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Rotary Entscheider

„Viele Bälle in der Luft“

Rotary Entscheider - „Viele Bälle in der Luft“
Rund 60 moderne Kultureinrichtungen in einem Gebäudekomplex aus dem 18. Jahrhundert zu koordinieren erfordert für die Direktorin viel Fingerspitzengefühl. © Lorenz Seidler

Seit etwas mehr als einem Jahr ist Bettina Leidl Direktorin des Wiener Museumsquartiers. Dabei hat sie viele Institutionen und Interessen unter einen Hut zu bringen und für neue Ideen zu begeistern.

01.05.2023

Ehemals waren es die Stallungen für den kaiserlichen Hof. Heute ist das „MQ“ Heimstätte für Kunst und Kultur. Da auch Museen und Kunsthallen die Energiekrise spüren, hat Bettina Leidl für eine der größten und wichtigsten Kultureinrichtungen Österreichs ein Konzept für mehr Energieeffizienz und Begrünung vorgestellt. Das große Thema ihres ersten Jahres im Amt war freilich ein anderes.

Was war für das MQ das wichtigste Ereignis in Ihrem ersten Jahr?

Das war auch für uns der Überfall auf die Ukraine. Da hat sich schnell die Frage gestellt, wie kann das Museumsquartier Stellung beziehen. Wir haben von Künstlerinnen und Künstlern aus der Ukraine Statements an die Hauptfassade projiziert und ihre Botschaften damit einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Zudem haben wir mit dem „Freiraum Ukraine“ einen Ort geschaffen, an dem geflüchtete Kunstschaffende arbeiten und in Dialog mit der lokalen Kunstszene treten konnten, und wir haben damit unsere Solidarität signalisiert.

Das läuft immer noch?

Ja, wir zeigen heuer im Hof eine große Skulptur des ukrainischen Künstlers Pawlo Markow, der damit die Widerstandsfähigkeit der Ukraine symbolisiert. Zudem haben wir hier seit März 2022 unter dem Titel „Shelter of Ukraine“ eine erste Anlaufstelle zur Unterstützung für ukrainische Kunstschaffende, finanziert vom Kunstministerium.

Stichwort Ministerium: Sie sind auf fünf Jahre von der Politik bestellt. Wie abhängig ist man da von der Politik?

Ich bin von der Generalversammlung der Eigentümer bestellt.

Das sind die Republik und die Stadt Wien.

Genau. Und es gilt eben, dem kulturpolitischen Auftrag der Eigentümer, also der öffentlichen Hand, zu entsprechen. Das heißt, das Museumsquartier lebendig zu halten, unterschiedliche Programme anzubieten, den großen öffentlichen Raum zu bespielen und so weiter. Vor der Bestellung gibt es ein öffentliches Hearing, es geht um die Erfahrung, die man mitbringt, und auch die Visionen. Da konnte ich mich aus 25 Bewerbungen mit meinem Konzept für die Zukunft des Museumsquartiers durchsetzen.

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Bettina Leidl dirigiert mit dem Wiener Museumsquartier eines der größten Kunst- und Kulturareale der Welt © Lorenz Seidler

Das Museumsquartier ist eigentlich ein Sammelbecken verschiedener Kultureinrichtungen, also Museen, Theater, Tanz, Literatur, Architektur, dazu Gastronomie, sogar Wohnungen gibt es hier. Wie ist das unter einen Hut zu bringen?

Na ja, man hat schon viele Bälle in der Luft! Es sind 90.000 Quadratmeter mit vielfältigen Kulturnutzungen von Architektur über Design, bildende und darstellende Kunst bis hin zu Kinderkultur. Dazu kommt der öffentliche Raum, die Innenhöfe. Da gibt es manchmal Konzerte, und oft sind am Abend sehr viele Leute hier, die besonders im Sommer nicht um 21 Uhr gehen wollen. Das mit dem Ruhebedürfnis der Mieterinnen und Mieter zu vereinbaren ist schon oft herausfordernd. Wir haben im Museumsquartier über vier Millionen Besucherinnen und Besucher im Jahr, die das kulturelle Angebot nutzen. Man muss eben die Interessen ausgleichen.

Auch die großen Institutionen hier sind rechtlich gesehen Mieter. Ist der Name Museumsquartier, wiewohl er sich eingeprägt hat, nicht eigentlich falsch, weil es ja noch viele andere hier gibt?

Aber die größten Institutionen sind schon die Museen und Kunsthallen. Das interdisziplinäre Zusammenspiel ist ja auch das Interessante. Wir waren Ausweichquartier für das Volkstheater, während dort renoviert wurde, jetzt ist das Theater an der Wien hier, weil dort umgebaut wird. Das bringt natürlich eine Lebendigkeit und eine Durchmischung des Publikums.

Wenn Sie Initiativen setzen, wie frei können Sie als Geschäftsführerin da entscheiden?

Man braucht eine gute Gesprächsebene mit den Eigentümern für die entsprechenden Beschlüsse, dann kann man sie für Ideen begeistern. Wir agieren als Gesellschaft ja hier nicht alleine, sondern natürlich permanent im Dialog mit den Mietern, den Institutionen hier, damit sie das mittragen und auch ihre eigenen Inhalte einbringen können.

Die Aushängeschilder sind sicherlich das Leopold Museum und das Mumok, schon wegen ihrer touristischen Bedeutung. Haben die eine gewisse Sonderposition?

Grundsätzlich ist mein Ziel, alle entsprechend zu berücksichtigen und mitzunehmen. Aber aufgrund der Größe und der thematischen Inhalte gibt es mit diesen Museen bisweilen eine stärkere Zusammenarbeit.

