"Für die meisten ist das eine Existenzfrage"
Alexander Ostrovski (RC Dortmund-Romberg) ermöglicht ukrainischen, musikalisch hochbegabten Kindern und Jugendlichen die Fortsetzung ihrer Ausbildung an der Dortmunder Phoenix-Musikakademie, die er 1998 gründete — mit großer Hilfsbereitschaft der rotarischen Freunde.
Herr Ostrovski, Sie sind selbst Musiker und künstlerischer Leiter der Phoenix-Musikakademie in Dortmund und auf der Krim geboren. Sind Sie durch die Musik nach Deutschland gekommen? Wann war das?
Ja, durch die Musik und durch die damalige Situation in meinem Heimatland. Das war im Jahr 1990.
Wo ist Ihre Heimat?
Wenn ich gefragt werde, ob ich in der Ukraine oder in Russland geboren wurde, dann muss ich nachdenken. Ich bin 1961 auf der Krim geboren, ich stamme aus einer jüdischen Familie. Zu diesem Zeitpunkt war die Krim noch die Sowjetunion. Seit 1964 gehörte die Krim zur Ukraine. Mein halbes Leben habe ich in Moskau verbracht. Wer bin ich eigentlich? Ich habe in Moskau am Konservatorium studiert und unter meinen Kollegen waren Russen und Ukrainer aus dem ganzem Land. Das spielte keine Rolle. Die russisch-ukrainische Kultur mit solchen Namen wie Tschaikowsky, Puschkin, Dostojewski oder Tolstoy, aber auch Nikolai Gogol, Taras Schewtschenko, ist eine Kultur mit humanistischen Werten, die auf der ganzen Welt bekannt ist, und die am 24. Februar durch den Angriff auf die Ukraine einfach zertreten wurde – mit einem Schlag. Ich fühle mich persönlich angegriffen durch diesen schrecklichen Krieg.
Was haben Sie in dem Moment gedacht?
Die ersten Tage war ich einfach nur schockiert. Dann war mein erster Gedanke, wie kann ich helfen?
Für wen engagieren Sie sich?
Ich habe sehr gute Freunde in Russland und ich habe sehr gute Freunde in der Ukraine. Von 2002 bis 2008 war ich auch beruflich dort tätig und habe mit dem ukrainischen nationalen Kammerorchester "Camerata Kiew" zusammengearbeitet, in dem auch russische Musiker gespielt haben. Ich habe mich entschlossen, mich zu spezialisieren und meinen Kollegen beziehungsweise künftigen Kollegen zu helfen. Es handelt sich um Schüler von speziellen Musikschulen in der Ukraine. Das Ausbildungsmodell dort ist ein bisschen abweichend vom deutschen. In der Musik beginnt die professionelle Ausbildung bei sehr begabten Kindern und Jugendlichen ganz früh in der 1. Klasse. An diesen Einrichtungen ist Musik das Hauptfach, während die anderen Fächer wie Mathematik und so weiter eher als Nebenfächer betrachtet werden. Das ist eine Art von beruflicher Ausbildung mit dem Ziel, Musik zu studieren. Unter diesen Schulen hat die Phoenix-Musikakademie, die ich 1998 in Dortmund gegründet habe, mehrere Partner.
Was erwartet die jungen Musiker hier?
Ich habe mit folgendem Angebot Kontakt zu den Direktoren aufgenommen: Solange unsere Kapazitäten es erlauben, nehmen wir die ukrainischen Musikschüler und -studenten auf, um ihre Ausbildung in erster Linie im Hauptfach aufrechtzuerhalten. Es wurde ein sehr gutes Modell dafür entwickelt. Sie bekommen bei uns den Instrumentalunterricht und gegebenenfalls ein Nebenfach wie zum Beispiel Harmonielehre, während sie den Unterricht in den anderen Fächern weiterhin online in der Ukraine bekommen.
Sind schon Kinder und Jugendliche angekommen?
Es sind schon über 40 angekommen. Die erste Frage, die mir die Eltern stellen, wenn sie mich anrufen, ist: "Können unsere Kinder die Ausbildung bei Ihnen fortsetzen?"
Ist das ein Herzenswunsch, der in diesen Familien an oberster Stelle steht?
