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"Das ist staatlich verordnete Tierquälerei"

Titelthema - "Das ist staatlich verordnete Tierquälerei"
Gerät der Wolf in Blutrausch, tötet er eine ganze Herde Schafe. © privat (alle Fotos)

Am 25. Oktober 2023 hatte Christian Lohmeyer einen bemerkenswerten Auftritt in der ZDF-Talkshow Markus Lanz. Die Wiederansiedlung des Wolfes sei außer Kontrolle geraten, doch die Wut des Landwirts richtet sich nicht gegen die Wölfe, sondern gegen die Politik.

01.01.2024

Herr Lohmeyer, der Wolf ist seit etwa 20 Jahren zurück in Deutschland und hat sich seither stark verbreitet. Viele Menschen freut das. Sie nicht?

Ich bin Jäger, ich bin Hundefan, ich weiß um die Schönheit der Natur. Das hört beim Wolf nicht auf. Der Wolf ist ein unglaublich faszinierendes und besonderes Tier. Damals, als es wieder den ersten Wolf in Niedersachsen gab, war ich elektrisiert. Ich fuhr hin in der Hoffnung, ihn zu sehen. Aber schon damals war ich skeptisch, was seine Wiederansiedlung anging.

Warum?

Weil ich wusste, dass die Abwesenheit von Großprädatoren wie Wolf und Bär ein wesentlicher Faktor unserer Freiheit sind. Ob wir zum Camping oder nachts zum Angeln fahren, ob wir abends durch die Wälder laufen oder Kinder auf Ponys reiten – das geht nur, wo es Wölfe und Bären nicht gibt. Beim Wolf kommt noch die ungeheure Populationsdynamik hinzu. Das kann nicht gutgehen in einem so dicht besiedelten Land wie Deutschland.

Sie leben in einem niedersächsischen Dorf im Landkreis Nienburg, fast 70 Prozent der Deutschen leben in ländlichen Regionen. Hat sich das Leben auf dem Land seit der Wiederansiedlung des Wolfs verändert?

Ich war seit 2015 Wolfsberater im Landkreis Nienburg. Damals gab es aber keinen einzigen Wolf. Dann tauchte das Rodewalder Rudel auf und ich musste lernen, dass vieles, was ich als Wolfsberater gelernt hatte, nicht stimmte. Es hieß, sie springen nicht über 90-Zentimeter-Zäune, Pferde- und Rinderhalter bräuchten keine Sorge zu haben. Doch sie sprangen über viel höhere Zäune, sie rissen Pferde, Rinder und Alpakas. Es hieß, man würde die scheuen Wölfe nicht zu Gesicht bekommen. Aber schon damals sahen wir sie vereinzelt – und die Menschen hatten Angst. Mittlerweile sehen wir sie jeden Tag, allein heute gab es zwei Sichtungen mitten am Tag. Das hat dazu geführt, dass landwirtschaftliche Betriebe anfingen, ihre Grundstücke einzuzäunen, damit die Kinder draußen noch spielen können. Kindergärten haben ihre Grundstücke allen Ernstes mit rot-weißem Flatterband eingezäunt. Da läuft ein Wolf 3000 Kilometer durch Europa, überwindet Pässe und Autobahnen, aber vor einem rot-weißen Flatterband macht er natürlich halt, denn die Kinder darf er ja nicht anrühren. Was für ein Irrsinn!

Ihre Kritik richtet sich nicht gegen den Kindergarten, sondern gegen die Politik.

Natürlich. Erstmals in der Geschichte lassen wir den Wolf so nah an uns heran, und erstmals dürfen wir uns gegen den Wolf nicht wehren. Früher war jeder, der einen Wolf getötet hat, ein Held. Heute, wo es zu viele Wölfe gibt, ist das ein Tabu. Viele Menschen verstehen einfach nicht, dass Weidetiere, die der Wolf reißt, auch Nahrungsmittel sind, dass sich das Leben auf dem Land massiv verändert hat, weil wir unsere Kinder bald nicht mehr draußen spielen lassen können.

Es gab aber noch keinen Angriff eines Wolfs auf einen Menschen.

Noch nicht. Wenn das erste Mal ein Wolf über unsere Allee läuft, werden auch wir unsere Kinder nicht mehr frei spielen lassen können. Der Wolf ist der Gamechanger für das Leben auf dem Land. Es gibt massenweise Waldkindergärten, die nicht mehr in den Wald gehen, weil Kindergärtnerinnen die Verantwortung nicht übernehmen wollen. Schulen, die keine Waldspaziergänge mehr machen. Und das ist etwas, was Menschen in der Stadt überhaupt nicht verstehen können.

