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Buch der Woche

»Grüne Philosophie – Ein konservativer Denkansatz«

Der Umweltschutz liegt herkömmlich im Hoheitsgebiet der politischen Linken. Die Bedrohung der Natur ist ihr zufolge dem internationalen Kapitalismus, dem Konsumverhalten und der unbegrenzten Ausbeutung natürlicher Ressourcen zuzuschreiben. Roger Scruton stellt dieses Grundverständnis als gefährlichen Trugschluss dar.

06.02.2014

Die Umweltbewegung wird gerade in jüngerer Zeit sowohl von Unterstützern als auch von Gegnern als »irgendwie links« angesehen: als Protestbewegung für die Armen und Machtlosen der Gesellschaft gegen Big Business, Konsum und die Strukturen sozialer Macht. Doch dieses Bild ist schlicht irreführend. Die Umweltbewegung in Großbritannien beispielsweise hat ihre Wurzeln im Respekt der Aufklärung vor der Schönheit der Natur und im Widerstand des 19. Jahrhunderts gegen die Industrielle Revolution, an dem Tories und Radikale gleichermaßen Anteil hatten. Unter den ersten Kritikern der industrialisierten Landwirtschaft fi nden sich eingeschworene Sozialisten wie H. J. Massingham, Tories wie Lady Eve Balfour, weltliche Gurus wie Rudolf Steiner und radikale Exzentriker wie Rolf Gardiner, der bei der Linken wie bei der Rechten ideologische Anleihen nahm und (von Patrick Wright) als eine Art Faschist bezeichnet wurde.

In der amerikanischen Umweltbewegung fließen die Naturverehrung eines John Mair zusammen, der radikale Individualismus eines Thoreau, der Transzendentalismus Emersons, der »Ökonzentrismus « eines Aldo Leopold und der Sozialkonservativismus der Southern Agrarians – einer Gruppe von Schriftstellern, der beispielsweise der nostalgische Dichter Allen Tate angehörte, heute vertreten von Männern wie Wendell Berry. Die französische Umweltbewegung hat Väter wie die Pays-réel-Konservativen Gustave Thibon und Jean Giono. Die deutschen Grünen verdanken einen Teil ihres Erbes der Wandervogelbewegung des frühen 20. Jahrhunderts, aber auch den Vorstellungen von »Heimat«, die von den Dichtern der deutschen Romantik so wunderbar ausgedrückt und von einem kurzzeitigen NS-Sympathisanten wie Martin Heidegger aufgenommen wurden. In liberalerer und durchdachterer Form tritt uns diese Idee bei Heideggers jüdischem Schüler Hans Jonas entgegen.

Außerdem werden die Umweltschützer unserer Tage sich immer stärker bewusst, welch ungeheure Umweltschäden der revolutionäre Sozialismus angerichtet hat – die Zwangskollektivierung, die übersteigerte Industrialisierung und die eines Gargantua würdigen Irrsinnspläne zur Umsiedlung ganzer Bevölkerungsteile, die Umleitung ganzer Flüsse und der radikale Umbau ganzer Landschaft en, deren Zeugen wir in China und der Sowjetunion wurden. Denker mit Linksdrall weigern sich, diese Art der Ausbeutung als direktes Resultat ihrer Theorien zu akzeptieren. Sie gehen vielmehr davon aus, dass noch mehr dafür getan muss, um das »Bewusstsein« des Normalbürgers davon zu überzeugen, dass der Sozialismus die Antwort und nicht Teil des Problems ist. Gleichzeitig sehen sie keinerlei Verbindungen zur »Rechten« und scheinen die Vokabel »konservativ« als schmutziges Wort zu betrachten, das keinerlei Bezug zu den »bewahrenden« Bestrebungen hat, die sie vertreten, denn das ist es, was das lateinische Wort conservare eigentlich meint.