Für die meisten ist das eine Existenzfrage. Sie legen sehr großen Wert auf kulturelle Werte. Und diese Ausbildung gehört dazu. Sie können sich ein Leben ohne Musik nicht vorstellen.
Ich möchte es an dieser Stelle nochmals betonen, es handelt sich um Kinder und Jugendliche, die man auf deutsch als musikalisch "hochbegabt" bezeichnen würde.
Dann ist es bei Ihnen in Dortmund ein glücklicher Ort für sie?
Ja, unsere Akademie hat ähnliche Strukturen. Wir unterrichten Musik mit entsprechenden Nebenfächern, damit diejenigen, die sich für eine musikalische Ausbildung entscheiden, mit dem Abschluss bei uns für die Aufnahmeprüfung an einer Musikhochschule komplett vorbereitet sind.
Welche Rückmeldung bekommen Sie von den Kindern und Jugendlichen?
Bis jetzt ist es uns gelungen, zum großen Teil mit Hilfe von vielen Rotariern sowie weiteren Service-Clubs, die wirklich großartiges Engagement gezeigt haben, alle sehr gut unterzubringen in Dortmund, privat in Familien. Die Kinder und Jugendliche sind bis jetzt ganz begeistert. Jetzt beginnen wir mit dem Unterricht.
Wie meistern Sie sprachliche Hürden?
Die Sprache ist ein großes Problem. Aber wir haben einige russisch-sprachige Dozenten, das macht die Sache etwas leichter. Und auf private Initiative von unseren Gastgebern wurden schon einige Sprachkurse eingerichtet und der Unterricht findet bereits statt. Ich bin sicher, in einigen Monaten können sie schon Deutsch sprechen und verstehen. Des Weiteren planen wir auch, einige aus der Ukraine geflohenen Musiklehrer bei uns zu beschäftigen.
Sind Rotarier unter den Gastgebern?
Ja, mehrere. Die Rotarier sind wirklich ausgesprochen hilfsbereit. Zum Beispiel hilft ein Reiseunternehmen denjenigen, die nach Deutschland wollen, beim Transport. Es werden Busse hingeschickt, es werden Plätze in den Bussen reserviert und die Kosten werden durch Rotarier übernommen. Und es wurden Wohnungen zur Verfügung gestellt. Mehrere von unseren Schülern sind in rotarischen Familien untergebracht. Ich muss sagen, bei manchen habe ich das Gefühl, dass sie adoptiert werden. So kümmern sich die Gastgeber um die Flüchtlinge. Es sind vom ersten Tag an familiäre Verhältnisse.
Sie leisten einen wertvollen Beitrag zur Völkerverständigung. Was ist Ihr Antrieb?
Ich möchte helfen. Und ich denke, am besten kann ich in meiner beruflichen Branche helfen, in dem ich meinen künftigen Kollegen die Fortsetzung ihrer Ausbildung ermögliche.
Mit Friedenskonzerten schlagen Sie eine Brücke zwischen Russland und der Ukraine.
Ja, wir organisieren und spielen eine Reihe von Friedenskonzerten, wo die Gelder zur Unterstützung von den Schülern und Studenten gesammelt werden. Und außerdem wollen wir durch ein entsprechendes Programm ein Zeichen setzen, dass dieser Krieg mit Problemen zwischen den Völkern oder Kulturen nichts zu tun hat. Deshalb spielen wir sehr oft in unseren Friedenskonzerten die Werke von Schostakowitsch, in denen mit einer unglaublichen Stärke die Schicksale von Menschen mit genau dieser Problematik angesprochen werden. Viele seiner Werke sind Opfern des Regimes im Zweiten Weltkrieg gewidmet. Und das ist leider eine sehr passende Gelegenheit, diese Werke nochmal öffentlich vorzutragen. Wir wollen möglichst viele Konzerte spielen und immer wieder dieses Thema ansprechen. Unter anderem ist ein Benefizkonzert am 6. Mai in Essen geplant. Ich werde versuchen, dass da einige ukrainische Schüler auftreten werden. Vielleicht möchten auch Rotarier in ihren Städten Benefizkonzerte veranstalten. Ich bin sehr offen für solche Vorschläge und sie können sich gerne bei mir melden.