Sie meinen, Städter neigen dazu, den Wolf zu romantisieren? Oder sehen Sie sogar einen Kulturkampf zwischen Stadt und Land?

Absolut! Nach meinem Auftritt bei Markus Lanz hatte ich über zehn Kamerateams hier, und alle bestätigten mir, dass das Thema Wolf in der Stadt überhaupt keine Rolle spielt. Städter kennen diese Bilder gar nicht, die für uns alltäglich sind. Aber wenn sie einmal vor einem gerissenen 500-Kilo-Rind stehen, denken sie auf einmal anders darüber. Wir fühlen uns wie die Flyover-States in den USA. Man kann uns doch nicht einfach die Wölfe aufzwängen, ohne jede Vernunft! Aus irgendwelchen Gründen gelten für den Wolf besondere Regeln. Wäre er ein normales Wildtier unserer Kulturlandschaft, hätten wir diese Probleme nicht.

Sie sprechen die Kulturlandschaft an: Der Wolf kommt natürlich bevorzugt dorthin zurück, wo Weidetierhaltung stark verbreitet ist. Wenn er sich bei eingezäunten Schafen bedienen kann, warum soll er sich dann den Gefahren der nächtlichen Schalwildjagd im Wald aussetzen

Er jagt auch problemlos in den gut gefüllten bisher wildreichen Wald- und Heidegebieten. Es heißt immer, er würde den Wildbestand gesunden, in dem er alte und schwache Tiere reißt. Was für ein vollkommener Unfug! Er reißt alles! Manche Jungwölfe sind verhungert, weil einige Reviere leergefressen waren. Wald ohne Wild – das kann es doch nicht sein. Zur Weidetierhaltung höre ich immer, wir müssten lernen, wieder mit dem Wolf zu leben. Ja gut, aber mit dem Wolf zu leben, wie früher, heißt auch, ihn wie früher wieder zu bejagen. Die Weidetierhaltung ist in dem Moment entstanden, als Großprädatoren abwesend waren. Weidetiere wurden eingezäunt, damit sie nicht weglaufen, und sie wurden allein gelassen, weil es unwirtschaftlich ist, sie rund um die Uhr zu bewachen. Es gibt zwar noch Wanderschäfer, aber die verdienen nicht ansatzweise Mindestlohn. Das ist reine Selbstausbeutung. In der Lüneburger Heide wurden am hellichten Tage Schafe gerissen, obwohl der Hirte dabei war. Er konnte die Tiere anbrüllen – das war denen völlig egal. Schießen darf er ja nicht. Nein, die Weidetierhaltung ist so am Ende.

Die Weidetierhaltung ist am Ende? Es gibt nicht wenige Experten, die sagen, dass man die Tiere nur angemessen schützen muss: mit Elektrozäunen, mit Untergrabeschutz, mit Herdenschutzhunden.

Ja, genau! Jeden zweiten Tag gibt es allein in Niedersachsen einen dokumentieren Riss hinter einem Grundschutz. Natürlich gibt es keinen hundertprozentigen Schutz, aber diese Attacken bilden eben keine Ausnahme, sondern sind die Regel. Es heißt immer, die Zäune müssten 1,20 Meter hoch sein. Solche Zäune kriegen Sie jetzt im Winter gar nicht in die Erde. Und sie halten Wölfe auch nicht auf. Wölfe lernen. Es ist eine Challenge für Wölfe, Hunde zu überlisten und über Zäune zu springen. Wölfe sind es von ihren Rangkämpfen gewohnt, Schmerzen zu ertragen. Wenn sie Hunger haben und ihren Nachwuchs versorgen müssen, sind ihnen Schmerzen völlig egal. In Bremen sind Wölfe dokumentiert über einen 1,70 Meter hohen Zaun gesprungen, und wenn der Wolf erst einmal drin ist, ist er drin. Dann können die Nutztiere nicht weg. Und wenn sie doch weglaufen können, laufen sie panisch auf Straßen und Schienen und verursachen Unfälle oder Sperrungen. Ich erinnere an den ICE bei Fulda, der 2008 wegen einer Schafherde entgleist ist. Das hätte fast ein zweites Eschede gegeben. Solche Beinahe-Katastrophen gab es gerade erst wieder in der Rhön und in Schleswig-Holstein, wo der Bahnverkehr eingestellt werden musste. In der Rhön bekam der Viehhalter eine Rechnung über sechs Millionen Euro, in Schleswig-Holstein über 5,9 Millionen Euro. Die Halterhaftpflichtversicherung endet bei fünf Millionen Euro. Diese Betriebe sind pleite. Ist das nicht affig? Kein anderes Land der Welt betreibt einen solchen Aufwand, sich einzuzäunen. Und trotzdem kommt es jeden Tag zu Viehrissen. Die Zäune gehen ständig kaputt und müssen erneuert werden. Das ist ein Millionengrab für Steuergelder. Ich wundere mich, dass es keinen gesellschaftlichen Aufschrei gibt in einer Zeit, in der die Schlangen an den Suppenküchen immer länger werden. Wieso ist der Steuerzahler bereit, diesen Schwachsinn zu finanzieren?

