"In Wien ist viel mehr möglich"
Barbara Staudinger, mit 1. Juli Nachfolgerin von Danielle Spera, freut sich auf die Potentiale in der Großstadt Wien, die sie aufgrund der Geschichte und Größe Wiens für deutlich höher einschätzt.
Die Bestellung der Wiener Historikerin Barbara Staudinger zur neuen Direktorin des Jüdischen Museums Wien im vergangenen Herbst war angesichts der Popularität von Danielle Spera durchaus eine Überraschung. Staudinger war eine von zwanzig Bewerberinnen und Bewerbern. Für ihre (Rück-)Übersiedlung nach Wien hat sie ihre Rotary-Mitgliedschaft in Augsburg aufgegeben.
Was sind Ihre ersten Pläne für Wien?
Wir starten im Herbst mit einer Kunstinstallation, die den 9. November begleiten wird und die erste Ausstellung hat den Arbeitstitel "100 Missverständnisse über und unter Juden". Da wird, bisweilen auch mit einem Augenzwinkern, auf Vorurteile und Missverständnisse geschaut.
Worin sehen Sie die Aufgabe eines jüdischen Museums in der Gegenwart?
Es geht um Fragestellungen aus der Vergangenheit, die nicht nur, aber auch aus einer jüdischen Perspektive für heute interessant sind. Juden sind eine historische Minderheit, daher stellt man Fragen aus einer jüdischen Perspektive, die aber auch für andere Minderheiten interessant sein können. Wir sind kein Minderheitenmuseum, aber Themen wie Ausgrenzung und Diskriminierung sind auch für andere Minderheiten wichtig.
Wodurch unterscheidet sich das Haus in Augsburg von dem in Wien?
Das Jüdische Museum in Wien ist das älteste der Welt, das in Augsburg ist das älteste in Deutschland, es wurde 1985 gegründet. Die Wiener Sammlung ist ohne Frage eine der bedeutendsten der Welt. Augsburg hatte seine Bedeutung vom späten Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert und hat dann mit dem Aufstieg Münchens massiv an Bedeutung verloren. Wien war kaiserliche Residenzstadt und ist eine Hauptstadt, das ist ein ganz anderes Standing. Die jüdische Gemeinde in Wien um 1900 war nach Warschau und Budapest die drittgrößte Europas, da war keine deutsche Gemeinde vergleichbar.
Sehen Sie in der grundsätzlichen Zielsetzung einen Unterschied?
Ja, zum einen ist man in Deutschland in einen Erinnerungsdiskurs eingebunden, der sich etwas vom österreichischen unterscheidet, zum anderen ist es ein Unterschied, ob man ein jüdisches Museum in einer kleineren Stadt macht oder in einer Weltmetropole. Hier sind die Fragestellungen noch diverser, noch viel multinationaler. Aber immer geht es um Fragen, die heute in der Gesellschaft diskutiert werden. Ich habe zum Beispiel in Augsburg eine Ausstellung gemacht, "Shalom Sisters", über jüdisch-feministische Positionen. Im bayerischen Umland wurde das als sehr modern wahrgenommen, aber ich hätte das in Wien wesentlich moderner gemacht, weil in Wien für ein großstädtisches Publikum viel mehr möglich ist.
Das Gespräch führte Hubert Nowak.
Zur Person
Barbara Staudinger
geb. 1973 in Wien, studierte Geschichte, Theaterwissenschaft und Judaistik in Wien. Sie leitete ab 2018 das Jüdische Museum Augsburg Schwaben und war Mitglied beim RC Augsburg-Fuggerstadt.