Hoffmeisters Empfehlungen
Liebe – Echo eines Gefühls
Stürmische Emotionen finden sich nur in den Werken alter Meister.
In Zeiten digitaler Beziehungs-'Arbeit' und -Anbahnung präsentiert sich Emotion zunehmend als Funktion technischer Prozesse und Denkmodelle. Selbst Begriffe wie Liebe stehen eher für Simulation und die Niederungen psychoesoterischen Geredes als affektiver Tiefen-Dimension. So hilft denn insbesondere der Blick auf die einschlägigen Tableaus der Literatur- und Musikgeschichte zurückliegender Jahrhunderte, um einen authentischen Begriff von Liebe und Passion zu generieren. Niemand sollte auch nur der Illusion erliegen, genauer, subtiler und eindringlicher Gefühle zeichnen zu können als Legenden wie Shakespeare, Flaubert, Hofmannsthal, Celan, Gesualdo, Monteverdi oder Schubert. Dem Ende emotionaler und mentaler Aporien folgt die Auszehrung des Gemüts.
Niemals vor beziehungsweise nach Renaissance und Frühbarock stand die europäische Vokalmusik deutlicher, grundlegender und erschöpfender im Zeichen der Liebes-Aufruhr und emotionaler Ausnahmezustände: Rausch, Abgrund , Schmerz, Qual, Entgrenzung, Ekstase, Erlösungs- und Todesphantasien waren, noch bevor die ersten Opern sich dem Sujet annahmen, das zentrale Motiv unzähliger Lautenlieder, Madrigale oder Lamenti. Diese Welt der zarten Einlassung, seelischer Vielstimmigkeit und affektiver Schattenseiten differenziert abzubilden, intendieren die italienische Sopranistin Roberta Mameli und der Schweizer Lautenist Luca Pianca. Wir vernehmen reich schattierte, ausdrucksstarke wie schlichte, von Innigkeit getragene Vokalexegesen profund grundiert von exemplarischer Lautenkunst.
Die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann und der Lyriker Paul Celan begegneten sich erstmals 1948 in Wien. Das Treffen markierte den Beginn einer fragilen Beziehung, die, oszillierend zwischen Nähe, Intensität, Verletzung, Sprachlosigkeit, Schweigen, Verzweiflung, Überhitzung, Drama und Emphase, die Fallhöhe existentiell aufgeladener Bindung ausmaß. Der unter dem Titel 'Herzzeit' erschienene Briefwechsel (1948-1961) der Autoren ließ beispielhaft die Dimension seelischer Verwicklung aufscheinen. Die vorliegende Film-Dokumentation spiegelt Korrespondenz und Beziehungsgeflecht auf doppelte Weise: In der Lesung der Briefe durch die Schauspieler Anja Plaschg und Laurence Rupp wie über die Pausen-Konversation der Akteure während der Drehtage. Auf suggestive, fast magische Weise wird deutlich, wie Schauspiel und Imitation Realität manipulieren, wie zudem das Leben anderer im eigenen sich manifestiert.
Mit der Hörbiograpfie über den russischen Komponisten Peter Tschaikowsky setzt BR-Klassik einen weiteren Meilenstein im Segment Hörbuch. Neun Kapiteln und drei CDs bedarf Autor Jörg Handstein, um das komplexe, von Schicksalsschlägen und Gemütstrübungen gezeichnete Leben des homosexuellen Protagonisten in Szene zu setzen. Streng entlang der opulenten Quellenlage, getragen von profilierten Sprechern wie Udo Wachtveitl und Stefan Wilkening und gerahmt von sinnstiftend eingefügten Musikbeispielen ersteht das vielgesichtige Portrait einer schwer fassbaren Künstler-Persönlichkeit.
Vladimir Nabokovs umfassendes Oeuvre ist kaum denkbar ohne seine Frau, die ihm über ein halbes Jahrhundert als Muse, Korrektiv und Lektorin zur Seite stand. Ausdruck der symbiotischen Beziehung bilden eindrücklich die zahllosen „Briefe an Vera“, die jetzt erstmals veröffentlicht wurden. Zeitlose Dokumente seltener Nähe.
Martin Hoffmeister publiziert regelmäßig in nationalen und internationalen Magazinen und Zeitungen. Als Redakteur im Kulturressort des MDR-Hörfunk beobachtet er die Musik- und Literaturszene seit mittlerweile drei Jahrzehnten. Im Rotary Magazin empfiehlt er Neuerscheinungen aus dem Kulturleben und Fundstücke von seinen Reisen.
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