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Buch der Woche

Wie man gekonnt Smalltalk hält

Mit Witz und scharfem Blick führt Alexander von Schönburg in die Königsdisziplin der Konversation ein – den Smalltalk. Als Experte für alle Fragen des stilvollen Auftritts lautet sein dringender Rat: Halten Sie sich an die geeigneten Themen!

19.02.2015

Sie haben dieses Buch gekauft, um in Gesellschaft den rich- tigen Ton zu treffen? Sie wollen wissen, wie man mitein- ander ins Gespräch kommt? Das ist schnell gesagt. Fragen Sie nie «Waren Sie schon im Urlaub?» oder «Was machen Sie beruflich?». Das ist an Spießigkeit nicht zu übertreffen. «Wo leben Sie?» geht eigentlich nur in Berlin. Hier unterhalten sich manche fast ausschließlich über diese Frage. Es hat im- mer noch ein wenig mit Weltanschauung zu tun, ob man im Osten, Norden oder Westen der Stadt wohnt (die aus dem Süden sieht man nie). Unbedingt zu meidende erste Sätze sind außerdem:

1. «Welches Sternzeichen sind Sie?»

2. «Wann kommt denn Ihr Baby?»

3. «Entschuldigen Sie, hatten wir schon einmal Geschlechtsverkehr?»

4. «Kann man eine Geschlechtsumwandlung rückgängig machen?»

5. «Haben Sie Kokain?»

Sonst ist fast alles erlaubt. Es kommt nur auf die Haltung an. So. Nachdem nun der Ratgeberteil des Buches abgehakt ist, kann ich mich endlich seinem wahren Zweck widmen. In akademischen Kreisen kursiert ein Witz, der mir zu denken gibt: Erwischt ein String-Forscher seine Frau mit einem Professorenkollegen im Bett. Darauf der Kollege: «Ich kann alles erklären!»

Das Problem ist: Wir leben in einer Zeit, in der alles ständig erklärt wird und wir dennoch zunehmend ahnungslos sind. Sie wollen den Durchblick behalten? Geben Sie es auf! Mehr als das, was auf den folgenden dreihundert Seiten steht, müssen Sie nicht wissen. Dieses Buch ist ein im Zeitalter vollkommener Unübersichtlichkeit längst überfälliges Kondensat all der Themen, bei denen man heute mitreden können muss. Wir sind wissdumm geworden. Überinformiert und doch ahnungslos. Es ist nicht nur die Menge der Informationen, es ist das Ausmaß von fundiertem Wissen, das langsam lästig wird. Vor ein paar Jahren war es noch etwas Besonderes, am Bahnhof oder Flughafen eine halbwegs aktuelle Ausgabe des «Economist» in die Hand zu bekommen. Heute schicken uns Apps die besten Hintergrundanalysen der Welt aus den seriösesten Quellen im Minutentakt aufs Handy. Und dann all die klugen Podcasts und Blogbeiträge.

Und all die doofen Tweets, die man aber trotzdem immer wieder lesen will. Gerade läuft im Radio ein phantastisches Feature über Karl den Großen. Jede Woche erscheinen mindestens fünf Bücher, die man unbedingt haben will. Man kann sie per Mausklick bestellen, aber wann wird man sie lesen? Wir wissen, wann unsere Sonne zu scheinen begann und wann sie verglühen wird, wir kennen die Geschichte unseres Universums, die Beschaf- fenheit der Botenstoffe im Gehirn, wir wissen Bescheid über die Details der Politik in der Levante oder der Südukraine. Aber wir sind doch komplett ahnungslos. Es kommt ein Punkt, an dem man einsehen muss, dass man nicht unend- lich viel Wissen anhäufen kann, dass man nicht alles, was in- teressant ist, erfahren wird.

«Wie der Körper nur eine bestimmte Menge von Nahrung verdauen kann, so kann unser Kopf nur eine bestimmte Menge von Wissen in sich aufnehmen.»So in etwa hat mir einmal Paris Hilton erklärt, warum das Informationszeitalter sie frustriert. Der Gedanke stammt aber nicht von ihr, sondern von einem anderen bedeutenden Denker – von Friedrich Nietzsche. Er (oder war es Paris Hilton?) sagte auch folgende Worte: «Um das Leben zu begreifen, muss man die Last des Allzuvielwissens abwerfen.»

Interessanterweise deckt sich das mit den neuesten Erkenntnissen der Hirnforschung. Ein Neugeborenes hat etwa doppelt so viele vernetzte Gehirnzellen wie ein Erwachsener. Lange haben Wissenschaftler gerätselt, warum uns die Natur in diesem Frühstadium des Lebens mit so einem Übermaß von Synapsen beschenkt – und sie ungefähr ab dem dritten Lebensjahr systematisch wieder kappt. Heute weiß man: Dadurch können Kinder in den ersten Lebensjahren besonders viel und schnell lernen. Spätestens ab dem vierten oder fünften Lebens- jahr würden allzu viele Informationswege aber zur Belastung werden. Erst wenn sie unterbrochen werden, begreifen wir die Zusammenhänge und ordnen die Dinge ein.

