Titelthema
Schatzkammern an Saale und Weißer Elster
Die Vereinigten Domstifter zu Merseburg und Naumburg und des Kollegiatstifts Zeitz
Seit seiner Wiedergründung am 3. Oktober 1990 ist wohl kein Bundesland so unterbewertet wie Sachsen-Anhalt. Vierzig Jahre Sozialismus hinterließen die Altmark, die Magdeburger Börde und vor allem das einst pulsierende Mitteldeutsche Chemiedreieck als riesiges Brachland zurück. Ortsnamen wie Bitterfeld, Leuna und Halle-Neustadt wurden zu Synonymen für postsozialistische Trost- und Hoffnungslosigkeit. Die maroden Industriebauten verwaisten, die Seen und Flüsse waren verdreckt, und die leerstehenden Plattenbauten verfielen fast noch schneller als sie vor 1989 aus dem Boden gestampft worden waren.
Dabei hat dieses Kernland deutscher Geschichte eine kulturelle Dichte zu bieten wie kaum ein zweites Bundesland: die Klosterkirche von Jerichow etwa, mit der sich die Backsteingotik über die Elbe Richtung Osten und Norden ausbreitete. Oder den Magdeburger Dom, in dem Kaiser Otto der Große seine letzte Ruhe fand. Oder die Händel-Stadt Halle, in der nicht nur das Geburtshaus des Komponisten steht, sondern auch die Franckeschen Stiftungen. Und erst recht die Altstadt von Quedlinburg, die mit dem Grab des ersten deutschen Königs Heinrichs I. ebenso zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört wie das Dessau-Wörlitzer Gartenreich, das Bauhaus in Dessau und die Luthergedenkstätten in Eisleben und Wittenberg.
Höhepunkte der Sakralkultur
Zu dem elitären Kreis der Welterbestätten könnte bald auch der Naumburger Dom St. Peter und St. Paul gehören. Zusammen mit dem Dom St. Laurentius und Johannes in Merseburg sowie der Stiftsbibliothek in Zeitz bildet der Naumburger Dom die Vereinigten Domstifter.
Im Jahre 965 gründete Kaiser Otto I. an der Ostgrenze seines Reiches die Markgrafschaft Meißen und 968 die beiden Bistümer Zeitz und Merseburg. Vor allem Naumburg entwickelte sich schnell zu einer blühenden Stadt, nicht zuletzt dank seiner Lage an der Saale und an der Via regia, der großen Handelsstraße vom Rhein bis nach Schlesien. Als der Bischof von Zeitz im Jahre 1028 seinen Sitz nach Naumburg verlegte, statteten die beiden Markgrafenbrüder Hermann I. und Ekkehard II. von Meißen das neue Hochstift mit umfänglichen Besitzungen aus und ermöglichten damit den Bau des ersten frühromanischen Domes in Naumburg.
Als um 1210 Bischof Engelhard und das Domkapitel einen Neubau der Kathedrale veranlassten, beauftragten sie u. a. einen heute als Naumburger Meister berühmten und doch namentlich unbekannten Steinbildhauer mit der Ausschmückung des Hauses. Dieser setzte im Westchor mit einem Zyklus von zwölf Figuren – darunter Hermann und Ekkehard mit ihren Gemahlinnen Reglindis und Uta – den Stiftern ein Denkmal. Zusammen mit dem ebenfalls vom Naumburger Meister geschaffenen Passionsrelief des Westlettners gehören diese Stifterfiguren zu den Höhepunkten mittelalterlicher Kunst in Europa.
Im Laufe der Jahrhunderte folgten weitere Schätze der Sakralkultur. So zeigt das Domschatzgewölbe heute u. a. eine von Lukas Cranach d. Ä. geschaffene Darstellung Maria Magdalenas (um 1518/19), eine Pietà aus dem frühen 14. Jahrhundert und eine aus dem ersten Drittel des 13. Jahrhunderts stammende Schale mit dem Haupt Johannes des Täufers. Dass eine solche Sammlung nie beendet ist, zeigt die Elisabethkapelle. Diese erhielt 2007, anlässlich des 800. Geburtstags der heiligen Elisabeth von Thüringen, drei von Neo Rauch gestaltete Glasfenster, die Szenen aus dem Leben der Heiligen zeigen.
Ein kaiserliches Domstift
Auch der Dom zu Merseburg ist mit seiner reichen architektonischen und künstlerischen Ausstattung ein bedeutender Ort der mittelalterlichen Sakralkultur. Nachdem im Jahre 981 das Bistum Merseburg aufgelöst worden war, erfolgte 1004 durch Kaiser Heinrich II. eine Neustiftung, in deren Folge sich Merseburg nun zu einem geistlichen und kulturellen Zentrum an der östlichen Reichsgrenze entwickelte. Der Kaiser persönlich stattete das neue Domstift großzügig aus und nahm 1021 auch an der Weihe des Doms teil.
