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Buch der Woche

Warum träumen wir schlecht?

Wer ist nicht schon einmal nachts aus Albträumen aufgeschreckt? Der Diplom-Psychologe Reinhard Pietrowsky betrachtet die psychologischen Aspekte dieses Phänomens ebenso wie den Widerhall von Albträumen in der Kunst und ihre Auswirkungen in unterschiedlichen Kulturkreisen und zu verschiedenen Zeiten. Wir haben eine exklusive Leseprobe für Sie.

21.08.2014

Wodurch Albträume entstehen

(....) selbst in der wissenschaftlichen Literatur herrschte bis noch vor wenigen Jahrzehnten die Auffassung, Albträume entstünden durch ungünstige körperliche Faktoren, wie z. B. ein zu reichhaltiges Essen kurz vor dem Schlafengehen oder falsche Ernährung. Falsche Schlafpositionen oder Atemnot während des Schlafens wurden ebenfalls lange als Ursache für Albträume angesehen. Heute wissen wir, dass auch diese Faktoren nicht wesentlich zu Albträumen führen.

6.1. Akute Belastungen

Dass akute Belastungen zu Albträumen führen können, scheint eine allgemein bekannte Tatsache zu sein. Kindern sagt man, sie sollten keine grausamen Filme schauen, um davon nicht schlecht zu träumen. Und auch als Erwachsene kennen wir das Phänomen, dass wir bei belastenden Ereignissen (z. B. Konflikten am Arbeitsplatz oder in der Familie, Prüfungsstress), schlecht träumen oder davon im Traum heimgesucht werden können. Doch führen akute, also kurzfristige und aktuelle Belastungen tatsächlich zu Albträumen?

Auch wenn es augenscheinlich und nach subjektiven Erfahrungen so sein mag, ist der Forschungsstand hier weniger eindeutig. Zwar ist es unbestritten, dass akute Belastungen zu Albträumen führen können, jedoch sind diese Belastungen oft nicht das Thema der Albträume, sondern sie führen in der Regel zu Albträumen mit ganz anderen Albtrauminhalten. So gehen Stressbelastungen tatsächlich oft mit dem Auftreten von Albträumen einher. In einer Untersuchung von Kales, Soldatos, Caldwell, Charney, Kales, Markel, und Cadieux (1980) gaben 90 % der befragten Personen, die Albträume hatten, an, dass akuter Stress bei ihnen die Häufigkeit von Abträumen erhöht. Und bei 60 % dieser Personen gingen auch tatsächlich belastende und aufwühlende Ereignisse den Albträumen voraus. Ebenso konnten Krakow, Kellner, Neidhardt, Pathak und Lambert (1993) nachweisen, dass die meisten Menschen mit häufigen Albträumen vor dem tatsächlichen Auftreten der Albträume eine für sie belastende Zeit hinter sich hatten. In zahlreichen Untersuchungen konnte weiterhin gezeigt werden, dass das Ausmaß des erlebten Stresses mit der Häufigkeit von Albträumen in Zusammenhang steht.