Erst die Priorisierung, die Beschränkung, befähigt uns zum Denken. Wir sollten also endlich von dem zwanghaften Gedan- ken ablassen, immer Neues erfahren zu müssen. Die Sorge, irgendetwas Wichtiges zu verpassen, stammt noch aus einer Zeit, als Informationen rar und wertvoll waren. Heute muss unser Ziel sein, Informationswege stillzulegen, weniger zu wissen. Stattdessen sollte man versuchen, mehr zu verstehen. Christian Kracht hat rec ht, wenn er sagt, dass die Welt zu komplex geworden ist, um noch zu irgendetwas eine fun- dierte Meinung haben zu können. Paradoxerweise folgt dar- aus aber, dass wir wohl zu allem eine Meinung haben müssen – nur eben mit einer Demut, die uns jede Rechthaberei verbietet.

Eine Haltung, die exakt der eines guten Smalltal- kers entspricht. Nie recht behalten wollen, aber doch halbwegs originelle Thesen vertreten, um damit spielerisch Widerspruch herauszufordern, darum geht es beim Smalltalk, der, im amüsantesten Fall, von der Lust an der Zuspitzung lebt. Die Vereinfachung ist das einzig probate Mittel, mit den Ungereimtheiten unseres Daseins umzugehen. Muss man gebildet sein, um gut parlieren zu können? Im Gegenteil, es ist eher hinderlich. In England ist «clever» so etwa das Unfreundlichste, was man über einen Menschen sagen kann. Wir auf dem Festland sind nicht ganz so streng, aber im Grunde gilt auch hier: Leute, die einen mit ihrer Klugheit und Bildung quälen, sind lästig.

Trotzdem: Smalltalk, Chit-Chat, le petit conversation du table, das zweckfreie Plaudern, hat in Deutschland einen schlechten Ruf. Aber nur, weil man nicht einsehen will, dass es einen Unterschied zwischen Podiumsdiskussionen und ge- sellschaftlichem Geplauder gibt. Hier erstickt man sich ent- weder gegenseitig mit geisttötender Banalität, oder man ist versessen darauf, alles bis ins letzte Detail zu erörtern. Bei einer gelungenen Unterhaltung in gesellschaftlichem Kon- text – bei einem Abendessen, auf einer Cocktailparty, einem Empfang – darf man jedoch getrost kühne Thesen aufstellen und damit andere zum Widerspruch auffordern. In anderen Situationen wiederum ist es angebracht, über nichts zu reden – und das mit großer Emphase, ganz im Sinne von Lord Goring in Oscar Wildes «Ein idealer Gatte»: «Ich liebe es, über nichts zu reden. Das ist das Einzige, wovon ich etwas verstehe.»

Das Reden über nichts wird zu Unrecht geringgeschätzt. Dabei ist es eine lebenswichtige Fähigkeit. Ohnehin neigen wir dazu, die Bedeutung des gesprochenen Wortes in der menschlichen Kommunikation zu überschätzen. Das hat mir eine bereits erwähnte Person beigebracht, einer der ge- scheitesten Menschen, die mir je begegnet sind, Paris Hilton. * * * Es war jener Tag, an dem ich vielleicht mein schlimmstes Smalltalk-Desaster erleben musste. Als Gesellschaftsjour- nalist war ich zum ersten Mal in Hollywood. Die deutsche «Vanity Fair» hatte mich beauftragt, über die Oscar-Verleihung zu berichten. Ich kannte niemanden in der Stadt, landete aber – was ich zunächst als unfassbares Glück betrachtete – auf der legendären Pre-Oscar-Gartenparty der Modekönigin Diane von Furstenberg.

Ich hatte meinen schönsten Sommeranzug an, trug meine Lieblingskrawatte, die Schuhe blitzten – und ich kannte keine Sau. Je mehr ich mich bemühte, mit Leuten ins Gespräch zu kommen, desto mehr merkte man mir genau dies an: dass ich mich bemühte. Dort drüben stand Rupert Murdoch. Ich schlich mich an, wartete auf einen passenden Moment und brabbelte etwas von der «Los Angeles Times», die damals zum Verkauf stand, und fragte keck, ob das nicht etwas für ihn sei. Er würdigte mich eines kurzen Blickes und antwortete knapp: «Nur Idioten kaufen heute noch Zeitungen!» Dann drehte er mir den Rücken zu, und ich sah Peter O’Toole. Die Rettung, dachte ich, der ist sicher nett. «I loved Lawrence of Arabia», sprach ich ihn an. «And?», gab er zurück, sah gelangweilt an mir vorbei und wandte sich ab. Ich versuchte es von da an mit Leuten, deren Gesichter ich nicht aus dem Fernsehen oder von der Leinwand kannte (was schwer war an diesem Nachmittag). Aber es half nichts. Alle gingen mir aus dem Weg oder ließen mich auflaufen.