Die Erklärung hierfür liegt meiner Ansicht nach darin, dass Umweltschützer konservatives Denken gewöhnlich mit der Ideologie des freien Unternehmertums assoziieren, und dieses wiederum mit dem Plündern der Ressourcen unseres Planeten zur kurzfristigen Gewinnmaximierung. Außerdem neigt die Linke dazu, rationales Eigeninteresse, die Triebkraft des Marktes, zu verwechseln mit Gier, die eigentlich eine Form des irrationalen Überschwangs darstellt. Das Manifest der britischen Green Party von 1989 spricht von den »falschen Götzen der Märkte, der Gier, des Konsums und des Wachstums« und fährt fort: »Eine grüne Regierung würde diese falschen Götzen ersetzen durch Kooperation, Selbstversorgertum, Teilen und Sparsamkeit.« In jeder Zeile dieses Manifests tritt uns die weitverbreitete Überzeugung entgegen, dass sämtliche Bestrebungen, zur Lösung unserer Probleme auf den Markt zu setzen, unvermeidlich zur Schaffung unsozialer Zustände führen. Dieser Vorwurf geht Hand in Hand mit der Ansicht, dass es andere, altruistischere Motive des Handelns gibt, auf die eine linke Regierung mit Sicherheit setzen würde. Ich stimme der Tatsache zu, dass es solche Motive durchaus gibt. Doch ich bezweifl e, dass eine linke Regierung ihr Handeln danach ausrichten würde.

Verantwortlich für diese fehlerhafte Wahrnehmung sind die sogenannten Konservativen des politischen Lagers, die die moderne Politik reduziert haben auf die simple Dichotomie zwischen individueller Freiheit einerseits und staatlicher Kontrolle andererseits. Individuelle Freiheit wird gleichgesetzt mit wirtschaft licher Freiheit. Diese wiederum steht für die Freiheit, natürliche Ressourcen zur Gewinnerzielung auszubeuten. Der Holzhändler, der einen Regenwald abholzt, das Bergbauunternehmen, das einen ganzen Berg abträgt, der Automobilhersteller, der eine endlose Lawine von Autos auf die Straßen schickt, und der Cola-Produzent, der täglich Millionen Plastikfl aschen ausstößt – sie alle setzen (zumindest dem Anschein nach) das Gesetz des Marktes um und zerstören, wenn man ihnen nicht Einhalt gebietet, einen Teil unseres gemeinsamen Erbes. Da in einer Marktwirtschaft die größten Unternehmen auch den größten Schaden anrichten, wenden sich die Umweltschützer vor allem gegen diese und gegen den freien Markt, dessen Produkte sie sind. Schaffen Sie die Marktwirtschaft ab und Sie bekommen im Normalfall Unternehmen, die nicht minder groß und zerstörerisch sind, die nun jedoch – da in staatlicher Hand – keinerlei souveräner Macht mehr verpflichtet sind, die ihre Raubzüge begrenzen könnte. Eine sinnvolle konservative Antwort wäre also, keine wirtschaft liche Freiheit um jeden Preis zu vertreten, sondern zu akzeptieren, dass wirtschaft liche Freiheit ihren Preis hat, und diesen nach Möglichkeit zu vermindern.

Wir brauchen das freie Unternehmertum, doch wir brauchen auch Gesetze, die es in seine Schranken weisen, und diese Gesetze müssen mit den Bedrohungen, die es schafft , Schritt halten. Darf aber einzig der Staat als Unternehmen auft reten, so ist die Institution, die das Gesetz kontrolliert, dieselbe, die auch den stärksten Anreiz hat, es zu umgehen – was meiner Ansicht nach eine durchaus hinreichende Erklärung für die ökologischen Katastrophen sozialistischer Wirtschaftssysteme ist. Wissenschaft liche Untersuchungen haben ergeben, dass in einer freien Wirtschaft mit garantierten privaten Eigentumsrechten und durchsetzbaren rechtsstaatlichen Garantien für vergleichbare Waren weniger Energie verbraucht wird als in Wirtschaft ssystemen, die kein oder kein gesichertes Privateigentum kennen. Darüber hinaus sind Erstere eher fähig, sich auf die Notwendigkeit sauberer Energie und signifi kante Reduktion von Emissionen einzustellen als Letztere. Märkte können nicht all unsere Umweltprobleme lösen, einige haben sie sogar erst verursacht, doch die Alternativen sind in den meisten Fällen noch schlimmer.