Jedoch ist es so, dass die stresshaften Ereignisse eines Tages nur einen schwachen Einfluss auf das Auftreten von Albträumen in der darauffolgenden Nacht haben. Perlis und Nielsen (1993) haben mit einer Tagebuchstudie versucht, den Einfluss der Belastungen eines Tages auf Albträume in der folgenden Nacht aufzuzeigen, konnten jedoch nur einen sehr geringen Zusammenhang zeigen. In ihrer Studie nahm unmittelbar nach einem stressreichen Ereignis oder einer akuten Belastung die Häufigkeit von Albträumen nicht wesentlich zu. Auch wir konnten in einer Studie an Personen mit einer Spinnenangst zeigen, dass das Betrachten eines Dokumentarfilms über Spinnen wenige Stunden vor dem Einschlafen (was für diese Personen eine extreme Belastung darstellte) nicht zu einer Zunahme von Albträumen oder Träumen über Spinnen in der folgenden Nacht geführt hat. Es scheint also eher so zu sein, dass belastende oder stressreiche Ereignisse das Auftreten von Albträumen nicht sofort, sondern mit einer Verzögerung von mehreren Tagen bewirkt. Zudem führen belastende Ereignisse, wenn sie Albträume auslösen, oft zu Albträumen, in denen gar nicht das ursprüngliche belastende Ereignis vorkommt, sondern andere angsterzeugende Inhalte. Das heißt aber nicht, dass nicht doch in manchen Fällen auch von einem vor kurzer Zeit tatsächlich stattgefundenen belastenden Ereignis in einem Albtraum geträumt werden kann. Wir können also festhalten, dass stresshafte und akut belastende Ereignisse tatsächlich zum Auftreten von Albträumen führen können, dass in diesen Albträumen aber nicht unbedingt von dem tatsächlich belastenden Ereignis geträumt wird, sondern oft ganz andere Albtrauminhalte vorkommen. Möglicherweise wird der Einfluss der akuten Belastungen auf Albträume auch aufgrund unserer subjektiven Erfahrung überschätzt, weil wir diese Albträume mit bestimmten Ereignissen in unserem Leben in Verbindung bringen können, bleiben sie uns besser in Erinnerung. Und schließlich müssen noch andere Faktoren, nämlich bestimmte Persönlichkeitsfaktoren hinzukommen, die uns anfällig dafür machen, dass wir nach oder während akuten Belastungen Albträume haben. So konnte gezeigt werden, dass der Einfluss von akuten Stressbelastungen auf das Auftreten von Albträumen verschwindet, wenn solche Persönlichkeitsfaktoren mit Hilfe von statistischen Verfahren kontrolliert werden (Schredl, 2003). Was diese Persönlichkeitsfaktoren sein können, wollen wir im nächsten Kapitel näher betrachten.

6.2 Persönlichkeitsfaktoren

Es gibt eine Vielzahl von psychologischen Studien, die zeigen konnten, dass bestimmte Persönlichkeitseigenschaften, also zeitlich stabile, lang überdauernde Persönlichkeitsfaktoren (sogenannte Traits), die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Albträumen erhöhen. Die wichtigsten Persönlichkeitsfaktoren sind Neurotizismus, Ängstlichkeit, Kreativität und die sogenannten dünnen Grenzen. Das Wesen dieser Persönlichkeitsfaktoren ist, dass sie bei allen Menschen vorkommen, jedoch in unterschiedlich starkem Ausmaß. Die meisten Personen zeigen diese Persönlichkeitseigenschaften in mittlerem Ausmaß, es gibt aber auch Menschen, die eine oder mehrere dieser Eigenschaften in sehr geringem oder in sehr hohem Ausmaß aufweisen. Entsprechend lassen sich Menschen also danach beurteilen, ob sie einen sehr hohen oder sehr niedrigen Neurotizismus aufweisen oder eine sehr hohe oder sehr niedrige Ängstlichkeit.

Neurotizismus

Unter Neurotizismus (auch emotionale Labilität genannt) versteht man eine Persönlichkeitseigenschaft, die durch die Intensität und Kontrolle emotionaler Reaktionen und Abläufe gekennzeichnet ist. Personen mit hohem Neurotizismus neigen dazu, emotionale Erfahrungen intensiv zu verarbeiten, sie werden oft von ihren Gefühlen überrollt und haben Schwierigkeiten, ihre Gefühle zu kontrollieren oder adäquat zu verarbeiten. Das äußert sich darin, dass sie schon durch relativ banale und im Grunde harmlose Ereignisse in starke emotionale Turbulenzen gestürzt werden (daher die emotionale Labilität). Menschen mit hohem Neurotizismus leiden entsprechend oft auch unter psychosomatischen Krankheitssymptomen (z. B. Kopfschmerzen, Bauchschmerzen). Im Gegensatz dazu sind Menschen mit sehr niedrigem Neurotizismus „durch nichts aus der Ruhe zu bringen“, sie kennen quasi kaum emotionale Belastungen und wirken in ihrer Gefühlswelt stabil, aber auch kaum variabel und leiden selten unter psychosomatischen Erkrankungen.