Ein großes Thema ist Ihr kürzlich vorgestellter Plan für mehr Begrünung und eigene Energiegewinnung.

Wir erarbeiten gerade eine Machbarkeitsstudie für Solarenergie, Wärmepumpen und dergleichen. Die Energiekrise hat auch den Kultureinrichtungen verdeutlicht, wie viel Energie notwendig ist, um die Häuser zu betreiben. Damit wird der Umstieg auf erneuerbare Energien auch hier ein großes Thema.

Wie ist das mit dem Denkmalschutz in Einklang zu bringen?

Natürlich müssen wir auf den Denkmalschutz Rücksicht nehmen. Wir führen Gespräche, inwieweit es uns erlaubt wird, Dachflächen zu nutzen. Man wird Solarpaneele nicht unbedingt dort anbringen, wo sie weithin sichtbar sind. Das sind dann Einzelheiten. Aber insgesamt gibt es ein großes Umdenken, damit wir die Energiewende schaffen. Dazu gehört auch die Begrünung der Innenhöfe, für das Mikroklima. Dafür schreiben wir gerade einen Wettbewerb für Landschaftsarchitekten aus.

Die Innenhöfe wirken jetzt wie große Steinplatten.

Die Plätze bringen die Architektur entsprechend zur Geltung, aber heute würde man wahrscheinlich vieles anders planen. Das hat man immer im innerstädtischen Bereich. Man lebt mit der Geschichte eines Ortes.

Die Fassade ist mit 300 Metern die längste Barockfassade in Wien. Wie bewältigt man da die Herausforderung zwischen Erhalt eines kulturhistorischen Erbes und modernen Ideen?

Wir haben heuer den 300. Todestag von Fischer von Erlach. Ich bin in Salzburg aufgewachsen, somit ist mir sein Barock durchaus vertraut. Er hat auch die Karlskirche, den Prunksaal der Nationalbibliothek und eben diese damaligen Stallungen des Kaisers gebaut, das heutige Museumsquartier. Diese große Fassade wird von manchen als Barriere zu den Museen innen gesehen. Wir wollen sie heuer besonders zur Geltung bringen. Es gibt 40 Nischen in der Fassade, die wurden damals für die Kunst geplant, aber nach Fertigstellung nicht an Künstler zur entsprechenden Gestaltung übergeben. Wir haben nur überall Pferdeköpfe. Wir schreiben dieses Jahr erstmals einen Wettbewerb aus, um die Nischen in der Fassade zu bespielen.

Sie haben eigentlich Ethnologie, Politikwissenschaft und Betriebswirtschaft studiert. Sind Sie deshalb in den Kulturbereich gekommen, weil Sie als Studentin beim Regisseur Michael Schottenberg gearbeitet haben?

Ja, das war immer meine Passion und hat mir dann eröffnet, wie viele Möglichkeiten es in der Kultur gibt.

Wäre aus der Arbeit mit Schottenberg nicht auch das Theater ein möglicher Weg gewesen?

Durchaus. Der Zugang in die bildende Kunst war nicht so geplant, weil Theater und Film am Anfang meiner Berufstätigkeit sehr prägend waren. Aber ich habe gelernt, dass es eine gewisse Offenheit braucht. Heute gibt es immer mehr Überschneidungen zwischen Theater und bildender Kunst, bei Performances zum Beispiel. Da kommt wieder alles zusammen.

Sie sind seit 2011 bei Rotary. Ist der Kultursektor ausreichend bei Rotary vertreten?

Das hängt vom Club ab. In meinem Club, Wien-Stephansplatz, ist der Kulturbereich jedenfalls gut vertreten mit Lilli Hollein, Johanna Rachinger und Elke Hesse.

Ich meinte, weil Rotary bisweilen als eine Art Business-Plattform gesehen wird. Es gibt viele Ärzte, Rechtsanwälte, Wirtschaftstreibende sowieso. Findet sich der Kultursektor hier ausreichend wieder?

Ich glaube, es geht nicht nur um Mitglieder. Die Kultur ist etwas Verbindendes, und je weiter sich unsere Gesellschaft fragmentiert, umso wichtiger wird, dass sich Menschen aus unterschiedlichen Berufen mit Kultur treffen. Ob sie das jetzt beruflich tun, ist gar nicht so wichtig. Gemeinsame Theater- oder Museumsbesuche etwa sind ein Gemeinschaftserlebnis, das man vielleicht sonst nicht hätte.

Sie hatten ja schon mehrere Funktionen im Club. Was ist generell Rotary für Sie?

Diese vier Fragen, die sind von zentraler Bedeutung. Zum Beispiel, ob es dem Wohl aller Beteiligten dient. Es gibt hier am Areal so viele Beteiligte, Mieter in den Wohnungen, die Kulturinstitutionen bis hin zu den Besucherinnen und Besuchern. Da ist die Sensibilität wichtig, dass jede Maßnahme auch Folgen für alle haben kann. Der rotarische Wertekanon geht für Sie also weit über das Rotarische hinaus. Das soll ja auch sein!

Das Gespräch führte Hubert Nowak.


Zur Person 

Bettina Leidl, RC Wien-Stephansplatz, war Geschäftsführerin der Kunsthalle Wien, der Wiener Kreativagentur und ab 2014 des Kunst Hauses Wien. Seit 2022 ist sie Geschäftsführerin der MuseumsQuartier Errichtungs- und BetriebsgesmbH in Wien.

mqw.at