Am Ende fragte ich tatsächlich so idiotische Dinge wie «Where did you go on holiday?». Ich muss gewirkt haben wie Peter Sellers in «The Party» – ein etwas verlorener Idiot, nur dass ich nicht wie er im Film für Chaos und Aufruhr sorgte, sondern schlicht fürchterlich unsicher war. Die wesentlichen Dinge des Lebens vermitteln sich nun mal leider nonverbal. Unsicherheit wirkt in Gesellschaft toxisch. Keiner will mit dir zu tun haben – aus Angst, angesteckt zu werden. Meine Rettung an diesem Nachmittag war ausgerechnet die große Philosophin Paris Hilton. Sie saß auf einer Bank mit ein paar schnatternden Freundinnen und war, als ich mich näherte, derart unbekümmert, dass sie sich nicht einmal an meiner Unsicherheit störte. Mir war inzwischen alles egal, also ging ich auf die berühmteste Blondine der Welt zu und sagte: «Ich vergesse nie ein Gesicht, aber bei Ihnen will ich eine Ausnahme machen.» «My name is Paris Hilton», sagte sie leicht amüsiert, mit gespielter Empörung. «Ah, Hilton? Ich werde nächste Woche in New York sein und habe in einem Hilton ein Zimmer gebucht, dem Waldorf Astoria. Gibt es Zimmer, die ich meiden sollte?» Sie: «Im Waldorf Astoria? Da bin ich aufgewachsen. Ich würde jedes der Zimmer dort meiden.»

Unversehens waren wir in eine Plauderei geraten. Und daraus wurde ein Gespräch. Die Verächter des Smalltalk verkennen gern: Chit- Chat ist oft nur ein Auftakt. Es steht einem frei, tatsächlich miteinander ins Gespräch zu kommen, wenn das Eis einmal gebrochen ist. In diesem Fall schüttete ich Paris – wie gesagt, mir war inzwischen alles egal – mein Herz aus. Ich erzählte ihr von meiner Unsicherheit. Und diese reizende Person? Verriet mir einige ihrer persönlichen Tricks. Den ersten, sagte sie, hatte ich bei ihr bereits angewandt (wohl unbewusst und aus lauter Verzweiflung): «Be cheeky. And don’t try too hard!» Frech sein und sich ja nicht bemühen, alles richtig zu machen. «Wenn du auf einer Party bist und dich unsicher oder unwohl in deiner Haut fühlst, dann ist es das Beste, du machst dir genau das bewusst. Nimm’s hin! Dann hat es dich nicht mehr in der Hand, du kannst es beobachten und irgendwann darüber kichern, denn das Lustige ist, dass jeder manchmal unsicher ist, sogar eine Michelle Obama. Alle Menschen sind so. Der Trick ist schlicht, erst einmal zum Beobachter zu werden, die Situation auf sich wirken zu lassen.»

Ihr Ratschlag wäre eines Diogenes würdig gewesen. Der stand am Marktplatz von Athen und blickte großmütig oder spöttisch, jedenfalls interessiert auf die Szenerie, die sich ihm bot, wissend, dass er nicht dazugehörte. Genau das mache ich seither auf Partys, auf denen ich mich unwohl fühle. Ich spiele den Beobachter. Aber eben nicht mehr zögerlich und nach Anschluss suchend, sondern in Diogenes-Paris-Hilton- Haltung. Das hilft tatsächlich. Wichtig sei außerdem, sagte Paris dann, dieses doofe Lächeln zu vermeiden, das unsichere Menschen von weitem verrät. Ich zum Beispiel hätte sie schon angelächelt, lange bevor ich überhaupt ein Wort rausbrachte. «Ein Fehler!», sagte sie. «Use your smile cleverly.» Voreiliges Lächeln wirke dämlich und unaufrichtig, bemessenes Lächeln hingegen klug. Richtig wirksam sei es, einen Moment zu zögern und dann zu lächeln. Die zweite wichtige Technik: «Be calm!» Ruhe bewahren. Niemals in Eile sein («Das dürfen nur Kellner!»). Es sei wichtig, dass der gesamte Körper Gelassenheit ausstrahle. Das fange mit der richtigen Wirbelsäulenhaltung an und reiche über ruhige Handbewegungen bis hin zu langsamen Blicken: «Du wirkst unglaublich ernsthaft, intelligent und übrigens auch sexy, wenn du deinen Blick nicht abwendest, sogar dann nicht, wenn die Person, mit der du in einer Gruppe stehst, in dem Moment gar nicht spricht. Die Augen gaaaanz langsam nur wegbewegen.»

