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Porträt

„Ich sehe das ganz anders“

Porträt - „Ich sehe das ganz anders“
"Jede Ausstellung ist ein eigenes Forschungsprojekt, auch ein wenig eine detektivische, journalistische Recherche", sagt Danielle Engelberg-Spera. © Sima Prodinger

Nach zwölf Jahren als Direktorin des Jüdischen Museums Wien tritt Danielle Engelberg-Spera im Juli ab. Sie will nicht aufhören, jüdische Geschichte(n) zu erzählen und erkennt – glücklicherweise – keinen zunehmenden Antisemitismus.

01.07.2022

Als Danielle Spera das Jüdische Museum 2010 übernahm, zählte man im Jahr 86.000 Besucher. 2019 war die Zahl auf 144.000 geklettert, um dann mit der Pandemie wieder einzubrechen. Aber Zahlen allein sind nicht alles in ihrer Bilanz.


Was war das wichtigste Ereignis in diesen zwölf Jahren?

Da gab es viele, aber neben prominenten Besuchern, wie Prinz Charles mit seiner Gattin Camilla oder Arnold Schwarzenegger, gehört ganz sicher dazu, dass wir das Archiv der Familie Ephrussi bekommen haben. Das ist etwas ganz Großartiges für unser Land, das hätten viele Museen gerne. Edmund De Waal, ein Nachfahre der weit verzweigten und in alle Winde zerstreuten Familie Ephrussi, hat das auch so schön gesagt: Wir restituieren etwas, das man uns weggenommen hat. Das war sehr emotional.

Was ist das Geheimnis für den Erfolg dieses Museums?

Dieses Museum ist ein ganz besonderes, es ist kein Holocaust-Museum, sondern ein Ort, an dem die jüdische Geschichte erzählt wird wie sonst nirgendwo. Wenn man über Judentum in Österreich spricht, denken die Leute an die Jahre 1938 bis 1945, an die Zerstörung dieser wichtigen jüdischen Gemeinde, aber nicht an das, was vorher war und was heute ist. Unsere Aufgabe ist aber, auch das zu zeigen. Für mich war essenziell, auch die durchschnittlichen Familien vorzustellen. Die Familie Edlis zum Beispiel: Der Vater war ein Holzhändler in Wien, die Familie konnte im letzten Moment im April 1941 flüchten und hat bei Null angefangen. Der mittlere Sohn wurde ein vielfacher Millionär und Sponsor der Künste und Wissenschaften in den USA. An diesem Beispiel sieht man auch, was heute in Österreich fehlt.

Ist der breite Bogen eine bewusste Strategie, um die Erzählung über das Judentum nicht allein im Holocaust verhaftet zu lassen?

Ja, auf jeden Fall. Wenn wir über Shanghai, die Wiener in China reden, dann kommt der Holocaust natürlich vor. Die Flüchtlinge aus Wien haben sich in Shanghai ein kleines Wien aufgebaut, mit Kaffeehäusern, Restaurants, Theater und einem Heurigen. Das ist faszinierend und deshalb war die Ausstellung auch so erfolgreich. Oder die Geschichte von Arik Brauer. Anlass war sein 90. Geburtstag. Wir haben sein Leben gezeigt, natürlich sein Schicksal, aber auch, was er daraus gemacht hat. Er ist bis zuletzt ein unglaublich positiver, humorvoller Mensch geblieben. Und da gibt es noch viele Themen, die ich gerne erzählen würde, die ich gerne auch woanders machen möchte.

Das heißt, es wird Ausstellungen über jüdische Themen geben, von Dir kuratiert, aber nicht mehr hier?

Ganz genau. Es gibt viele Orte, wo man Ausstellungen machen kann. Ich wollte zum Beispiel immer schon eine über Ephraim Kishon machen.

Deine Bestellung 2010 war durchaus eine Überraschung. Hast Du Dich gleich von allen akzeptiert gefühlt?

Naja, sagen wir so, wenn eine branchenfremde Person in ein Unternehmen eintritt, löst das meist keine große Begeisterung aus.

Was waren die Hürden?

Der Ruf nach Veränderung sorgt immer für Verunsicherung. Man hängt an Gewohntem. Mein Konzept und auch mein Auftrag war, das Museum für breite Besucherschichten zu öffnen.

War Deine Bekanntheit aus dem Fernsehen ein Vorteil?

Vermutlich hatte das einen gewissen PR-Effekt und hat die Menschen neugierig gemacht.

Wie konntest Du Deine Erfahrungen als Journalistin einbringen?

Es geht darum, wie man die Geschichten von Menschen, von Orten erzählt, auch in einer Ausstellung. Als Journalistin hat man vielleicht einen anderen Blick. Ich versuche immer, mich in die Rolle eines Besuchers, einer Besucherin zu versetzen, zu fragen, wie würde ich gerne die Geschichte erzählt bekommen.

Auch vom Visuellen her, von dem ja das Fernsehen lebt.

Genau. Und ganz wichtig ist eine verständliche Sprache. Kuratoren haben bisweilen eine eigene, andere Sprache. Das war ein Lernprozess, aber diesen Ball hat das Team gut aufgenommen.

