Ganz neu, ganz mutig
73 Millionen Euro kostete die Rundumsanierung des Diözesanmuseums in Freising. Ein Rundgang durch zeitgenössische Kunst und Volksfrömmigkeit.
In Freising nördlich von München öffnete im Oktober 2022 das umgebaute Diözesanmuseum des Erzbistums München und Freising seine Pforten. Auf dem Domberg, welcher das kulturelle, künstlerische und religiöse Zentrum Altbayerns war, steht eines der größten religionsgeschichtlichen Museen der Welt und beherbergt nach den Vatikanischen Museen die zweitgrößte Kunstsammlung der katholischen Kirche. Der Sammlungsbestand umfasst über 40.000 Objekte aus allen Bereichen kirchlicher Kunst und Kultur mit Werken ab dem frühen fünften Jahrhundert bis zur zeitgenössischen modernen Kunst. Die Umbauarbeiten und die Neukonzeption dauerten vier Jahre – das Ergebnis ist beeindruckend.
Lichtdurchflutet und modern
Das neoklassizistische Gebäude im Stil von Leo von Klenze und Friedrich von Gärtner aus dem 19. Jahrhundert fügt sich in das bauliche Ensemble des Dombergs ein. Der moderne Umbau ist deutlich erkennbar. Besonders hervorzuheben sind vor allem die bis zum Boden gezogenen Brüstungen der ehemaligen Rundbogenfenster. Es entstanden verglaste Arkaden, die das Gebäude an allen Seiten rhythmisch gliedern. Mit den klaren Linien im Inneren besticht das barrierefreie Gebäude durch die Offenheit, funktionale Gliederung und die stringente Ausrichtung auf den zentralen Lichthof hin. Durch die geöffneten Wände und die Lichtdurchflutung entstehen neue Perspektiven und Transparenz nach innen und nach außen. Der Ausblick reicht bei gutem Wetter bis zur Frauenkirche in der Münchener Innenstadt.
Lichthof, Licht und Turrell
Sobald man im zentralen Lichthof im Erdgeschoss steht, ist ein Gang Richtung ehemaliger Hauskapelle unausweichlich. Hier wurde der kalifornische Installationskünstler James Turrell beauftragt, einen Lichtraum zu kreieren. Das Werk "A chapel for Luke and his scribe Lucius the Cyrene" ist eine raumübergreifende Lichtinstallation in Form eines Ganzfeldes. Dabei verschmelzen Farbe, Licht und Raum. Mit Betreten des Werkes können die Grenzen von Raum und Zeit aufgelöst werden. Das Farbspiel der Lichtinstallation kann auch vom ersten Stockwerk verfolgt werden und bietet dem Besucher mehrere Perspektiven an. Die Vorlage hierfür bildet die berühmte Lukas-Ikone aus der Schausammlung.
Ganz in weiß zeigt sich der zentrale Lichthof, ein großer Saal mit Säulen und Arkaden, der durch eine strukturbetonte Glas-Decke in Szene gesetzt wird. Der alte Leitspruch des ehemaligen Knabenseminars thront an der Frontalwand: TIMOR – DOMINI – PRINCIPIUM – SAPIENTIAE.
König Ludwig I. von Bayern gründete 1826 auf dem Domberg das Priesterseminar im Gebäude der ehemaligen Residenz, das königliche Lyceum (ab 1923 philosophisch-theologische Hochschule) zur Ausbildung der jungen Theologen und das passende Internat dazu, das Knabenseminar. Als 1968 die Priesterausbildung nach München verlegt wurde, wurde auch das Knabenseminar geschlossen und daraufhin 1974 das Diözesanmuseum Freising gegründet.
In der Mitte des Lichthofs wurden einige der alten Bodenfliesen erhalten. Hier ist anzumerken, dass im Rahmen der Sanierungsarbeiten des Diözesanmuseums Befunde aus der späten Linearbandkeramik, dem Frühneolithikum (5000 vor Christus), gefunden wurden.
Wegen ihres zentralen Standorts nicht zu übersehen ist die fünf Meter hohe Skulptur der belgischen Bildhauerin Berlinde de Bruyckere. Die Künstlerin setzte sich mit dem Bestand spätgotischer Skulpturen des Museums auseinander und schuf unter diesem Eindruck die überlebensgroße Bronze: Blei, belgischer Kalkstein, Stahl-Skulptur "Arcangelo (Freising)" – ein Erzengel.