Ein hoher oder ausgeprägter Neurotizismus scheint eine der wichtigsten Persönlichkeitseigenschaften zu sein, die mit dem vermehrten Auftreten von Albträumen in Verbindung steht. In einer Vielzahl von Studien konnte gezeigt werden, dass Menschen mit hohen Neurotizismuswerten zum einen mehr Albträume haben als Menschen mit niedrigen oder mittleren Neurotizismuswerten und zum anderen auch viel mehr unter ihren Albträumen leiden als Menschen mit niedrigem Neurotizismus. Dass Personen mit hohem Neurotizismus mehr Albträume haben, überrascht nicht, verarbeiten diese Menschen doch ihre Gefühle, Erfahrungen und Eindrücke viel intensiver und mehr auf sich selbst bezogen als Personen mit niedrigem Neurotizismus. Diese Menschen leiden also viel mehr unter ihren alltäglichen Belastungen und Gefühlen. Die oben angesprochenen Belastungsereignisse vor allem bei Personen mit hohem Neurotizismus eine besondere Herausforderung darstellen und vor allem im Zusammenwirken dieser Belastungen mit hohem Neurotizismus zu einem vermehrten Auftreten von Albträumen führen. Zudem ist es auch so, dass Menschen mit hohen Neurotizismuswerten im Allgemeinen auch tatsächlich über mehr Belastungen, mehr Stress klagen. Das kann sowohl daran liegen, dass sie aufgrund ihres erhöhten Neurotizismus mehr in belastende Situationen geraten, aber auch, dass sie Belastungen aufgrund des Neurotizismus intensiver erleben und mehr darunter leiden.

Personen mit hohem Neurotizismus haben also nicht nur mehr Albträume als Personen mit niedrigem Neurotizismus, sondern aufgrund ihrer emotionalen Labilität machen ihnen ihre Albträume auch mehr zu schaffen (Köthe & Pietrowsky, 2001). Ein Albtraum stellt für jeden Menschen ein ungewöhnliches und oft belastendes Ereignis dar. Bei einer hohen Neurotizismusausprägung stellt aber der Albtraum selbst wieder ein besonders belastendes Ereignis dar, das diese Menschen oft überfordert. Sie werden durch den Albtraum extrem verunsichert, in ihren Gefühlen erschüttert, zweifeln an sich und fragen sich, was bei ihnen nicht in Ordnung sei, warum sie diese Albträume haben. Oft grübeln und denken sie noch Tage nach einem Albtraum an diesen, hadern mit sich selbst und ihrem Schicksal und haben Probleme, ihre Gefühlswelt wieder in Ordnung zu bringen. Es ist daher nicht überraschend, dass gerade bei Menschen mit hohem Neurotizismus ein Aufschaukelungsprozess stattfindet, dergestalt, dass die Beeinträchtigung durch einen erlebten Albtraum selbst zu einer emotionalen Belastung wird, die ihre Gefühlsregulation überfordert und damit wieder Ursache für weitere Albträume sein kann.

Ängstlichkeit

Auch eine erhöhte Ängstlichkeit im Sinne einer überdauernden Persönlichkeitseigenschaft geht mit einem vermehrten Auftreten von Albträumen einher. Personen mit einer erhöhten Ängstlichkeit machen sich vielmehr Sorgen, sie nehmen eine Vielzahl von objektiv wenig gefährlichen Situationen als Bedrohung wahr und sind insgesamt vorsichtiger und gehemmter in ihrem Umgang. Im Gegensatz zu dieser stabilen Ängstlichkeit als Persönlichkeitseigenschaft (Trait) unterscheidet man noch die sogenannte Zustandsangst (State), also die Angst in bestimmten Situationen. Personen können also trotz niedriger Trait-Ängstlichkeit in bestimmten angstvollen Situationen mit hoher Angst reagieren, wie auch Menschen mit hoher Trait-Ängstlichkeit in bestimmten Situationen wenig Angst zeigen können. Im Allgemeinen reagieren aber Menschen mit einer hohen Trait-Ängstlichkeit auch in tatsächlichen Angstsituationen mit einer erhöhten Zustandsangst so, dass sie nicht nur viel häufiger vermeintliche Gefahren er- 92 Wodurch können Albträume entstehen? leben und erwarten, sondern in tatsächlichen Angstsituationen diese auch als viel bedrohlicher erleben als Menschen mit einer geringen Trait-Ängstlichkeit. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass Personen mit erhöhter Trait-Ängstlichkeit mehr über Albträume berichten, leben sie doch in einer Welt, die in ihrer Wahrnehmung gefährlich und bedrohlich ist und diese vermeintlich gefährliche Welt spiegelt sich in ihren vermehrten Albträumen wider. In den Albträumen von Menschen mit erhöhter Ängstlichkeit tauchen auch übermäßig oft die Themen Krankheit und Tod auf, was auch als Hinweis darauf gesehen werden kann, dass sich diese Menschen sehr viel Sorgen um ihre Gesundheit und das Leben von ihnen und ihren Angehörigen machen (Berquier & Ashton, 1992).

