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Das ist mein Moldau

Titelthema - Das ist mein Moldau
Nadja Kigelmann, Mitarbeiterin im Rotary Verlag, spricht über ihre Heimat Moldau. © Rotary Magazin

Nadja Kigelmann, Buchhalterin und Bürokauffrau im Rotary Verlag, gebürtig aus Moldau, gibt im Interview Eindrücke aus ihrem Heimatland wieder.

01.10.2022

Kennen Sie Moldau? – Über das kleine osteuropäische Land, das derzeit unzählige ukrainische Flüchtlinge aufnimmt, ist hierzulande wenig bekannt. Nadja Kigelmann aus dem Rotary Verlag ist in Moldau geboren und aufgewachsen. Im Interview sagt sie, was für sie das Land ausmacht.

Nadja, gib mal eine Kurzbeschreibung von Moldau oder Moldawien.

Das Land liegt zwischen den Flüssen Pruth (Prut) und Dnister (Nistru) und damit zwischen der Ukraine (im Norden, Osten und Süden) und Rumänien (im Westen). Es ist ein Teil von Bessarabien. Früher gehörte es zur Sowjetunion. Diese Zeit hat die gesamte Region sehr geprägt. Sehr stark ist das auch noch in Transnistrien zu spüren, wo ein Teil der Bewohner der russischen Minderheit angehört.

Die Einwohnerzahl in Moldau ist leider in den letzten zwei Jahrzehnten von über vier Millionen auf 2,6 Millionen gesunken. Wer arbeiten kann, wandert häufig aus.

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Die Kathedrale in Chişinău, der "weißen Stadt" © Pixabay

Dabei ist Moldau so schön: Der Norden und die Mitte Moldaus sind hügelig und eher waldig, der Süden ist Steppe. Die Hauptstadt Chişinău (sprich: Kischinau) dürften viele noch am ehesten kennen – sie wird oft "weiße Stadt" genannt, da viele Häuser aus weißem Stein gebaut sind, hat aber auch zahlreiche grüne Parks.

Gibt es etwas, das Deine Heimat auszeichnet?

Fruchtbare, humusreiche Schwarzerde. Deshalb wachsen hier Mais, Obst, Gemüse und Ölpflanzen gut. Man sagt: Stecke einen Samen in die Erde und er wächst. Dort, wo die Böden eher kalkhaltig sind, wird auch Wein angebaut, guter Wein... Das war schon unter Stefan, dem Großen, so.

Der Name klingt nach viel alter Geschichte...

In der Region war viel Bewegung, denn sie liegt auf dem Weg von Asien nach Europa. Viele Völker und Stämme hinterließen hier ihre Spuren. Darunter auch die Daker – daher kommt übrigens der Name des Autos Dacia. Die Region war teilweise römisch besetzt. Im 15. Jahrhundert kämpfte Fürst Stefan der Große um die Unabhängigkeit des Landes, deshalb kennt ihn in Moldau jeder. Er siegte, letztlich kam das Fürstentum Moldau aber zum Osmanischen Reich. 300 Jahre lang, dennoch wurde Moldau nicht muslimisch. Kultur, Sprache, Religion blieben wie zuvor.

Nach dem 6. Russischen Türkenkrieg von 1812 bekam Russland einen Teil Moldaus zugesprochen. Aus diesem Landstrich wurde das Gubernia Bessarabska, das Gouvernement Bessarabien, mit der Hauptstadt Chişinău – das heutige Moldau. Schon damals lebten neben den Moldauern hier verschiedene Nationalitäten: Rumänen, Griechen, Ruthenen, Bulgaren, Armenier, Gagausier und viele Juden.

Was eint die Menschen bis heute?

Sie sind herzlich, hilfsbereit und gastfreundlich. Die Menschen lieben ihr Land, die Folklore, Sitten und Gebräuche. Leider werden es derzeit immer weniger, denn die jungen Leute suchen ihr Glück in aller Welt. Es heißt: Täglich verlassen Zehntausende Menschen das Land, vor allem die gut ausgebildeten, zum Beispiel aus der Medizin oder der IT-Branche.

Entwickelt sich auch Neues im Land?

Diejenigen, die bleiben, wollen das Land aufbauen. Gerade in den Dörfern, die zu vergreisen drohen, setzen sie an. In den letzten Jahren entstanden zum Beispiel Brombeer- und Himbeerfarmen, großenteils Familienbetriebe. Auch Äpfel, Pflaumen, Pfirsiche und sogar Mandeln werden auf Plantagen von Landwirten angebaut. Da entwickelt sich wieder etwas. Auf einem Großteil der Fläche – der Staat ist der größte Eigentümer von landwirtschaftlichen Flächen – werden aber Mais, Weizen, Sonnenblumen und Wein, der inzwischen ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist, angebaut.