Doch es gibt einen anderen und besseren Grund für die Ansicht, dass konservatives Denken und Umweltschutz von Natur aus zusammengehören. Eine konservative Einstellung, so wie ich sie verstehe, heißt, dass die soziale Ökologie gewahrt bleibt. Es ist richtig, dass individuelle Freiheit ein Teil dieser Ökologie ist, da ein sozialer Organismus ohne sie nicht anpassungsfähig ist. Doch Freiheit ist nicht das einzige Ziel der Politik. Konservatives Denken und »Konservieren« beziehungsweise Bewahren, sind nur die zwei Seiten einer langfristig ausgerichteten Politik, bei der es um das Haushalten mit unseren Ressourcen geht, sodass sie sich immer wieder erneuern können. Zu diesen Ressourcen gehört auch das Sozialkapital, das sich in Gesetzen, Gepfl ogenheiten und Institutionen zeigt, aber auch das konkrete Kapital in Form unserer Umwelt und das wirtschaft liche Kapital in einer freien, von Gesetzen geregelten Wirtschaft . Vor diesem Hintergrund liegt Sinn und Zweck der Politik nicht darin, die Gesellschaft so zu modellieren, dass sie einem übergeordneten Ideal wie Freiheit, Gleichheit oder Brüderlichkeit gehorcht. Es geht vielmehr darum, den Kräft en der Entropie, die unser soziales und ökologisches Gleichgewicht bedrohen, wachsamen Widerstand entgegenzusetzen. Ziel muss sein, künft igen Generationen jene Ordnung weiterzugeben, deren zeitweilige Treuhänder wir sind, und diese in der Zwischenzeit aufrechtzuerhalten und zu verbessern.

In den Augen seiner Kritiker ist konservatives Denken in diesem Sinne daher von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil es dem Zweiten Hauptsatz der Th ermodynamik zuwiderläuft . Der Grad an Unordnung nimmt ständig zu, und jedes System, jeder Organismus, jede spontane Ordnung wird auf lange Sicht irgendwann zerfallen. Doch selbst wenn dies zutrifft , heißt das nicht, dass der Konservativismus als politische Praxis überfl üssig wäre, ebenso wenig wie die Medizin überfl üssig ist, weil, wie Keynes es ausgedrückt hat, »wir ja doch alle mal sterben«. Wir sollten uns vielmehr an Lord Salisburys knappes Statement halten, in dem er seine ganze Philosophie zusammengefasst hat: »Aufschub ist Leben. « Der Konservativismus ist die Politik des Aufschubs, dessen Zweck darin liegt, Gesundheit und Leben eines sozialen Organismus solange als möglich zu gewährleisten.

Denn – auch das lehrt die Th ermodynamik – wir können der Entropie entgegenwirken, indem wir dem System auf lokaler Ebene Energie zuführen und so der Aufl ösung entgegenwirken. Der Konservativismus setzt auf historische Verbundenheit, auf lokale Identität und auf jene Art von Langzeitbeziehung, die zwischen Menschen entsteht, die ihre Neigungen an einem bestimmten Ort und innerhalb eines wohldefi nierten Rahmens ausleben. Während der Sozialismus und der Liberalismus in ihrer Zielsetzung global sind, ist der Konservativismus von Natur aus lokal: Er verteidigt die spärlichen Reste von Sozialkapital gegen die Kräft e anarchischen Wandels. Eben dieser lokale Charakter ist es, der den Konservativismus prädestiniert für die Lösung von Umweltproblemen.

Man könnte es auch anders formulieren: Für einen Konservativen ist die Politik dazu da, homöostatische Systeme aufrechtzuerhalten und wiederherzustellen – Systeme, die sich selbst korrigieren, wenn der Wandel sie destabilisiert hat. Märkte sind solche homöostatischen Systeme, aber auch Traditionen, Gepfl ogenheiten und Gewohnheitsrechte. Ebenso wie Familien und die »zivilgesellschaft lichen Zusammenschlüsse«, die eine freie Gesellschaft sordnung ausmachen. Konservative schätzen Märkte und ziehen die Kräft e des Marktes den Eingriff en der Regierung vor, wenn die beiden in Widerspruch zueinander stehen. Aber nicht aufgrund eines quasi-religiösen Glaubens an den Markt als ideale Form sozialer Ordnung oder als einzige Lösung für soziale und politische Probleme. Und schon gar nicht aufgrund irgendeines Kultes um den homo oeconomicus und sein angeblich »rationales Eigeninteresse«. Es geht ihnen vielmehr um den Markt als selbstkorrigierendes soziales System, das mit Erschütterungen von außen durchaus fertigwird und sich im Normalfall auch den Bedürfnissen und Wünschen seiner Teilnehmer anpasst.