Ein Museum ist immer eher rückwärtsgewandt. Was erzählt das Jüdische Museum über die Gegenwart?

Sehr viel. Dadurch dass wir auch Feste gefeiert haben, konnten wir das Judentum nachvollziehbar, erlebbar machen. Zu Chanukka haben wir im Museum jeden Abend die Kerzen angezündet. Während Covid mussten wir das in den virtuellen Raum verlagern. Wir haben Challa-Backen, also Brotbacken, angeboten oder das jüdische Neujahrskonzert ins Leben gerufen, um zu zeigen, dass das Judentum eine freudige Religion ist.

Danielle Spera führt auch gerne selbst durch die Ausstellungen. Hier mit dem Britischen Botschafter in Österreich, Leigh Turner. © Sonja Bachmayer

Wie erfolgt die Themenwahl für Sonderausstellungen?

Ich bin schon angetreten mit einem Konzept und einer langen Liste an Ideen. Viele Themen haben sich im Diskurs mit dem Team entwickelt und einiges ist entstanden durch Jahrestage. Zum 250-Jahr-Jubiläum des Wiener Praters haben wir den jüdischen Prater vorgestellt, also Venedig in Wien, das war eine jüdische Erfindung zur Weltausstellung. Oder das Jubiläum der Ringstraße. Die wäre nicht so entstanden, hätte es nicht den Beitrag der Wiener Jüdinnen und Juden gegeben, denn den Kaiser hat in diesem Vorhaben kaum jemand unterstützt.

Muss dabei nicht auch die Dauerausstellung, vom Mittelalter bis herauf, immer wieder überarbeitet werden?

Wir haben im Vorjahr die neue Ausstellung über das Mittelalter eröffnet am Judenplatz, das war wichtig, weil sich von der Wissenschaft, der Judaistik, der Archäologie, viel entwickelt hat. Da kann man sich jetzt mit Virtual und Augmented Reality die mittelalterliche Synagoge anschauen und die Ausstellung ist auch für Sehbehinderte und Blinde erfahrbar.

Überhaupt wurde viel in Technik investiert. Bei meinem Amtsantritt war das Museum noch nicht angekommen im 21. Jahrhundert, es gab keine Computer, kein elektronisches Ticketing usw. Da hat sich viel getan.

Du hast auch selbst kuratiert, war das ein Wagnis?

Überhaupt nicht. Jede Ausstellung ist ein eigenes Forschungsprojekt. Ich habe mich schon in der Kommunikationswissenschaft mit Geschichte beschäftigt, habe meine Dissertation über die Zwischenkriegszeit geschrieben. Jede Ausstellung ist ein spannendes Forschen, bei Edlis ging es darum, wie er zu dem geworden ist. So etwas ist auch ein wenig eine detektivische, journalistische Recherche.

Gibt es da auch eine Zusammenarbeit mit den vielen anderen Museen in Wien, etwa mit den Bundesmuseen?

Ich war ja sechs Jahre Präsidentin von ICOM Österreich, das ist das Nationalkomitee des Internationalen Museumsrates, jetzt bin ich Vizepräsidentin, und dadurch gibt es einen ständigen Austausch. Jedes Haus soll natürlich sein eigenes Profil haben. Aber bei großen Themen, wie etwa der Ringstraße, redet man natürlich schon im Vorfeld darüber. Aber generell ist es nicht egal, wer Träger eines Museums ist. Die Bundesmuseen haben während der Pandemie wesentlich mehr Unterstützung bekommen als die städtischen.

Das Museum wurde 1895 gegründet, als erstes Jüdisches Museum weltweit, und erst 1988 neu eröffnet. Warum hat es eine so lange Pause gebraucht?

Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich niemand mit der jüdischen Geschichte beschäftigt. Die jüdische Gemeinde hatte nach dem Krieg andere Prioritäten, die war zerstört, musste sich neu gründen. Auch hat sich niemand mit der Verantwortung der Österreicher für die Verbrechen der Wehrmacht beschäftigt. Das hat sehr lange gedauert. Bis zur Waldheim-Affäre war das kein Thema, es wollte niemand darüber sprechen, weder bei den Tätern noch bei den Opfern. Durch Waldheim ist das zum ersten Mal aufgebrochen, als er gesagt hat, ich habe ja in der Wehrmacht nur meine Pflicht getan wie Hunderttausende andere Österreicher auch. Dem haben viele Väter zu Hause zugestimmt und die Kinder haben begonnen, das zu hinterfragen. Im Zuge dieser Affäre hat der Wiener Bürgermeister Zilk, der war ja ein PR-Genie, gesagt, wir machen jetzt etwas, damit wir in andere Schlagzeilen kommen, wir gründen wieder das Jüdische Museum. Das erste Museum war von Wiener Juden gegründet werde, um das Leben ihrer Vorfahren zu zeigen, und nach der Idee von Helmut Zilk wurde es dann ein Museum der Stadt Wien.