Kreativität

Auch die Kreativität kann als eine Persönlichkeitseigenschaft gesehen werden, die relativ zeitstabil bei Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt ist, auch wenn sie – wie etwa die Intelligenz – durch entsprechende Förderung geübt und verbessert werden kann. Unter der Kreativität versteht man die Fähigkeit, neue und ungewöhnliche Assoziationen herzustellen und damit neue Ideen und Sichtweisen zu generieren und letztlich neue und schöpferische Lösungen für bestimmte Aufgaben oder Probleme zu finden. Menschen mit erhöhter Kreativität erinnern sich insgesamt besser an ihre Träume und sie berichten auch mehr über Albträume als Menschen mit geringer oder mittlerer Kreativität. Ihre Träume werden als insgesamt fantasievoller und ihre Albträume als bizarrer berichtet als jene von weniger kreativen Menschen. Allerdings berichten kreative Menschen mit vielen Albträumen auch mehr über angenehme Träume als weniger kreative Menschen. Der Grund, warum kreative Menschen mehr Träume erinnern und mehr Albträume haben, ist vermutlich der, dass diese Personen aufgrund ihrer Kreativität auch im Traum eher ungewöhnliche Assoziationen bilden. Ihre Träume sind daher fantastischer und bizarrer, weshalb sie besser erinnert werden. Zudem sind Menschen mit hoher Kreativität vermutlich offener für neue Erfahrungen und Gedanken, was sich auch darin niederschlägt, dass neben angenehmen Assoziationen auch negative und bedrohliche Gedanken und Assoziationen bei ihnen eher gebildet werden und auftreten.

Dünne Grenzen

Unter dem psychologischen Konzept der „dünnen Grenzen“ versteht man eine hohe Durchlässigkeit zwischen verschiedenen psychischen Bereichen, also z. B. zwischen Wirklichkeit, Fantasie, Tagtraum oder Träumen. Personen mit dünnen Grenzen sind sensibel, ungewöhnlich offen und haben intensive, konfliktreiche Beziehungen. Ihnen fällt es oft schwer, zwischen Traum und Realität zu unter- akuten Belastungen stellen für diese Menschen daher auch eine viel stärkere Herausforderung und Belastung dar. Daher wird es verständlich, dass akute scheiden. Man kann also sagen, dass Menschen mit dünnen Grenzen ihren Fantasien und Träumen mehr Bedeutung beimessen, sie damit auch als einen Teil ihrer Wirklichkeit ansehen, so wie sie zugleich ihre wirklichen Erfahrungen und Erlebnisse oft unter dem Aspekt des Fantastischen und Irrealen betrachten. Damit verschwimmen bei ihnen die Grenzen zwischen Realität und Fantasiertem oder Geträumtem. Im Gegensatz dazu unterscheiden Menschen mit dicken Grenzen klar und deutlich zwischen Wirklichkeit, Traum und Fantasie. Es ist nicht überraschend, dass Menschen mit dünnen Grenzen auch kreativer und künstlerischer sind, was möglicherweise auch die vermehrten Albträume bei künstlerisch tätigen Personen erklären kann. Das Konzept der dünnen Grenzen stammt von dem amerikanischen Psychologen Ernest Hartmann, der es 1989 zum ersten Mal beschrieben hat. Nach Hartmann lassen Menschen mit dünnen Grenzen angsterregende Erinnerungen in ihren Träumen oder Fantasien eher zu. Personen mit dünnen Grenzen schreiben ihren Träumen mehr Bedeutung zu und können Träume generell besser erinnern (Pietrowsky & Köthe, 2003). Hartmann hat einen Fragebogen entwickelt (das sogenannte Boundary Questionnaire), mit dem sich messen lässt, wie dünn oder dick die psychischen Grenzen eines Menschen sind.

