Er kennt das Auktionsgeschäft wie kein Zweiter, und er gibt Einblicke in einen spannenden Markt: Henrik Hanstein
01.01.2017
Zum Ersten, zum Zweiten und … zum Dritten! Henrik Hanstein sorgt dafür, dass Kunstobjekte ihre Liebhaber finden. Gleich im Eingangsbereich zeigt sich im Kunsthaus Lempertz geschäftiges Treiben zwischen erfolgreicher zeitgenössischer Kunst und Skulpturen vergangener Kulturen. Lempertz ist das älteste und größte Auktionshaus in Deutschland. Henrik Hanstein leitet es in fünfter Generation – mit Engagement und Herzblut.
Sie haben soeben ein erfolgreiches Ergebnis mit einer Asiatika-Auktion erzielt. Dabei wurden Spitzenpreise für einzelne Objekte erreicht. Was macht die asiatische Kunst so erfolgreich? Die Chinesen selber. China ist eine wieder aufsteigende Weltmacht, mit dem entsprechenden Wohlstand, und die Chinesen haben unter Mao so viel Kultur verloren wie unter keinem anderen Diktator der Welt. Und was sich in Europa an chinesischer Kunst befindet, ist weitestgehend im 19. Jahrhundert hierher gekommen, durch die Kolonialländer Frankreich, England – und auch uns. Die Chinesen kaufen quasi ihre nationale Identität in Europa zurück. Sie bestimmen den Markt.
Ist es so, dass chinesische Kunst, die hier in Sammlungen existierte, allmählich nach China zurückkehrt? Auch Chinesen haben sehr vom Export gelebt. Chinesisches Exportporzellan wurde für den abendländischen Markt und Geschmack produziert. Keine Kultur der Welt hat das Porzellan zu solcher Raffinesse gebracht wie die Chinesen.
Was bewegt die deutschen Sammler, das zu verkaufen? Die enorm gestiegenen Preise. Der Herrgott liebt unsere Branche. Er hat es so eingerichtet, dass keiner etwas mitnehmen kann. Da kommen die Erben dann. Und nicht jeder Erbe interessiert sich für das Gleiche wie die Eltern oder Großeltern. Kunst besitzen Sie immer nur für Ihre Lebzeiten. Und dann ist es unsere Aufgabe als Versteigerer zu sehen, wie wir das zu einem guten Preis an die nächste Sammlergeneration weitergeben.
Nun ist ja die asiatische Kunst nur ein Bereich bei Ihnen. Als ältestes Auktionshaus im Familienbesitz haben Sie noch verschiedene andere Bereiche, die mit der Zeit dazugekommen sind. Wie alle alten Auktionshäuser in der Welt sind wir letztendlich ganz stark beeinflusst worden durch die Französische Revolution, durch den Reichsdeputationshauptschluss 1803, als Kirchen- und Klösterbesitz hier auf dem Kontinent aufgelöst wurden. Da beginnt der moderne Kunsthandel. Wir stammen letztlich alle, wie die Londoner oder französischen Kollegen, aus dem Antiquariatsgeschäft. Und haben angefangen mit Buchversteigerungen. Dann kam die Kunst dazu – traditionell alte Gemälde und Antiquitäten, nach dem Krieg moderne Kunst. Ich habe dazu die zeitgenössische Kunst und Fotografie eingeführt. Den höchsten Umsatz machen wir heute mit zeitgenössischer Kunst.
Mit Künstlern wie Gerhard Richter lassen sich sehr gute Preise erzielen. Ja, Deutschland ist ein interessantes Land! Es war nicht immer so, dass eine Künstlergeneration weltweit eine solche Bedeutung hatte wie die Deutschen jetzt. Gegenwärtig spielen sie in der zeitgenössischen Kunst eine ganz große Rolle. Richter kennt jeder, aber es gibt Georg Baselitz, es gibt Sigmar Polke, es gibt Rosemarie Trockel und Anselm Kiefer und andere großartige Künstler.
Welche Vorteile bieten digitale Medien für die traditionelle Kunstauktion? Die Digitalisierung macht das Leben diesbezüglich wesentlich leichter. Wenn wir heute ein Kunstwerk versteigern, ist das alles online zu verfolgen, Sie können auch online bieten. Durch den Wegfall der Binnengrenzen und die Einführung des Euro in der Europäischen Gemeinschaft hat sich der Markt positiv für uns verändert.
Wie erfahre ich von einer Auktion? Als quasi gelisteter Interessent? Online finden Sie uns in den Suchmaschinen, alle Kataloge von Lempertz sind online. Sie werden trotzdem gedruckt, in sehr hoher Qualität, und es gibt viele Kunden, die Dinge bei uns ersteigern, ohne sie im Original gesehen zu haben.
Sie konnten bei Ihren Kinder so viel Begeisterung für Kunst auslösen, dass sie in Ihre Fußstapfen treten. Der Umgang mit Kunst macht aus uns bessere Menschen, spült uns so den Staub des Alltags von der Seele. Vom Umgang mit Sammlern und Künstlern habe ich sehr profitiert. Jeder ist irgendwo auch Produkt seiner Umwelt. Meine Kinder haben genauso wie ich in jungen Jahren großartige Künstler kennengelernt.
