Herrenchiemsee
Eiland im Bayerischen Meer
Das Prunkschloss Versailles wollte Ludwig II. übertrumpfen. Geblieben sind jubelnder Barock, klösterliche Tradition, bayerische Geschichte und Natur.
Der bayerische Märchenkönig wäre mit den heutigen Inselbesuchern wohl nicht einverstanden. Ludwig II. suchte Einsamkeit, Abgeschiedenheit und Stille, als er die Herreninsel im Chiemsee kaufte. Sein Schloss, so seine Vorstellung, sollte Versailles in den Schatten stellen.
Teilweise ist ihm das gelungen. Doch eben nicht ganz. Notorische Geldnot brachte den Bau immer wieder ins Stocken. Kunsthistoriker jubeln, weil große Teile nur als Rohbau stehen. Unverputzte Ziegelmauern zeigen den konstruktiven Unterbau, der später mit Stuck und Paneelen verkleidet werden sollte. Nur wenige üppig ausgestaltete Räume wurden fertiggestellt – und vom König nur ein einziges Mal, und auch das nur für wenige Tage, im Herbst 1885 bewohnt. „Das Schloss ist ein begehbares Denkmal mit Einliegerwohnung“ kommentierte der Architekt Mathias Pfeil sarkastisch diese Exklusivität. Zum Besuch im folgenden Jahr kam es nicht mehr, weil der royale Bauherr im Sommer 1886 unter mysteriösen Umständen im Starnberger See ertrank.
Etikette, Stil und Reinlichkeit
Weil nur etwa zwei Dutzende Räume zur Besichtigung freigegeben sind, hat man die Führung in einer halben Stunde geschafft. Barocker Prunk in handwerklicher Perfektion ist ja nicht einmalig; von einem gewaltigen Spiegelsaal oder einem absurd überladenen Schlafgemach kann man sich auch in anderen Schlössern beeindrucken lassen. Richtig spannend jedoch sind die für die damalige Zeit bahnbrechenden Neuerungen, die Technik-Freak Ludwig einbauen ließ.
Der Monarch beliebte ungestört zu speisen. Die Bediensteten deckten den versenkbaren Esstisch eine Etage tiefer ein und kurbelten das „Tischlein, deck dich“ mit einem Teil des Fußbodens nach oben. Die Calorifère-Heizung, ein kluger Vorläufer moderner Zentralheizungen, hatte bereits eine Einrichtung zur Luftbefeuchtung. Statt eines schnöden Plumpsklos nutzte der trotz seiner Menschenscheu nicht gerade uneitle König eine Toilette mit Wasserspülung. Derart Etikette, Stil und Reinlichkeit zu zelebrieren war zu seiner Zeit ein Novum. Die elektrische Beleuchtung der Parkanlagen war damals eine Weltneuheit und beeindruckte seinen einzigen Gast, die prominente Schauspielerin Marie Dahn-Hausmann, wohl mehr als viele Tausend Kerzen im Spiegelsaal. Ihr schrieb er auch in aller Bescheidenheit den denkwürdigen Satz: „Ein ewiges Räthsel will ich bleiben mir und anderen“.
Glitzernde Alpen und Brotzeit
Kein Zweifel: Das Schloss steht im Mittelpunkt. Das ist sogar wörtlich zu nehmen. Doch das Erlebnis beginnt bereits viel früher. Schon auf dem Verbindungsdampfer stellt sich kontemplative Ruhe ein. Links überragt der barocke Zwiebelturm der Klosterkirche die ehrwürdigen Bäume der malerischen Fraueninsel. Gegenüber, hinter der Kampenwand, glitzert als Horizontlinie der bis in den frühen Sommer hinein verschneite Alpenhauptkamm. Zwanzig Minuten Fußmarsch verbinden die Landestelle auf schnurgeradem, aber unspektakulärem Weg mit dem Schloss. Da drängt sich die bequeme Pferdekutsche förmlich auf.
Wer nur das Schloss als Sehenswürdigkeit abhakt, bringt sich um entspannte Ruhe in der Mischung aus Kunst, Kultur, Natur und vielleicht auch um eine deftige bayerische Brotzeit. Und es wäre schade, eine der ältesten Klosteranlagen Bayerns, einst Stift der Augustiner-Chorherren, zu übersehen. In diesem geschichtsträchtigen Bau arbeitete im August 1948 der Verfassungskonvent immerhin unser Grundgesetz aus.
Noch ein Geheimtipp für den Abschluss: zu Fuß ganz gelassen die kleine Insel umrunden. Der Weg führt vorbei an Obstwiesen, Viehkoppeln und durch urwüchsigen Wald. Da atmet und fliegt die Seele.
© privat spiele-archiv.de