Neben den genannten Persönlichkeitseigenschaften, die sehr wichtig für das Auftreten und Erleben von Albträumen sind, gibt es noch weitere Persönlichkeitseigenschaften, die nach gegenwärtigem Wissensstand eine eher untergeordnete Rolle für Albträume spielen. Hierzu zählt der Chronotyp eines Menschen, also ob jemand eher ein Morgen- oder ein Abendmensch ist. Morgentypen stehen früher auf, sind morgens gleich sehr fit und leistungsfähig, während sie abends dann auch schnell müde werden. Im Gegensatz dazu stehen Abendmenschen spät auf und erreichen ihre beste Leistungsfähigkeit erst gegen Abend, weshalb sie dann in der Regel auch wieder spät zu Bett gehen. Der Unterschied zwischen diesen beiden Typen liegt nicht einfach nur darin, dass die einen spät aufstehen und abends deshalb fit sind, sondern ist in unterschiedlichen chronobiologischen Prozessen (Biorhythmus) begründet. Es konnte nun gezeigt werden, dass bei den Frauen die Abendtypen deutlich mehr und deutlich schlimmere Albträume haben als die Morgentypen. Für Männer wurde ein solcher Zusammenhang nicht gefunden (Nielsen, 2010).

6.3. Psychische Störungen

Wie wir in Kapitel 2.3 schon gesehen haben, gehen psychische Störungen, wie z. B. die Depression, Schizophrenie oder Angststörungen häufig mit vermehrten Albträumen einher. Ganz besonders oft treten Albträume bei der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) auf, wo sie sogar ein wichtiges Definitionskriterium für diese Störung sind. Da die Albträume bei der PTBS so zentral sind und sich auch in gewisser Weise von den anderen Albträumen unterscheiden, wie wir ja bereits in Kapitel 1 gesehen haben, werden die Albträume bei der PTBS gesondert im nächsten Kapitel behandelt.

Die Depression ist eine sehr weit verbreitete psychische Erkrankung, von der in Deutschland bis zu 10 % der Männer und sogar bis zu 20% der Frauen, zumindest einmal im Leben, betroffen sind. Eine Depression geht einher mit einer gedrückten bis tieftraurigen Stimmung, einem ausgeprägten Gefühl der Hoffnungslosigkeit, Selbstmordgedanken, einem Verlust der Freude an vielen Dingen und Aktivitäten, Konzentrationsschwierigkeiten, einem sozialen Rückzug und auch körperlichen Symptomen wie Schlaf- und Appetitstörungen.

Da depressive Menschen sich sehr viele Sorgen machen, vor allem um ihre eigene Zukunft oder die ihrer Angehörigen, oft an den Tod und das Sterben denken und sich mit immerwährenden Schuldvorwürfen plagen, tauchen diese Themen auch gehäuft in ihren Albträumen auf. So träumen Depressive oft von schweren Erkrankungen, dem eigenen Sterben oder dem Tod von Angehörigen, von Vereinsamung oder Verarmung und erleben sich in ihren Träumen schuldbeladen. Obgleich das depressive Erleben schon sehr belastend ist, können diese Albträume zusätzlich zu einer weiteren Quelle der Belastung führen und die Schwermut, Hoffnungslosigkeit und Aussichtslosigkeit der Betroffenen steigern. Für die Erkrankten ist es besonders belastend, dass sie nicht einmal im Schlaf ihren Sorgen und Nöten entkommen können, nicht einmal im Schlaf endlich Ruhe finden, was dazu führen kann, dass sie sich regelrecht davor fürchten, einzuschlafen, da dann in Träumen und Albträumen die Tortur ihrer quälenden Gedanken und Befürchtungen sich fortsetzt. Interessanterweise ist es so, dass bei vielen depressiven Personen diese sehr belastenden Albträume sogar noch anhalten, auch wenn die Depression selbst wieder abgeklungen ist.

Die Gründe dafür, warum depressive Menschen vermehrt unter Albträumen leiden, sind mannigfaltig. Zum einen ist es so, dass die Sorgen und Schuldgefühle, die die Depressiven plagen, als akute Belastungen in das Traumgeschehen hineinwirken können, so wie das in Kapitel 6.1 beschrieben ist. Darüber hinaus ist die Depression aber auch durch bestimmte Veränderungen in der Schlafarchitektur gekennzeichnet (siehe Kapitel 5), die vor allem in einem vermehrten und frühen Auftreten von REM-Schlaf und dem Fehlen von Tiefschlaf besteht. Das bedeutet, dass bei depressiven Menschen, im Gegensatz zu Gesunden, schon sehr bald nach dem Einschlafen (anstelle des Tiefschlafs) die ersten REM-Schlaf- Phasen auftreten. Da der REM-Schlaf aber, wie beschrieben, mit dem Auftreten von Träumen und vor allem auch von Albträumen, verbunden ist, ist damit bei Depressiven die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sie mehr Albträume haben und diese auch bereits kurz nach dem Einschlafen auftreten können.

