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Speisen wie Gott in Belgien

Titelthema - Speisen wie Gott in BelgienFotostrecke: Speisen wie Gott in Belgien
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Lokal verwurzelt – und zugleich weltoffen. So präsentieren sich die meisten Restaurants in Brüssel. Eine kleine Auswahl.

Paul Gelders01.04.2019

In Brüssel sind Schlemmereien mit Produkten, die eine Seele besitzen, ein köstlicher Standard. Perlmuttfarbenes Muschelfleisch, knusprige Fritten, Schokolade mit hypnotischem Aroma, deutlicher oder subtiler herber Geschmack verschiedener Biere… Brüssel genießt in den großen Häusern, in den freundlichen Restaurants oder in den Neo-Kantinen. Und für diejenigen, die unterwegs der Appetit überkommt, füllen die Frittenbuden und die Food-Trucks die Straßen von Brüssel mit den Geschmäckern der Welt. Lassen Sie sich von den Geschmackspapillen führen.

„Brusselicious“
Das Angebot an Restaurants, die sich der klassischen belgischen Küche verschrieben haben, ist in der Hauptstadt naturgemäß besonders groß. Das Label „Brusselicious“ fasst die besten Adressen zusammen, die sich zur belgischen Küche bekennen – und die ihr auch zur Ehre gereichen. Jedes hier verzeichnete Haus hat eine eigene Persönlichkeit; alle haben sich jedoch die Verteidigung der Werte der lokalen Küche auf die Fahne geschrieben: einfach, gesellig, schmackhaft.
Es war übrigens in Brüssel, wo der Guide Michelin 1972 erstmalig drei Sterne an ein Restaurant außerhalb Frankreichs vergab. Diese Auszeichnung erhielt die Villa Lorraine, und dieses Lokal ist auch heute noch ein Aushängeschild des gastronomischen Erbes der Hauptstadt Europas. In einem Umkreis von weniger als zehn Kilometern rund um Brüssel herum gibt es mehr als hundert Sterne-Restaurants, in der Stadt selbst gibt es sechs Lokale mit zwei Sternen und achtzehn Restaurants mit einem Stern.
Unter den sechs Häusern, die mit zwei Sternen ausgezeichnet wurden, ist das älteste und zweifellos bekannteste das Comme chez Soi. Von Pierre Wynants in die gastronomischen Höhen getragen und von 1979 bis 2006 dreifach mit Sternen ausgezeichnet, steht dieser von gekrönten Häuptern, Berühmtheiten und erleuchteten Amateuren frequentierte Brüsseler Tempel der feinen Gastronomie heute unter der Ägide des begnadeten Lionel Rigolet. Der Schwiegersohn von Pierre Wynants hat das Steuer 2006 übernommen und schrittweise den Stil zu einer zeitgenössischen Küche weiterentwickelt, die dennoch einige der mythenhaften Gerichte seiner illustren Vorgänger nicht verleugnet.
Entfernt vom Lärm des Stadtzentrums schmiegt sich das Chalet de la Forêt in eine elegante Parklandschaft, die zu seinem Chef, Pascal Devalkeneer, wie eine zweite Haut passt, und die es ihm gestattet, seine gesamte Sensibilität einhergehend mit den Pflanzen, den Jahreszeiten und den schönen Produkten auszudrücken.
Christophe Hardiquest wiederum hat, kraft unauffälliger Arbeit und Opferbereitschaft, sein Bon-Bon zu einer Speerspitze der gesamten belgischen Szene gemacht. Der Gault-Millau hat es übrigens mit einer Bewertung von 19,5/20 belohnt, die bis dato einzig Peter Goossens vom Hof van Cleve erreicht hatte. Er arbeitet jeden Tag in seiner zum Gastraum geöffneten Küche, mit Leidenschaft und Demut, auf der ewigen Suche nach einer seltenen geschmacklichen Perfektion. Eine wirklich großartige Adresse!
Das Restaurant La Paix in Anderlecht wurde 1892 in einem neo-klassizistischen Gebäude eröffnet. In seinem Inneren ist die Geschichte dieses Ortes versammelt, vermischt mit Kunstwerken von Charles Kaisin, Kasper Hamacher, Lana Ruellan, während der Blick auf eine strahlend schöne offene Küche gestattet wird. Die Küche von David Martin ist ein Kondensat des belgischen Mikrokosmos: warmherzig, jedoch ohne Angeberei, großzügig und doch raffiniert, subtil und doch kraftvoll, tief lokal verwurzelt und doch der Welt gegenüber offen.
Yves Mattagne vom Sea Grill hat seinerseits seinen Ruf aufgebaut, indem er hauptsächlich mit den Produkten des Meeres arbeitet. Er zeigt eine seltene Meisterschaft in einer Küche mit vielen Nuancen und Geschmäckern, die zeitweilig mit delikaten asiatischen Einflüssen angereichert ist. Sein Restaurant hat gerade ein neues Gewand erhalten, um seine Gäste noch mehr zu verwöhnen.
Die Villa in the Sky von Alexandre Dionisio ist nur ein Jahr nach ihrer Eröffnung Ende 2014 dem erlesenen Club der mit zwei Sternen ausgezeichneten Restaurants beigetreten. Die spektakuläre Ansiedlung dieser kleinen extrovertierten Schwester der Villa Lorraine ruht im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Dach eines der höchsten Brüsseler Gebäude und ist in Verbindung mit dem erfreulichen Talent ihres Chefs schnell zu einem absoluten Muss geworden. Hier wird ein atemberaubendes Bild gleichermaßen auf dem Teller wie in der Aussicht geboten.