Industrie gibt es dagegen nicht viel. Und alle, die in Moldau etwas aufbauen, erwarten mehr Unterstützung von der Politik. Nur: Die ist derzeit damit beschäftigt, die allgemeine Wirtschaftskrise und die Flüchtlingskrise zu managen.

Wie gehen die Moldauer mit den vielen geflüchteten Ukrainern um?

Sie versuchen zu helfen, wo es geht. Für viele Ukrainer ist Moldau zwar nur ein Transitland. Aber da ist eine große Verbundenheit, die Moldauer helfen an allen Ecken: Sie holten zum Beispiel von Beginn an mit ihren Autos Ukrainer von der Grenze ab, sorgten für eine Bleibe und versorgten die Geflüchteten mit Essen und Kleidung. Alle haben mitgemacht.

Inzwischen spüren die Moldauer auch die Auswirkungen – Teuerungen bei Brennstoff, Strom und Lebensmitteln. Aber sie helfen.

Viele Ukrainer kommen nur übergangsweise. Sie wollen mal eine Zeit durchatmen – ohne Bombenalarm oder Schüsse im Hintergrund. Eigentlich warten sie jedoch darauf, wieder nach Hause zurückkehren zu können. Bis dahin versucht Moldau, ihnen mit den europäischen Hilfen eine sichere Zuflucht zu bieten.

Fühlen sich die Moldauer als Europäer oder eher Russland zugehörig?

Moldau ist eher europäisch. Nur in der Region Transnistrien orientiert man sich vielleicht etwas anders: Dort leben etwa 500.000 Menschen, viele davon russischstämmig. Sie bekamen jahrelang Unterstützung aus Moskau. Es scheint ein wenig, das Leben ist dort in Zeiten der Sowjetunion stehengeblieben.

Dagegen orientiert sich der Rest der Moldauer Richtung Westen, darunter  etwa 650.000 Bürger mit rumänischer Staatsangehörigkeit. Sie sind bereits EU-Bürger. Viele Moldauer arbeiten – zumindest zeitweise – in Europa, vorrangig in Italien. Die Männer sind oft auf dem Bau beschäftigt, die Frauen als Pflegerinnen oder im Haushalt. Selbst manche 70-Jährige geht als Hausdame nach Mailand.

Das Land verändert sich also derzeit stark?

Moldauische Teigtaschen mit Frischkäse - mmmh, lecker....

Auf jeden Fall, und der Klimawandel kommt noch dazu. Sommer mit Temperaturen bis 40 Grad und wenig Regen – das kannten wir bis vor ein paar Jahren nicht. Manche Dörfer haben echte Wassersorgen. Sie erhalten nun Trinkwasser per Tankwagen. In anderen Jahren gibt es dagegen starke Überschwemmungen, was der Landwirtschaft schwere Ernteverluste zufügt.

Die Winter sind eigentlich mild, können aber inzwischen auch mal sehr kalt werden.

Was ist noch typisch für Moldau?

Cognac und leichte Obstbrände, außerdem: Invărtită, ein leckerer Strudel und dazu ein gutes Glas Wein. Der moldauische Wein schmeckt sehr lecker. Das Ende der Weinlese wird am ersten Oktoberwochenende überall mit einem nationalen Weinfest gefeiert.

Oder man probiert Plăcintă – herzhaft oder süß gefüllte Teigtaschen, die gebraten werden. Und ganz wichtig: Sarmale – mit Gemüse, Reis, Fleisch und Kräutern gefüllte Weinblätter.

Dann gibt es noch eine besondere Sportart – Trinta, eine Art Ringkampf. Außerdem haben wir viele Traditionen, singen und tanzen gern, zum Beispiel den moldauischen Volkstanz Hora. Dazu tragen wir die Landestracht: einen weiten schwarzen oder grünen Rock und eine reich bestickte Bluse oder die Männer eine schwarze Hose zum weißen Hemd und vielleicht eine Weste mit Stickereien.

Außerdem ist uns Verwandtschaft wichtig. Und irgendwie bleibt das Heimatgefühl, auch wenn man – wie ich – schon fast 20 Jahre woanders wohnt. Ich fühle mich in Hamburg zuhause, aber wenn ich nach Moldau zurückkehre oder auch nur mit dem Flugzeug drüberfliege, weiß ich: Ich bin da immer noch stark verwurzelt.

Das Gespräch führte Sabine Meinert.