Noch einmal: Ihre Wut richtet sich erkennbar nicht gegen die Wölfe, sondern gegen die Politik. Was werfen Sie der Politik konkret vor?

Naivität ist das eine, oder sagen wir besser: slapstickmäßige Dummheit! Denn zu glauben, einen Wolf mit einem rot-weißen Flatterband abhalten zu können, ist nichts anderes. Das Problem ist ein viel größeres: Wir sind mittlerweile das Land mit der höchsten Wolfsdichte der Welt. Und gleichzeitig sind wir das am dichtesten besiedelte Flächenland Europas. Dass sich das beißt, sieht jeder, der Restverstand hat. Nein, es soll so sein! Als ich jung war, gab es einen grünen Bürgermeister, der wörtlich sagte: "Die Bauern hatten das Land jetzt lang genug, jetzt kommt der Naturschutz dran." Diesen Satz habe ich nie vergessen. Da werden massenweise landwirtschaftliche Flächen aus der Nutzung genommen, weil die Nutzung so aufwändig und teuer wird, dass es sich nicht mehr lohnt. Es ist für mich mittlerweile eine gewollte, zumindest aber hingenommene Einschränkung des Eigentums, die mit einer erschreckenden Radikalität vorgenommen wird. Bei diesen Auflagen für den Wolfschutz kann kein Viehhalter mehr auskömmlich wirtschaften. Und ich glaube, er soll es auch nicht können. Das ist wie in der Landwirtschaft: Der Staat subventioniert, um überhaupt eine Wirtschaftlichkeit herzustellen, und sagt dann, dass zum Beispiel jeder, der nicht beim NABU ist oder nicht auf Bio umstellt, weniger Fördergeld bekommt. Auch die Viehhalter sehen sich mehr und mehr der Willkür und der Abhängigkeit von der Politik ausgeliefert.

Ganz konkret: Was fordern Sie von der Politik?

Es gibt allein in Deutschland mindestens 1500 Wölfe, in Niedersachsen sind es 450. In Schweden und Finnland zusammen gibt es 500. Ich fordere, dass der Wolf ganz normal behandelt wird wie jedes andere Wildtier, mit einem ganz normalen Abschussplan, den der Staat festlegt. Dann guckt man, wie viele Wölfe Deutschland braucht, dafür gibt es ja eine EU-Verordnung. Das werden wahrscheinlich 250 Wölfe in ganz Deutschland sein, 25 adulte Wölfe in Niedersachsen. Dann legen wir Gebiete fest, wo der Wolf gar nicht hingehört, zum Beispiel nach Ostfriesland. Fertig! Dann gäbe es keine Probleme mehr. Wildtierbestände müssen gemanagt werden. Wir Jäger sind zu einer Hege verpflichtet, um die Wildtierbestände in einem Gleichgewicht zu halten. Gott sei Dank gibt es die Tollwut nicht mehr, aber sie wäre das entsprechende Instrument der Natur, um den Wolfsbestand zu regeln. Jetzt müssten wir an ihre Stelle treten, um den Wolfsbestand wie bei allen anderen Wildtieren zu regulieren. Aber wir dürfen nicht – und das ist Ideologie!

Der Wolf gilt seit 2007 nicht mehr als gefährdet. Worum geht es denn? Wir müssen doch bei den betroffenen Teilen der Gesellschaft Akzeptanz für den Wolf finden. Also müssen diese Teile auch mitreden darüber, unter welchen Bedingungen sie bereit sind, ein weiteres Rudel zu akzeptieren. Welche finanzielle Unterstützung es gibt, welche Sicherheitsmaßnahmen gibt es? Dann klappt das. Aber mit dieser Wolfspolitik macht man das ganze Land zu Wolfsgegnern. Das ist die wolfsfeindlichste Politik, von der ich je gehört habe. Bis der erste Mensch stirbt!