Süd- und Nordseite
Auf der Südseite links vom Lichthof befindet sich der Münchener Saal mit dem Blick Richtung München. Hier wird die Geschichte des Museums auf großen Video-Screens erklärt. Auf der Nordseite rechts vom Lichthof im Freisinger Saal mit dem Blick auf die Freisinger Altstadt werden Kunstwerke von zeitgenössischen Künstlern gezeigt. Hier hängt eine Leihgabe des Künstlers Neo Rauch, der im Laufe dieses Jahres ein Gemälde extra für das Diözesanmuseum schaffen will. In der Entstehung befindet sich eine kleine Votivkapelle, für deren Gestaltung die New Yorker Künstlerin Kiki Smith gewonnen werden konnte. Die Weihe der Kapelle findet am 8. Oktober 2023 statt. Und der Künstler Anselm Kiefer plant im Außenbereich des Museums lebensgroße Skulpturen der Zyklen "Frauen der Antike" und "Märtyrerinnen" aufzubauen.
Die Schausammlung
Im ersten Stockwerk befindet sich die Schausammlung beziehungsweise die Dauerausstellung des Museums. Die neue Schausammlung zeigt christliche Kunst aus zwei Jahrtausenden von frühchristlichen Werken bis hin zu zeitgenössischen Positionen des 21. Jahrhunderts. Schwerpunkte sind die spätmittelalterliche kirchliche Kunst Altbayerns, Schwabens und des Alpenraums sowie kunsthistorisch bedeutende Werke des süddeutschen Barocks und Rokoko.
Mit dem großen Umbau von 2018 bis 2022 wurde von Museumsdirektor Christoph Kürzeder eine grundlegende Neukonzeption vorgenommen und der Bestand aus den Schenkungen von Joachim Sighart (1857) und Heinrich Gotthard (1864) durch die bedeutende und umfangreiche Sammlung byzantinischer Kunst von Christian Schmidt erweitert. Auf 2500 Quadratmetern Ausstellungsfläche zeigt das Museum nicht chronologisch, sondern thematisch arrangiert Werke von historisch bedeutsamen Künstlern wie Erasmus Grasser, Jan Polack, Gabriel Angler, Lucas Cranach, Johann Baptist Straub, Ignaz Günther und den Gebrüdern Asam. Artefakte aus dem Bereich der Liturgie, der Volksfrömmigkeit, des Wallfahrtswesens und der Klosterkultur werden modern und innovativ präsentiert. Entstanden sind Räume der Leichtigkeit und der Tiefe.
Neben Gemälden, Ikonen und Skulpturen werden auch Münzen und Medaillen, Paramente sowie Werke religiöser Kunst und eine umfangreiche Krippensammlung (ab Advent 2023) gezeigt. Unter den Ikonen befindet sich die berühmte Lukasikone – eine byzantinische Marienikone aus der Zeit um 1000. Diese diente als Grundlage für die aktuelle Lichtinstallation von James Turrell im Erdgeschoss. In der Schausammlung befinden sich darüber hinaus moderne Werke von Alexej von Jawlensky, Anselm Kiefer und Arnulf Rainer. Die Kunstwerke der jungen Künstlerin Brigitte Stenzel aus Freising "Abendmahl und Himmelfahrt" (2009) stehen im Dialog mit der "Heiligen Sippe", Oberbayern um 1500.
Ein Haus des Dialogs
Als "ein Haus, das den Dialog zwischen Kirche, Kunst und Gesellschaft ermöglichen will" bezeichnete Christoph Kürzeder das Museum auf einer Pressekonferenz. Umfangreich und multimedial werden Wechselausstellungen im zweiten Stockwerk gezeigt. Aktuell sind bis September 2023 die Ausstellungen "Fight Club Beate Passow" und "Berlinde de Bruyckere. City of Refuge II" zu sehen. Große Themen wie Frauenemanzipation, Hoffnung, Liebe und Tod werden zeitgenössisch umgesetzt und beeindruckend präsentiert. Geplant werden Kunstworkshops, Führungen und Veranstaltungen sowie Lesungen – hierfür stehen eine Bibliothek und ein Studiensaal sowie eine einladende Gastronomie zur Verfügung.
Neue Perspektiven
Im Ausgangssaal finden sich Arbeiten des zeitgenössischen Fotografen Michael Wesely. Er zeigt in seinen beiden Arbeiten die Transformation des Museums in den letzten Jahren, in dem er das Museumsteam kurz nach der Schließung und kurz vor der Wiedereröffnung zu einem Gesicht verschmelzen lässt.
Hier endet der Rundgang durch das neugestaltete Diözesanmuseum Freising und eröffnet neue Perspektiven und Ansichten über den Umgang mit dem christlichen Glauben, der Transzendenz und der Spiritualität.
Kommende Ausstellungen:
- Francesco! Der heilige Franziskus
Oktober 2023 bis 7. Januar 2024
- Die Krippensammlung des Diözesanmuseums Freising
November 2023 bis 2. Februar 2024
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