Als ich ein junger Mann war und mich noch von meinen Eltern statt von Paris Hilton belehren ließ, hatte man mir freilich andere Dinge beigebracht. In Familien wie meiner wurde zum Beispiel die Fähigkeit perfektioniert, langweiligen und einschläfernden Monologen mit gespielter Hingerissenheit zu folgen. Wir hatten ja über Generationen hinweg nicht sehr viel mehr zu tun, als auf die Jagd zu gehen und im Salon beisammenzusitzen. Die Kunst des gelegentlichen Kopfnickens, des gehorsamen Lächelns, des scheinbar interessierten Gesichtsausdrucks ist in unser Erbgut eingebrannt worden ebenso wie die Begabung, ein Gespräch bis ins Unendliche vor sich hin plätschern zu lassen – was eine gewisse Sprunghaftigkeit erfordert, schließlich muss man in der Lage sein, schnell zum nächsten Thema zu wechseln, wenn einem zum ersten nichts mehr einfällt.

Abertausende Stunden im Salon haben uns auch gelehrt, jeden Menschen grundsätzlich mit der gleichen Herzlichkeit zu behandeln, sogar wenn’s Nervensägen sind, ja, unangenehmen Personen sogar noch ein wenig herzlicher zu begegnen, um ihre Charmedefizite auszugleichen. Die Jahrhunderte haben außerdem wertvolle Strategien hervorgebracht, um Langeweile zu bekämpfen. Daher die Lust am Bonmot und der zarten Provokation, die in diesen Kreisen erfreulicherweise weit verbreitet ist. Von meinen Eltern wurde mir natürlich auch beigebracht, kleine Fehltritte meiner Mitmenschen gar nicht erst zu bemerken und sich für eigene niemals zu entschuldigen, weil man damit erst die Aufmerksamkeit darauf lenke («qui s’excuse, s’accuse», hieß es bei uns immer, wer sich entschuldigt, beschuldigt sich). Und mir wurde eingebläut, dass es bestimmte Themen gäbe, die in der Konversation verboten sind. Alles irgendwie Religiöse, Politik und natürlich Sex.

Das gilt, finde ich, heute längst nicht mehr. Ich werde also in den folgenden Kapiteln auch Themen behandeln, die lange als tabu galten. Das Ein- zige, was wirklich tabu ist, sind Tabus. Warum hat Smalltalk in Deutschland so einen schlechten Ruf? Ich fürchte, dass das viel mit der Marginalisierung der alten Eliten zu tun hat. Das Ideal, wonach nicht Herkunft und Geburt, sondern allein die Leistung für den gesellschaftlichen Aufstieg zählt, ist eine gute Sache. Es hatte aber den Preis, dass Kulturtechniken verloren gingen, die früher jedem geläufig waren und die wir bei anderen Nationen bewundern. Der Elitewechsel im 20 . Jahrhundert war in Deutschland radikaler als anderswo.

Im wilhelminischen Zeitalter hatten Adel und großbürgerliche Eliten sich so gründlich diskreditiert, dass zu Recht niemand mehr sein wollte wie «die da oben». Und nach dem Niedergang der alten Eliten folgte die endgül- tige Tabula rasa des völkischen Gleichheitsversprechens der Nazis. Wir Deutschen sind das einzige Land in Europa, dem es weitgehend gelungen ist, ganze Eliteschichten zu beseitigen. Auch bei unseren europäischen Nachbarn hat es sozialen Wandel gegeben. Aber dort gaben sich die nachrückenden Schichten immer Mühe, den Stil der alten Eliten nachzuahmen. Bei uns hingegen galt nach dem Krieg (verständlicherweise!) das meiste, was irgendwie nach Adel und Bür- gertum roch, als rückständig und piefig. Jeder wollte so fortschrittlich und modern wie möglich sein. Das macht Deutschland heute in vielerlei Hinsicht zu einem so lebens- werten Land.

Was jedoch die Kulturtechniken des gesell- schaftlichen Miteinanders betrifft, sind wir Deutschen kein sehr reiches Volk. Langsam, langsam scheint sich das zu ändern. Wir sind insgesamt entspannter geworden. Und die Angehörigen der ehemaligen Eliten werden inzwischen wieder mit etwas mehr Wohlwollen betrachtet.

Alexander von Schönburg: Smalltalk. Die Kunst des stilvollen Mitredens. Rowohlt, 2014. 320 Seiten, 16 Euro.