt worden war. Eine zentrale Rolle spielte dabei Hans Pleydenwurff, der während seiner Ausbildung in den Niederlanden mit den letzten Innovationen der Kunst konfrontiert worden war. Eine neue, auf die Handlung individualisierter Personen ausgerichtete Dramaturgie prägte seine großen Altarbilder, Naturnähe zeichnete seine Pflanzen-, Tier- und Landschaftsdarstellungen aus, und mit seiner naturalistischen Porträtkunst schuf er Spitzenwerke. Mit diesen Neuerungen beeinflusste Pleydenwurff sowohl den Werkstattnachfolger Michael Wolgemut als auch dessen Schüler Albrecht Dürer.
Dessen Leistung wird durch die Konfrontation mit diesen Vorbildern in keiner Weise geschmälert, sondern gewinnt schärfere Konturen. So knüpft Dürer motivisch immer wieder an die Tradition an und geht im Drang nach Perfektionierung auf der Basis eines intensiven Naturstudiums gleichzeitig über sie hinaus. Sein Ziel ist es, damit eine neue, dauerhaft mit einem Künstlernamen verbundene, vorbild- und beispielhafte Kunst zu begründen. Diese Kunst findet in den fulminanten Aquarell- und Deckfarbenstudien ihren Ausdruck, in denen die künstlerisch adäquate Umsetzung der Natur als Lehrerin des Künstlers sichtbare Gestalt angenommen hat. Auch in der Auseinandersetzung mit den Werken seiner großen Vorbilder perfektioniert Dürer die künstlerischen Mittel. Mit einzelnen Werken Martin Schongauers oder Andrea Mantegnas setzte er sich direkt auseinander, kopierte sie nicht nur, sondern versuchte, sie zu übertreffen.
Der Dramatiker
Der Maler müsse „inwendig voller figur“ sein, schreibt Dürer in seinem Entwurf für ein Lehrbuch der Malerei. Diesen Anspruch löste er selbst schon in jungen Jahren ein. Vor allem sein erstes veröffentlichtes Buch, die „Apokalypse“, begründete seinen Ruhm als herausragender bildgewaltiger Dramatiker. Wie ein Regisseur inszenierte er die Visionen des Johannes und setzte dem Text eine eigene bildliche Dramaturgie entgegen. Auch in den Blättern, welche die neuen Sujets der antiken Mythologie abbilden, zeigen sich Erfindungsreichtum und Gespür für dramatische Effekte. Es gelingt Dürer, selbst bei schwierigen literarischen Vorlagen, eine spannende Bildlösung zu finden, die für den Betrachter nicht immer leicht zu entschlüsseln ist. Auch in seinen Gemälden verdichtete Dürer die Handlung auf wenige Akteure und einen entscheidenden Moment. Sein Interesse galt hier vor allem der Gestaltung von Oberflächen, die er so realistisch wie möglich abzubilden versuchte und die Farbe dafür auch mit Pinselstiel, Fingern und Handballen oder aufgespritztem Lösungsmittel bearbeitete.
Sein ganzes Leben suchte Dürer eine Antwort auf die Frage, was Kunst sei. Die Suche nach einer Antwort führte ihn zu neuen Entdeckungen und unablässigem Streben nach künstlerischer Perfektion. In der Nachahmung der Natur und in den Gesetzmäßigkeiten der Proportion suchte Dürer Kriterien für eine gute Kunst. Ihr Wert liegt nicht im Preis, in der Größe oder im Zeitaufwand, sondern im ideellen Gehalt. Eine schnelle Skizze konnte demnach mehr wert sein als eine große Altartafel. Mit dieser Auffassung ebnete Dürer den Weg zu einem modernen Kunst- und Künstlerverständnis. Gleichzeitig setzte er das handwerkliche Prinzip außer Kraft, das Zeitaufwand mit Könnerschaft und Qualität gleichsetzt.