Die Schizophrenie ist eine andere schwerwiegende psychische Störung, die mit vielfältigen Symptomen einhergehen kann, die von kurzzeitigen Wahnphänomenen und Halluzinationen bis hin zu chronischen Defiziten geistiger und intellektueller Fähigkeiten und sozialem Rückzug reichen können. Wie bei der Depression ist auch bei der Schizophrenie die Schlafarchitektur verändert im Sinne eines verkürzten Tiefschlafs und einem verfrühten Auftreten von REMSchlaf (Sartory, 2007). Vor allem schizophrene Patienten mit Wahnvorstellungen und Halluzinationen haben mehr REM-Schlaf, während solche, die unter einer Verarmung ihrer geistigen Fähigkeiten und Gefühle leiden, eher eine Reduktion des Tiefschlafs aufweisen. Der vermehrte REM-Schlaf, zusammen mit dem beängstigenden Erleben während der Halluzinationen oder Wahnvorstellungen, mag dazu beitragen, dass schizophrene Personen häufiger unter Albträumen leiden. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass von manchen Forschern das Traumerleben mit schizophrenem Erleben verglichen wird. In beiden Fällen kommt es zu bizarren Vorstellungen und einem ungewöhnlichen Erleben, das rational nicht nachvollziehbar ist und gerade durch seine unlogische Andersartigkeit, intensive Bildhaftigkeit und tief gehende Emotionalität gekennzeichnet ist.

Wie wir schon in Kapitel 2.3 gesehen haben, gibt es viele Störungsbilder, die zu den Angststörungen gerechnet werden. Bei Menschen mit Angststörungen treten die Themen ihrer Ängste auch vermehrt in Albträumen auf. So träumen Menschen mit einer Agoraphobie öfters von Situationen, in denen sie in der Öffentlichkeit beispielsweise plötzlich nackt dastehen. Oder Personen mit einer sozialen Phobie träumen gehäuft von Prüfungssituationen, in denen sie sich hilflos ausgeliefert fühlen und Scham dabei empfinden, weil sie sich als inkompetent oder dumm in dieser sozialen Situation erleben. Personen mit einer Generalisierten Angststörung träumen gehäuft von den befürchteten Situation wie Unfällen, Krankheiten oder finanzielle oder berufliche Katastrophen. Generell lässt sich sagen, dass vermutlich die erhöhte Erregung und Anspannung der Angstpatienten, zusammen mit dem beständigen Denken an die gefürchteten angstbesetzten Situationen, Albträume auszulösen vermag. Es wäre also nicht die Angsterkrankung, sondern das gedankliche Beschäftigen mit dem, wovor sie Angst haben, was ihre Albträume auslöst, ganz im Sinne der Kontinuitätshypothese, dass im Traum das den Menschen beschäftigt, was ihn im Wachzustand auch schon beschäftigt hat.

Daneben findet sich, ähnlich wie bei der Depression, wo ja mehr und früher einsetzender REM-Schlaf als eine mögliche Ursache für die vermehrten Albträume infrage kommt, auch bei den Angststörungen eine vermehrte REM-Schlaf-Aktivität. So bewirken viele Medikamente gegen Angststörungen (insbesondere die sogenannten Benzodiazepine) eine Reduktion des REM-Schlafs und nach dem Absetzen dieser Medikamente kann es wieder zu einer deutlichen Zunahme des REM-Schlafs, verbunden mit einer Zunahme von Albträumen, kommen.

6.4 Medikamente und Drogen

Albträume können auch durch Medikamente und Drogen ausgelöst werden. Medikamente, die zu Albträumen führen können, sind vor allem Psychopharmaka, also jene Medikamente, die zur Behandlung psychischer Störungen eingesetzt werden und auf das Gehirn wirken. Hierzu gehören Medikamente zur Behandlung der Depression (Antidepressiva), zur Behandlung von Angststörungen (Anxiolytika) und zur Behandlung der Parkinson-Krankheit (Dopamin- Agonisten). Aber auch Medikamente, die nicht primär auf das Gehirn wirken sollen, können zu Albträumen führen, wie z. B. blutdrucksenkende Medikamente.