Vielfalt mit und ohne Stern
Brüssel bietet auch eine verlockende Vielfalt an abwechslungsreichen Ein-Sterne-Restaurants. Hier findet man große, zeitlose Häuser wie das Bruneau, die Villa Lorraine oder das Le Passage, die abwechslungsreiche japanische Küche des Kamo, die sizilianische Seele des jovialen Giovanni Bruno vom Senzanome, seine transalpinen Kollegen vom Da Mimmo und vom San Daniele, die französische Küche der guten Produkte des Pigeon Noir oder des Monde Est Petit, das Alexandre mit dem von der göttlichen Offenbarung Isabelle Arpin errungenen Stern oder auch das Trüffel-Nirwana, wie es von Luigi Ciciriello im Truffe Noire gesehen wird.
Brüssel hört jedoch bei weitem nicht bei seinen Sternen auf. Unter den unzähligen Restaurationen hoher Qualität möchte ich einige herausstellen, die einen besonders positiven Ruf haben:
Als David Martin Karen Torosyan an seiner zweiten Adresse, in der Brasserie Bozar, eingeführt hat, hätte er sich vielleicht nicht vorstellen können, dass dieser buchstäblich den Rahmen mit seiner Küche sprengen würde, die den großen historischen Gerichten der französischen Gastronomie-Tradition die Ehre erweist. Im Jahr 2015 zum Champion du Monde du Pâté en Croûte gewählt, setzt Karen unglaubliche Meisterstücke auf seine Karte: Pasteten, Wildhase königlicher Art oder auch ein Cassoulet nach Art des Hauses oder die mythenhafte Fleischpastete Oreiller de la belle Aurore.
Damien Bouchery hat wiederum in nur wenigen Jahren aus seinem Bouchéry ein Brüsseler Muss gemacht. Genau wie Nicolas Scheidt vom La Buvette oder Erwan Nakata vom Chez Gramm, bietet er ein einzigartiges Menü, von den Jahreszeiten und von streng bei den Produzenten ausgewählten Produkten inspiriert, die die gleiche Vision der Küche und die gleichen Werte teilen.
Als Sang Hoon Degeimbre sich für die Eröffnung des SAN tief im Herzen Brüssels entschied, hat er – beinahe logischerweise – den Herd Toshiro Fujii anvertraut, der lange Zeit sein zweiter Küchenchef im Air du Temps war. SAN, das ist eine Formel, die genau ins Schwarze trifft: eine ultrakurze Karte von in einer Schale servierten Gerichten, die mit allein einem einzelnen Löffel ausgerüstet zu genießen sind. Frei von jedem Schnickschnack, ermöglicht es dieser Ansatz, sich auf das Wesentliche einer außergewöhnlich originellen, intelligenten und geschmacklich herausragenden Küche zu konzentrieren.

Trend zur Internationalität
Es wäre jedoch schade, hier einfach aufzuhören, denn die Neugier wird oft belohnt, wenn man die Tür zu einem unserer Restaurants aller Geschmacks- und Stilrichtungen öffnet.
Denn Brüssel bietet im Hinblick auf die Küchen der Welt zweifellos ein äußerst vielfältiges Angebot. Dieser Trend hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen und spiegelt im Grunde nur das Weltbürgertum der heutigen Brüsseler Stadtbevölkerung wider. Wo die Vielfalt quasi unendlich ist, sind auch die Qualität und die Authentizität schön und gut präsentiert. Dies ist übrigens heutzutage eine der Stärken des gastronomischen Angebots der Stadt. So verwundert es auch nicht, dass inzwischen sogar mehrere Brüsseler Sterne-Restaurants eine andere als die franko-belgische Küche anbieten.
Neben den klassischen exzellenten Adressen, die mittlerweile schon einige Jahrzehnte die gastronomische Szenerie Brüssels dominieren, lässt sich seit einigen Jahren das Aufkommen einer neuen Generation an Lokalen beobachten, die eine einfache, wilde und authentische Küche anbieten, die jedoch auf Produkten von hoher Qualität basiert. Diese überschäumende Vitalität betrifft sämtliche Küchen und Stile und lässt sich oft an geselligen und erschwinglichen Orten genießen, von den Food Trucks bis hin zu den Neo-Kantinen, Mikrorestaurants, Delikatessengeschäften mit Tagesgerichten oder anderen originellen und manchmal unerwarteten Orten.
So treffen heute – wie ein Zeichen der Reife einer gewachsenen Gourmet-Szene – die seit langer Zeit in Brüssel ansässigen Küchen, wie die französische oder die italienische Küche, auf eine Reihe von jungen experimentellen Lokalen, die nicht zuletzt außerordentlich verführerische regionale Spezialitäten bevorzugen. Auf dass Sie diese finden mögen!


 

Restaurant-Tipps

Paul Gelders
Paul Gelders (RC Riemst-Zuid-Limburg) war unter anderem von 2002 bis 2010 CEO von Gault-Millau Benelux, von 2010 bis 2012 CEO von „De Wijnmakelaarsunie“ sowie von 2012 bis 2018 Generaldirektor von „The Mastercooks of Belgium“.
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