Doch es gibt noch andere solcher Systeme. Da sind beispielsweise die langfristigen Beziehungen, die die Traditionen und Institutionen selbstregulierender Gesellschaft en bilden. Da ist die repräsentative Regierungsform, deren Vertreter für ihre Fehler zur Verantwortung gezogen werden. Und da sind die gesetzlichen Vorschrift en, die dafür sorgen, dass die Kosten von Fehlern von jenen getragen werden, die sie gemacht haben. In den letzten Kapiteln dieses Buches werde ich mich mit diesen Systemen auseinandersetzen und zeigen, welchen Ideen sie entsprungen sind. Nur wenn wir uns bewusst auf diese beziehen, wird es uns gelingen, eine erfolgreiche Energiepolitik zu schaffen, denn diese Konzepte führen ein wesentliches Element in die menschlichen Beziehungen ein: die Verantwortung des Treuhänders. Ohne eine derartige negative Rückkopplungsschleife verkommt der Markt zu eben jener antisozialen und ausbeuterischen Maschinerie, als die ihn seine Gegner seit jeher sehen.

Daraus folgt, dass der Konservativismus viele Spielarten hat. Amerikanische Konservative betonen die Bedeutung der ökonomischen Freiheit, den unbedingten Glauben an das risikowillige Unternehmertum. Konservative in Europa hingegen setzen auf Tradition, Sitten und Gebräuche und die Zivilgesellschaft und weisen darauf hin, dass das Unternehmertum nur dann Erfolg haben kann, wenn es in eine stabile soziale Ordnung eingebunden ist. Diese unterschiedlichen Schwerpunkte führen naturgemäß zu unterschiedlichen politischen Willensäußerungen. Daher gibt es unter den amerikanischen Konservativen immer eine gewisse Neigung zu »Marktlösungen«, ob diese nun eine Bedrohung für traditionelle Formen der Gemeinschaft und das soziale Gleichgewicht darstellen oder nicht. Amerika besitzt als Kollektiv einen Überfl uss an Land und natürlichen Ressourcen, was dem Staat erlaubt, Probleme wie Rohstoff verknappung und Überbevölkerung zu verdrängen im Glauben, dass es immer genug Raum und Ressourcen für irgendein neues Experiment geben wird. Europa hingegen ist eine Ansammlung vieler Staaten auf kleinstem Raum,was den Platz für Mensch und Tier gleichermaßen kostbar macht, sodass er seit Jahrhunderten ebenso umsorgt wie umkämpft ist. Europäische Konservative sind sich schmerzlich der Grenzen bewusst, die ihnen auferlegt sind, ebenso wie der Gefahren, die das »Ausbrechen« mit sich bringt. Das bedeutet nicht, dass sie marktwirtschaft liche Lösungen ablehnen. Es heißt nur, dass sie mehr als ihre amerikanischen Kollegen auf jene Dinge achten, die Märkte erst ermöglichen: Gesetz, Tradition und Moral. Auch haben die Europäer, Erben wunderschöner, über die Jahrhunderte gewachsener Städte, nicht dieselbe Einstellung zum menschlichen Lebensbereich wie die Amerikaner. Ich werde auf diese Unterschiede im achten Kapitel eingehen, da die amerikanischen Konservativen einiges von ihrer Sichtweise lernen können.

Das konservative Politikverständnis, das ich hier vorstelle, orientiert sich an der Idee der Treuhänderschaft statt am Unternehmertum, am Austausch statt am Befehl, an der Freundschaft statt an der gemeinsamen Verfolgung einer Sache.10 Diese Vorstellungen passen recht gut zur Umweltbewegung, und es erstaunt mich immer wieder, dass so wenige Umweltschützer dies erkennen. Für einen Konservativen ist es off ensichtlich, dass unser rücksichtsloses Streben nach individuellem Vorteil die soziale Ordnung ebenso aufs Spiel setzt wie das Leben auf diesem Planeten. Im Übrigen liegt es auf der Hand, dass die klügste Politik jene ist, die danach trachtet, solche Gepfl ogenheiten und Institutionen zu schützen, die unserem Verlangen nach mehr Grenzen setzen, die Quellen sozialer Zufriedenheit vor dem Versanden bewahren und uns daran hindern, die Kosten unseres Tuns jenen aufzubürden, die sie nicht verursacht haben.

Aus der Umweltperspektive ist das größte Problem wohl, dass soziales Gleichgewicht und ökologisches Gleichgewicht nicht unbedingt dasselbe sind und daher auch nicht harmonieren müssen.

Quelle: Roger Scruton: Grüne Philosophie. Ein konservativer Denkansatz. Diederichsverlag, München 2013. 448 Seiten, 26,99 Euro. Mehr zum Buch. Die Leseprobe stammt von den Seiten 11 bis 20. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurde hier auf die Angabe der Fußnoten verzichtet.