Faszinierend ist es, dass der Einsatz modernster kunsttechnologischer Untersuchungsverfahren neue Urteile über Dürer als Maler erlaubt. Alte Kontroversen über Zuschreibungen werden hinfällig – wie am Beispiel des Bildnisses der Mutter gesehen, wenn mittels Infrarotreflektografie unter der sichtbaren Maloberfläche eine andere Entwerferhand erkennbar wird. Und der nahe Blick der Makrofotografie lässt Dürers – nicht immer unbestrittene – malerische Qualitäten neu erkennen. Der Besucher kann selbst in die Rolle des Forschers schlüpfen und sich im Dürer-Labor Fragen widmen, die da lauten: „Welche Lebensmodelle seiner Nachbarn haben ihn geprägt?“; „Was ist dran an Dürers Einzigartigkeit?“; „War er mehr weltfremder Künstler oder handfest kalkulierender Unternehmer und wie arbeitete er selbst an seinem Ruhm?“ oder „Wie hat die Nachwelt unser Idealbild von ihm geprägt?“
AD – Alles Dürer
Die jüngeren Forscher sind eingeladen, im Aktionsraum des Kunst- und Kulturpädagogischen Zentrums der Museen in Nürnberg (KPZ) an den neuesten Ergebnissen der Dürerforschung teilzuhaben. Hinter dem großen Namen „Dürer“ soll der Mensch, der einmal Kind und Jugendlicher, Auszubildender, Suchender und ein Mann mit Geschäftssinn war, lebendig werden. 250 Quadratmeter Dürer zum Anfassen und Ausprobieren. „Erzählende Glasstürze“, eine Kissen-Knautschzone, eine Landschafts- und Monsterwerkstatt, ein Silberstift, spiegelnde Metalle, ein Hirschkäfer in Acryl: Die Annäherung an den großen Meister gelingt auf vielerlei Art. Kinder und Erwachsene können hier Kunst auf feinsinnige und unterhaltsame Weise erfahren und sich als Team ergänzen.
Der Artikel basiert auf den Begleittexten der Ausstellungs-kuratoren Daniel Hess und Thomas Eser.
Zur Neuentdeckung des vermeintlich allseits bekannten Dürers lädt das Germanische Nationalmuseum vom 24. Mai bis 2. September ein. Die Ausstellung „Der frühe Dürer“ präsentiert die Ergebnisse des Forschungsprojektes, in dem sich unterschiedliche Fachdisziplinen mit moderner Technik und klassischem Archivstudium, mit forschendem Blick auf Originalobjekt und Originalort erstmals dem Frühwerk Albrecht Dürers widmen.
Die Ausstellung versammelt über 200 Werke aus den bedeutendsten Museen der Welt. Viele Werke sind zum ersten Mal gemeinsam ausgestellt und geben eine Vorstellung vom künstlerischen Klima in Nürnberg um 1500. Vier Ausstellungssektionen schlagen den Bogen von Biografie und sozialem Umfeld über die Kernphänomene des Frühwerks bis zur Frage nach Dürers Rolle als Archetyp des modernen Künstlers.
Ich und mein „Herkumen“
Dürer wird nicht als voraussetzungsloser Neuerer und als isoliertes Genie betrachtet. Vor dem Hintergrund einer lebendigen Kultur von Selbst- und Familienzeugnissen in Nürnberg in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts erschließen sich Dürers Selbstbildnisse, seine Bilder von Eltern und Freunden neu. Dürer reagiert als Maler auf eine bereits Jahrzehnte gepflegte Tradition schriftlicher Selbstdokumentation in Form verschiedenster „Ego-Dokumente“. Im Ambiente der Burgstraße erfuhr Dürer auch seine wesentlichen künstlerischen Prägungen. Die Ausstellung versammelt dazu einige Schlüsselwerke jener Maltradition, die in der Pleydenwurff-Wolgemut-Werkstatt bereits seit 1460 buchstäblich zwei Häuser von Dürers Vaterhaus entfernt entwickelt worden war. Eine zentrale Rolle spielte dabei Hans Pleydenwurff, der während seiner Ausbildung in den Niederlanden mit den letzten Innovationen der Kunst konfrontiert worden war. Eine neue, auf die Handlung individualisierter Personen ausgerichtete Dramaturgie prägte seine großen Altarbilder, Naturnähe zeichnete seine Pflanzen-, Tier- und Landschaftsdarstellungen aus, und mit seiner naturalistischen Porträtkunst schuf er Spitzenwerke. Mit diesen Neuerungen beeinflusste Pleydenwurff sowohl den Werkstattnachfolger Michael Wolgemut als auch dessen Schüler Albrecht Dürer.
Dessen Leistung wird durch die Konfrontation mit diesen Vorbildern in keiner Weise geschmälert, sondern gewinnt schärfere Konturen. So knüpft Dürer motivisch immer wieder an die Tradition an und geht im Drang nach Perfektionierung auf der Basis eines intensiven Naturstudiums gleichzeitig über sie hinaus. Sein Ziel ist es, damit eine neue, dauerhaft mit einem Künstlernamen verbundene, vorbild- und beispielhafte Kunst zu begründen. Diese Kunst findet in den fulminanten Aquarell- und Deckfarbenstudien ihren Ausdruck, in denen die künstlerisch adäquate Umsetzung der Natur als Lehrerin des Künstlers sichtbare Gestalt angenommen hat. Auch in der Auseinandersetzung mit den Werken seiner großen Vorbilder perfektioniert Dürer die künstlerischen Mittel. Mit einzelnen Werken Martin Schongauers oder Andrea Mantegnas setzte er sich direkt auseinander, kopierte sie nicht nur, sondern versuchte, sie zu übertreffen.