In der Folgezeit blieb die Geschichte der Stadt und des Domstifts immer wieder mit großen Persönlichkeiten verbunden. So gilt der vierte Merseburger Bischof Thietmar (1009–1018) als einer der bedeutendsten Geschichtsschreiber des Mittelalters und seine Chronik als eine der wichtigsten Quellen für das Zeitalter der Ottonen. Thietmars Grabplatte befindet sich ebenso im Merseburger Dom wie die Bronzegrabplatte Rudolfs von Schwaben, ein Schwager Heinrichs IV., der sich im Zuge des Investiturstreits 1077 zum Gegenkönig wählen ließ. Die dritte große Figur des Mittelalters in Merseburg ist Bischof Thilo von Trotha, der nach seiner fast fünfzigjährigen Amtszeit das beeindruckende Ensemble aus Bischofsschloss und Domkirche hinterließ, das bis heute über der Saale thront und das Bild der Merseburger Altstadt prägt.
Auch die Sammlungen des Merseburger Doms bilden ein kulturhistorisches Kleinod. Zu erwähnen sind u. a. die in zwei Etappen – 1855 und 1866 – von Friedrich Ladegast errichtete Orgel, auf der 1856 Franz Liszts „Fantasie und Fuge über B-A-C-H“ uraufgeführt wurde, und die Domstiftsbibliothek, zu deren über 10.000 Zeugnissen frühmittelalterlicher Schriftkultur die in Althochdeutsch verfassten Merseburger Zaubersprüche gehören.
Ein Bischof und seine Bibliothek
Ein bedeutender Bücherschatz steht auch im Mittelpunkt des dritten Standortes der Vereinigten Domstifter – der Zeitzer Stiftsbibliothek. Die Geschichte von Zeitz ist eng mit der Naumburgs verbunden. Der Verlust des Bischofsitzes an Naumburg im Jahre 1028 führte zu einem Bedeutungsverlust für Zeitz und die Stiftsherren der Stadt. 1285 verlegte dann jedoch Bischof Bruno wieder seinen Sitz zurück nach Zeitz. Grund dafür waren u. a. eine dramatische Verschuldung des Bistums infolge des aufwändigen Neubaus des Doms an der Saale und das zunehmende Aufbegehren des Domkapitels in Naumburg. Nach dem Umzug blieb die Zeitzer Burg bis zum Ende des Bistums die Residenz der Bischöfe.
Der letzte unter ihnen, Julius von Pflug, ist zugleich eine der spannendsten Figuren in der Geschichte des Bistums. Julius war nach seinem Studium in Padua und Bologna ein klassischer Universalgelehrter und einer der wichtigsten Berater Kaiser Karls V. in Religionsfragen. Als papsttreuer Bischof bekämpfte er die Lehren der Reformatoren, sammelte jedoch ihre Schriften und studierte diese sehr genau. Die Ironie der Geschichte will es, dass so ausgerechnet derjenige katholische Bischof, der Luther und seine Mitstreiter in ihrem Ursprungsland bekämpfte, eine der umfangreichsten Sammlungen der Werke der Reformatoren hinterließ. Seine einzigartige Gelehrtenbibliothek vererbte Julius von Pflug dem Naumburger Domstift und verfügte zugleich, dass sie dauerhaft in Zeitz aufgestellt werden solle. So bildet der Nachlass Julius Pflugs zusammen mit den älteren Beständen der Naumburger Bischöfe und der Zeitzer Stiftsherren den Kern der Zeitzer Stiftsbibliothek.
Vom Stift zur Stiftung
So wie die Reformation zum schicksalhaften Einschnitt für die Domstifter wurde, so wurden Naumburg und Merseburg auch zu schicksalhaften Orten für die Reformation. Als 1541 das Bischofsamt für das Bistum Naumburg-Zeitz vakant wird, schaltet sich Martin Luther in die Suche nach einem Nachfolger. Allerdings hatte das Domkapitel hatte bereits den papsttreuen Julius von Pflug zum Bischof gewählt. Doch da der Kurfürst mit Pflug nicht einverstanden war, erklärte er dessen Wahl für ungültig und setzte am 20. Januar 1542 im Naumburger Dom Nikolaus von Amsdorf als ersten evangelischen Bischof der Geschichte ein. Luther selbst predigte dabei über das Bischofsamt, und am Schluss der Zeremonie kniete der erste evangelische Bischof vor dem Reformator nieder, gelobte Treue und wurde durch Handauflegen geweiht.
Da auch Julius von Pflug bis zu seinem Tode 1564 im Amt blieb, gab es fortan zwei konkurrierende Bischöfe von Naumburg-Zeitz. Doch schon bald wurde der überwiegende Teil der Bevölkerung, nicht zuletzt durch den Einfluss des Kurfürsten, lutherisch. Auch im Bistum Merseburg leisteten die Katholiken zumindest in dem vom Domkapitel kontrollierten Gebiet noch längere Zeit heftigen Widerstand gegen die Lutheraner. Doch auch hier weihte Martin Luther – nach dem Tod des Bischofs Sigismund von Lindenau 1544 – mit Fürst Georg III. von Anhalt persönlich einen evangelischen Bischof.