 

© Sima Prodinger

Zur Person:

Dr. Danielle Engelberg-Spera (RC Wien Prinz-Eugen) studierte Publizistik und Politikwissenschaften in Wien. Sie war TV-Journalistin beim ORF, unter anderem als Moderatorin der Zeit im Bild 1. Von 2010 bis Juni 2022 war sie Leiterin des Jüdischen Museums Wien. 2022 veröffentlichte sie das Buch "100 x Österreich — Judentum".


Wie kann man die Akzeptanz des Jüdischen Museums in der Gesellschaft heute beschreiben?

Die ist sehr groß, unser Haus ist auch über Österreich hinaus bekannt. Unsere Ausstellung über die Familie Ephrussi wurde im Jewish Museum New York gezeigt, wir wurden zehn Mal in der New York Times erwähnt. Auch mit der Ausstellung zu "100 Jahre Salzburger Festspiele" und mit "Genosse Jude" sind wir dort vorgekommen. Wir konnten eine Ausstellung in Australien zeigen, haben jetzt eine in Vilnius und in Berlin.

Sagt die Akzeptanz des Jüdischen Museums etwas aus über die Akzeptanz des Judentums in der Gesellschaft?

Es sagt was aus über das Interesse am Judentum. Das Interesse ist enorm groß, die Menschen wollen darüber mehr erfahren. Das war auch ein großer Teil des Erfolges, die Leute sind dankbar für diese Geschichten, die wir wieder ins Bewusstsein rücken, über die Familien Rothschild oder Edlis oder Klagsbrunn. Die waren übrigens Kohlenhändler aus Floridsdorf und der Sohn wurde der berühmteste Fotograf Brasiliens. Man will ja aus einer Ausstellung mit einer Erkenntnis, mit neuem Wissen rausgehen.

Zugleich heißt es, dass in den letzten Jahren der Antisemitismus in der Gesellschaft wieder gestiegen ist. Wie äußert sich das für Dich im Museum?

Ich sehe das ganz anders. Ich bin in dieser Stadt aufgewachsen und Wien hat mit dem Antisemitismus von früher nichts zu tun. Vieles, was früher salonfähig war, wie über Jüdinnen und Juden geredet wurde, ist heute einfach nicht mehr möglich. Es ist absolut nicht vergleichbar mit dem Zustand früher. Bei den jungen Leuten ist es doch gar kein Thema, welche Religion jemand hat, darüber wird nicht diskutiert. Die haben andere Interessen, da geht es um Klimaschutz, um den Krieg in der Ukraine. Ich sehe das auch bei meinen Kindern.

Also, Du siehst nicht einen gestiegenen Antisemitismus, von dem die Politik oft redet?

Nein, ich versuche immer auf die positiven Seiten zu schauen und sehe, wie groß das Interesse am Judentum ist, wie begeistert die Menschen in dieses Haus kommen.

Das heißt, ein Museum kann auch viel gegen das Gespenst des Antisemitismus tun?

Wir haben zum Beispiel 2015 Programme für Flüchtlinge aus dem Nahen Osten eingeführt, aus dem Irak, aus Afghanistan, aus Syrien. Die kommen mit einer ganz anderen Geschichte und sehen bei uns, dass die jüdische Erfahrung eine ähnliche ist wie die, die sie gerade durchgemacht haben. Flucht, Verlust der Heimat, der Familie, darüber reden wir hier auch.

Also hat so ein Museum auch einen gewissen politischen Auftrag?

Mein Auftrag war, das Haus zu öffnen und Menschen hereinzuholen, die sich bisher wenig für das Judentum und das Jüdische Wien interessiert haben. Da gibt es auch Schlüsselerlebnisse, wenn türkische Besucher oder Schulklassen sehen, dass es in Wien eine türkische jüdische Gemeinde gab. Oder wenn Gäste aus Bosnien — Sarajevo war ja immer eine multikulturelle Stadt — das Miteinander sehen. Das Verbindende zu zeigen war mir immer eine Aufgabe.

Als Du 2014 zu Rotary gekommen bist, warst Du schon vier Jahre Direktorin. War die Funktion ein Schuhlöffel zu Rotary?

Nein, das war Zufall, das ist über Freundinnen gelaufen, die schon länger gesagt haben, komm doch zu uns.

Dann warst Du trotz der Funktion als Direktorin auch schon Präsidentin in Deinem Club. Viele heben sich eine Präsidentschaft erst auf für Pension!

Das war eine schwere Zeit, nicht wegen meiner Funktion im Museum, sondern wegen der Pandemie. Wir hatten sehr wenige physische Treffen, ich wollte eine Clubreise nach Israel machen, das war auch nicht möglich. Es gab nur drei persönliche Meetings, wir haben Spaziergänge gemacht, das war auch schön und hat eine andere Dimension der Beziehungen im Club gebracht. Ich bin viel auf Reisen und versuche auch immer in anderen Ländern in die Clubs zu gehen. Der internationale Austausch ist mir wichtig, zu sehen, wie dort die Meetings ablaufen und was karitativ geleistet wird. Auch ist es schön zu sehen, wie freudig man aufgenommen und eingeladen wird zu erzählen, wie es in Österreich ist.

Das Gespräch führte Hubert Nowak.