Der Dramatiker
Der Maler müsse „inwendig voller figur“ sein, schreibt Dürer in seinem Entwurf für ein Lehrbuch der Malerei. Diesen Anspruch löste er selbst schon in jungen Jahren ein. Vor allem sein erstes veröffentlichtes Buch, die „Apokalypse“, begründete seinen Ruhm als herausragender bildgewaltiger Dramatiker. Wie ein Regisseur inszenierte er die Visionen des Johannes und setzte dem Text eine eigene bildliche Dramaturgie entgegen. Auch in den Blättern, welche die neuen Sujets der antiken Mythologie abbilden, zeigen sich Erfindungsreichtum und Gespür für dramatische Effekte. Es gelingt Dürer, selbst bei schwierigen literarischen Vorlagen, eine spannende Bildlösung zu finden, die für den Betrachter nicht immer leicht zu entschlüsseln ist. Auch in seinen Gemälden verdichtete Dürer die Handlung auf wenige Akteure und einen entscheidenden Moment. Sein Interesse galt hier vor allem der Gestaltung von Oberflächen, die er so realistisch wie möglich abzubilden versuchte und die Farbe dafür auch mit Pinselstiel, Fingern und Handballen oder aufgespritztem Lösungsmittel bearbeitete.
Sein ganzes Leben suchte Dürer eine Antwort auf die Frage, was Kunst sei. Die Suche nach einer Antwort führte ihn zu neuen Entdeckungen und unablässigem Streben nach künstlerischer Perfektion. In der Nachahmung der Natur und in den Gesetzmäßigkeiten der Proportion suchte Dürer Kriterien für eine gute Kunst. Ihr Wert liegt nicht im Preis, in der Größe oder im Zeitaufwand, sondern im ideellen Gehalt. Eine schnelle Skizze konnte demnach mehr wert sein als eine große Altartafel. Mit dieser Auffassung ebnete Dürer den Weg zu einem modernen Kunst- und Künstlerverständnis. Gleichzeitig setzte er das handwerkliche Prinzip außer Kraft, das Zeitaufwand mit Könnerschaft und Qualität gleichsetzt.
Faszinierend ist es, dass der Einsatz modernster kunsttechnologischer Untersuchungsverfahren neue Urteile über Dürer als Maler erlaubt. Alte Kontroversen über Zuschreibungen werden hinfällig – wie am Beispiel des Bildnisses der Mutter gesehen, wenn mittels Infrarotreflektografie unter der sichtbaren Maloberfläche eine andere Entwerferhand erkennbar wird. Und der nahe Blick der Makrofotografie lässt Dürers – nicht immer unbestrittene – malerische Qualitäten neu erkennen. Der Besucher kann selbst in die Rolle des Forschers schlüpfen und sich im Dürer-Labor Fragen widmen, die da lauten: „Welche Lebensmodelle seiner Nachbarn haben ihn geprägt?“; „Was ist dran an Dürers Einzigartigkeit?“; „War er mehr weltfremder Künstler oder handfest kalkulierender Unternehmer und wie arbeitete er selbst an seinem Ruhm?“ oder „Wie hat die Nachwelt unser Idealbild von ihm geprägt?“
AD – Alles Dürer
Die jüngeren Forscher sind eingeladen, im Aktionsraum des Kunst- und Kulturpädagogischen Zentrums der Museen in Nürnberg (KPZ) an den neuesten Ergebnissen der Dürerforschung teilzuhaben. Hinter dem großen Namen „Dürer“ soll der Mensch, der einmal Kind und Jugendlicher, Auszubildender, Suchender und ein Mann mit Geschäftssinn war, lebendig werden. 250 Quadratmeter Dürer zum Anfassen und Ausprobieren. „Erzählende Glasstürze“, eine Kissen-Knautschzone, eine Landschafts- und Monsterwerkstatt, ein Silberstift, spiegelnde Metalle, ein Hirschkäfer in Acryl: Die Annäherung an den großen Meister gelingt auf vielerlei Art. Kinder und Erwachsene können hier Kunst auf feinsinnige und unterhaltsame Weise erfahren und sich als Team ergänzen.
Der Artikel basiert auf den Begleittexten der Ausstellungs-kuratoren Daniel Hess und Thomas Eser.
Dr. Andrea Langer ist Kunsthistorikerin und Kulturmanagerin. Sie leitet seit 2008 das Referat Wissensmanagement und Marketing am Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg. gnm.de