Warum Antidepressiva – und hier vor allem die Stoffgruppe der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) – zu Albträumen führen können, ist unklar. Sie erhöhen die Aktivität des serotonergen Systems im Gehirn, die vorrangig mit dem Non-REM-Schlaf verknüpft ist, in dem Albträume nicht auftreten. Zugleich wirken alle antidepressiven Medikamente, ganz gleich, welcher pharmakologischen Stoffgruppe sie angehören, auch auf den REM-Schlaf, indem sie die REM-Latenz erhöhen, also die Zeit nach dem Einschlafen bis die erste REM-Episode auftritt. Jedoch wird der REM-Anteil des Schlafs durch Antidepressiva in der Regel nicht verändert. Es wird vermutet, dass die Antidepressiva auch das Gleichgewicht zwischen den Transmittern Serotonin und Dopamin beeinflussen, was letztlich dann in einer dopaminergen Wirkung resultiert, die sich auf vermehrte Albträume niederschlägt.

Zur Behandlung der Parkinson-Krankheit werden Medikamente gegeben, die den Dopaminspiegel im Gehirn erhöhen (Dopamin-Agonisten). Diese steigern ebenfalls die Albtraumhäufigkeit, vermutlich darüber, dass sie halluzinatorische Zustände im Schlaf auslösen. Passend dazu findet sich eine vermehrte Aktivität des Neurotransmitters Dopamin bei Patienten mit Schizophrenie und ist mit dem Auftreten von Halluzinationen und Wahnvorstellungen verbunden. Es gibt auch schwache Hinweise dafür, dass die Medikamente zur Behandlung der Schizophrenie, die sogenannten Neuroleptika, ebenfalls Albträume auslösen.

Anxiolytika, und hier vor allem die Stoffgruppe der Benzodiazepine, führen zu einer Reduktion des REM-Schlafs, was mit einem Rückgang der Albtraumhäufigkeit bei Angstpatienten verbunden ist. Vermehrte Albträume treten aber nach Absetzen der Medikamente auf (die aufgrund ihres großen Suchtpotenzials auch nie über einen längeren Zeitraum eingenommen werden sollten), wobei es dann zu einer deutlichen Zunahme des REM-Schlafs kommt (REM-Rebound). Dies ist die Ursache für die vermehrten Albträume beim Absetzen dieser Medikamente.

Über welchen Mechanismus blutdrucksenkende Mittel vermehrt Albträume auslösen können, ist unbekannt. Es muss aber angenommen werden, dass diese Medikamente nicht nur auf den Blutdruck, sondern auch auf das Gehirn wirken, da weitere zentralnervöse Effekte dieser Substanzen beschrieben sind. Eine Stoffgruppe dieser Medikamente wirken über die Beta-Rezeptoren des noradrenergen Systems (Beta-Blocker) und sie könnten somit auch zentralnervös auf das noradrenerge System Einfluss nehmen. Auf der anderen Seite gehört ein blutdrucksenkendes Mittel, das Prazosin (Minipress®), zu den wenigen Medikamenten, die nachweislich die Albtraumhäufigkeit senken können.

Die wichtigsten Drogen, die Albträume auslösen können, sind Amphetamine, Kokain und Haschisch. Amphetamine und Kokain wirken auf das dopaminerge Transmittersystem des Gehirns und können, wie für die Dopamin-Agonisten beschrieben, zu psychoseähnlichen Zuständen und Albträumen führen. Tetrahydrocannabinol (THC), der Wirkstoff von Haschisch und Marihuana wirkt anticholinerg, hemmt also die Freisetzung von Acetylcholin. Damit wirkt es dem Auftreten von REM-Schlaf entgegen, es kann aber nach Absetzen bzw. bei Nachlassen der Wirkung zu dem oben beschriebenen REM-Rebound kommen, der mit vermehrten Albträumen einhergeht.

Quelle: Reinhard Petrowsky: Was uns den Schlaf raubt. Albträume in Psychologie, Kunst und Kultur. WBG, Darmstadt 2014. 208 Seiten, 24.95 Euro. Die Leseprobe stammt von den Seiten 88-99.