Betrachten wir das Thema einmal aus der Perspektive des Tierschutzes: Verbietet sich dann nicht der Abschuss von Wölfen? Oder müssen gerade jetzt Wölfe entnommen werden, um Weidetiere vor den Attacken zu schützen?

Das, was wir gerade erleben, ist die größte Tierquälerei aller Zeiten. Wir lassen den Wolf auf Weidetiere los, die brutal gerissen werden. Aber es ist auch für die Wölfe brutal: Die sollen mit Stromschlägen erzogen werden, sich Schafen nicht zu nähern. Echt jetzt? Schlagen Sie mal Ihren Hund mit einer Peitsche, um ihn zu erziehen. Das macht man nicht, das ist Tierquälerei. Aber bei Wölfen ist das in Ordnung? Wenn er Schmerzen spüren soll, muss schon ordentlich Saft auf dem Zaun sein. Aber auch Igel, Hasen, Herdenschutzhunde und andere Tiere kriegen da so eine gewischt, dass sie das nicht überleben, sie schlimmsten Schmerzen ausgesetzt sind und es zum Teil nicht überleben. Ganz zu schweigen von neu geborenen Lämmern, die erste Gehversuche unternehmen. Die fallen in diese Zäune. Das ist brutal, diese Lämmer werden gegart! Das ist staatlich verordnete Tierquälerei.

Bundesumweltministerin Steffi Lemke schlägt unter anderem vor, dass künftig 21 Tage lang auf einen Wolf geschossen werden darf, der sich im Umkreis von 1000 Metern von einer Rissstelle aufhält. Anders als bisher müsste nicht das Ergebnis einer DNS-Analyse abgewartet werden. Da geht es um den sogenannten "Abschuss von Problemwölfen".

Oh Gott, ja, die übliche Hinhaltetaktik. Bei der Erarbeitung dieser Idee fehlten zwei Personen. Auf der linken Seite hätte man einen Vertreter der Weidetierhalter hinsetzen müssen, auf der rechten Seite einen Vertreter der Jägerschaft, die das nämlich umsetzen muss. Wie absurd die Idee ist, zeigen Fakten: Erstens arbeiten andere Länder mit einem Radius von zehn Kilometern, und zweitens kommen die Wölfe bei uns ja schon in die Dörfer, um Tiere zu reißen. In Ostdeutschland gibt es Fälle, wo Wölfe Kälber aus den Ställen geholt haben. Bei einem Kilometer Radius ist man noch in der Ortslage – da ist die ganze Idee ein Rohrkrepierer. Außerdem müsste man einen Jäger finden, der bereit ist, das zu tun. Die örtlichen Jäger sind bekannt. Die Hochsitze werden brennen, das kann ich Ihnen versprechen.Ich müsste mir auch gut überlegen, ob ich mir das antun will, einen Wolf zu erschießen. Der größte Hammer aber ist, dass die Politik von uns Jägern wieder einmal Tierquälerei verlangt. Wir sollen zur Weidezeit Elterntiere erschießen, die genau dann auch ihre Jungtiere zu versorgen haben? Damit töten wir auch den Nachwuchs. Das ist das Gegenteil von dem, was wir Jäger wollen. Das widerspricht der Hege und Waidgerechtigkeit.

2023, christian lohmeyer, wolf, jäger, landwirt, titelthema

Der Wolf ist sehr lernfähig und er lernt schnell. Wir müssen ihm beibringen, sich von uns Menschen fernzuhalten. Das geht nur durch Bejagung auf der Weide. Im Wald lassen wir ihn in Ruhe, aber auf der Weide und in Ortschaften hat er nichts zu suchen. Wenn wir nicht anfangen, seinen Bestand zu regulieren, werden es irgendwann wieder Seuchen machen. Es genügt ja ein Wolf, der die Tollwut aus Osteuropa einschleppt. Dann aber gute Nacht!

Das Gespräch führte Björn Lange.

Christian Lohmeyer ist Landwirt aus Niedersachsen. Seine Familie hat an der Weser mehr als 200 Jahre lang Deichschutz mit Schafen betrieben. Im April 2023 hat er seine Schafe verkauft, weil er die grausamen Bilder seiner vom Wolf gerissenen Schafe nicht mehr ertragen konnte.