Nach der Reformation blieben die Domstifte und das Kollegiatstift zunächst eigenständige evangelisch-lutherische Institutionen. Sie behielten ihre Satzungsautonomie und Selbstverwaltung und waren mit eigenem Siegel ausgestattet. Diese Eigenständigkeit überstand nicht nur die Reformation, sondern auch den Reichsdeputationshauptschluss von 1803 – durch den zahlreiche Territorien des alten Reiches ihre Unabhängigkeit verloren und ein Großteil des kirchlichen Besitzes von den verbliebenden Fürstentümern übernommen wurde – sowie auch den Übergang weiter Teile Sachsens an Preußen nach dem Wiener Kongress 1815.
Gleichwohl blieb der rechtliche Status der Stifte unter preußischer Herrschaft über ein Jahrhundert ungeklärt und wurde erst im Jahre 1930 mit der Umwandlung der Institutionen in Stiftungen öffentlichen Rechts geregelt. Der erste Dechant – also ehrenamtliche Vorsteher – des dann 1936 neugebildeten Vereinigten Domkapitels mit Sitz in Naumburg wurde Generalfeldmarschall August von Mackensen.
Die Stifter im Sozialismus
Dass dieses Konstrukt nicht nur die NS-Zeit überstand, sondern auch vierzig Jahre DDR, ist wesentlich Erhard Hübener zu danken, dem ersten Ministerpräsidenten des nach dem Kriege gegründeten Landes Sachsen-Anhalt, der als Liberaldemokrat der einzige nichtkommunistische Regierungschef der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR war. Hübener beließ die Vereinigten Domstifter in ihrer Unabhängigkeit, setzte einige Vertreter der neuen Staatsmacht in deren Gremien, und auch seine Nachfolger in der Bezirksverwaltung Halle rührten später nicht mehr daran.
Eine weitere prägende Figur in der DDR-Zeit war der Kunsthistoriker Ernst Schubert. Dieser hatte sich durch seine Arbeit auch international einen Namen erworben und konnte deshalb vergleichsweise unabhängig vom Regime agieren. Schubert gehörte seit 1977 dem Domkapitel der Vereinigten Domstifter an und war von 1984 bis 2003 dessen Dechant. Nach der Wende wurde er u. a. der erste Vorsitzende der 1990 wieder gegründeten Historischen Kommission für Sachsen-Anhalt – und zudem Mitglied im Rotary Club Halle (Saale).
In der Gegenwart
Zur prägenden Figur der Nachwendezeit wurde Georg Graf von Zech-Burkersroda (RC Münster), der von 2002 bis 2012 als Dechant dem Domkapitel vorstand. Für ihn, dessen Familie seit Jahrhunderten in der Region an Saale und Unstrut ansässig ist, war das Engagement für die Vereinigten Domstifter nicht nur ein Dienst zum Wohle der Allgemeinheit, sondern auch eine persönliche Heimkehr. Sein Wirken zeigt, welches Potential mit der Vertreibung der alten Familien aus Mitteldeutschland verloren gegangen ist.
Das Tagesgeschäft der Vereinigten Domstifter wird vom Stiftsdirektor geführt.Dieses Amt bekleidet seit 2008 Dr. Holger Kunde (RC Naumburg). Zusammen mit seinen 37 Mitarbeitern ist Kunde für die Unterhaltung der drei Standorte Naumburg, Merseburg und Zeitz verantwortlich. Dazu gehört auch, da die Vereinigten Domstifter eigenständig sind, die permanente Sicherung der Finanzierung – wobei man angesichts der Bedeutung der drei Häuser für die Region durchaus fragen kann, ob der Staat die Stiftung beim Bestreiten ihres Unterhalts wirklich allein lassen sollte.
Um immer wieder neue – und alte – Besucher nach Naumburg, Merseburg und Zeitz zu locken, haben die Vereinigten Domstifte unter der Ägide ihres Direktors in den vergangenen Jahren eine Reihe von Ausstellungen initiiert, darunter 2011 eine viel beachtete Schau über den Naumburger Meister. Im zuende gehenden Reformationsgedenkjahr erinnerte die Stiftung in Zeitz an Julius Pflug. Und im kommenden Jahr wird eine große Ausstellung in Merseburg Bischof Thietmars gedenken. So leisten die guten Geister der Vergangenheit ihren Beitrag für das weitere Gedeihen der Vereinigten Domstifter
Einführung in die Baukunst des Mittelalters
Ein besonderes Projekt der Vereinigten Domstifter ist die KinderDomBauhütte in Naumburg. Hier haben Kinder und Jugendliche die Möglichkeit, unter der Leitung der Museumspädagogin Jessica Buchwald die Welt der Bauhütten des 13. Jahrhundert zu entdecken und – angeleitet von Jugendlichen im Freiwilligen Sozialen Jahr – als Steinmetz, Glaser oder Baumeister den Einklang von Kunst, Architektur und Religion im Mittelalter zu erfahren. Die vielfältigen Angebote beinhalten u. a. Kurz- und Tagesprojekte für Schulklassen, Kindergeburtstage und Kreativangebote für Erwachsene.
Weitere Informationen zu allen Standorten der Stiftung unter:
vereinigte-domstifter.de