Die Chinesen begeistern sich ja sehr für Palastkunst. Macht letztlich die Begeisterung für ein Kunstobjekt auch den Preis aus? Absolut die Qualität. Und es ist faszinierend, wie sich immer wieder unsere Kunden aus dem großen Angebot die Rosinen rausholen und diese dann im Wettkampf die höchsten Preise erzielen.
Gilt das auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten? Ja, der Kunstmarkt ist immer noch in einer guten Verfassung. Wir kommen dieses Jahr auf 58 Millionen Jahresumsatz. Da können wir sehr zufrieden mit sein.
Auch, weil Sie mit Ihrem Angebot breiter aufgestellt sind? Das sind die Engländer auch. Die sind sogar noch weiter aufgestellt als wir. Wir leben in Deutschland von einem gehobenen, finanzstarken Bildungsbürgertum. Aber wenn wir so genau wüssten, was Kunst wert ist, gäb es keine Auktionen. Und Kunstauktionen gab es schon in der Antike. Wir sind die letzten freien Marktwirtschaftler! Entwickeln einen Preis zwischen Angebot und Nachfrage. Durch die Digitalisierung haben wir die ganze Welt im Saal. Die Auktionssäle werden überall leerer, und die Batterien von Telefonen werden immer länger. Und wir verkaufen sogar direkt auf einer Online-Plattform.
Wie wichtig ist für Sie ein guter Erlös bei Auktionen? Da werden uns größere Gestaltungsmöglichkeiten unterstellt, als wir haben. Es gibt im Moment einen enormen Geschmackswandel hin zur zeitgenössischen Kunst. Weg von alten Dingen.
Sie müssen viele Interessen berücksichtigen. Die des Verkäufers, des Käufers und Ihre eigenen. Aber der Preis muss am Ende allen schmecken? Das tut er nicht. Der Käufer wird ihn immer als zu hoch empfinden, der Verkäufer immer als zu niedrig.
Zum Kulturgutschutzgesetz: Es hat zu einer großen Protestwelle im Kunsthandel geführt. Viele Auflagen und Sorgfaltspflichten sind damit für Ihren Berufsstand verbunden. Heißt das für Sie höhere Kosten? In erster Linie bedeutet es mehr Arbeit. Ich halte das Gesetz für nicht gut gemacht. Den Hauptfehler sehe ich darin, die Sammler nicht im Wege eines Vorkaufsrechtes zu entschädigen, falls sie gelistet werden – so wie in unseren Nachbarländern. Jeder Sammler, mit dem ich gesprochen habe, könnte mit einem staatlichen Vorkaufsrecht leben, mit einer Listung und einem quasi enteignungsähnlichen Eingriff jedoch nicht. Das Gesetz schadet der deutschen Kunstszene, auch den Museen. Wenn ein Objekt Gefahr läuft, gelistet zu werden, drückt das den Preis gewaltig. Wer kauft sich schon einen Golf, mit dem er nur in Niedersachsen fahren darf?
Wie überbrücken Sie das jetzt? Wir werden ab 2017 auch China-Auktionen in Brüssel machen, weil wir den Herkunftsnachweis der chinesischen Objekte nicht erbringen können. Die angedrohten Strafen im Gesetz sind recht übertrieben. Sammler im Ausland haben mittlerweile ein so schlechtes Bild von der Kunstmarktsituation in Deutschland bekommen, dass sie eher nach London oder Frankreich gehen. Nur: Wenn man die Kunst nicht rauslässt, dann kommt auch nichts mehr rein.
Sie sind verbandspolitisch sehr aktiv, etwa als Vorsitzender des Europäischen Verbands für Kunstversteigerer... ... ja, wir hatten kürzlich unsere Jahresversammlung und treffen uns regelmäßig im Kreise der europäischen Versteigerer und mit den Dachverbänden Europas. Die Musik der Szene spielt in Brüssel.
Soziales Engagement ist Ihnen wichtig. Sie unterstützten jüngst eine Auktion zugunsten der Deutschen AIDS-Stiftung. Möchten Sie die Welt ein Stück besser machen? Für die Deutsche AIDS-Stiftung habe ich schon ein paar Millionen gesammelt. Die Auktion „Art against AIDS“ hat Baronin Oppenheim aus Köln erfunden, und ich habe mit Alfred Biolek das erste Mal vor etwas über 20 Jahren versteigert. Dabei ging es immer darum, das Thema AIDS von seinem Tabu zu befreien, mit großer Unterstützung der Künstler.
Sie sind auch Professor an der Uni? Ja, aber nur Honorarprofessor, ich gebe seit jeher Seminare. Übungen vor Originalen und mit Originalen. Und die sind beliebt. Es ist so wie in der Medizin, wenn die Studenten das erste Mal mit am Bett des Patienten stehen dürfen.
Das Gespräch führte Julia Seifert.
Henrik Hanstein (RC Köln-Römerturm) leitet in fünfter Generation das Kunsthaus Lempertz, das älteste familiengeführte Auktionshaus der Welt. Außerdem ist er Vorsitzender der E.F.A., der European Federation of Auctioneers, des europäischen Verbandes der Kunstversteigerer Info: lempertz.com