Panorama
Fatale Impflücke
Krieg in der Ukraine mit Auswirkungen auf Polio-Kampagne
Fragen an Dr. med. Christian Schleuss, Polio-Beauftragter im Distrikt 1900:
Die kriegsbedingten Fluchtbewegungen in und aus der Ukraine haben Auswirkungen auf die Polio-Kampagne. Wo sehen Sie Gefahren?
Im letzten Winter sind in der Ukraine bei schlechter Impfrate zwei Lähmungen durch Impf-Polio Typ 2 aufgetreten. Das heißt, Hunderte Kinder tragen wahrscheinlich die Polioviren im Darm und verteilen sie. Der ukrainische Impfplan impft die Kinder unzureichend gegen Polio Typ 2, da der Schluckimpfstoff seit 2016 nur noch gegen die Virustypen 1 und 3 wirkt. So sind alle Kinder in der Ukraine und in allen Regionen mit niedriger Impfrate gefährdet.
Die Anfang Februar angelaufenen Impfungen von 140.000 Kindern in der Ukraine mussten wegen des Kriegs abgebrochen werden. Ist ein Polio-Ausbruch auch in den Nachbarländern zu befürchten?
Gerade diese Impfungen zielten als „outbreak response activity“ auf diese Typ- 2- Impf- Polioviren. Hier kam der neuartige nOPV2-Impfstoff zum Einsatz. Hoffen wir, dass die Impfungen im Februar ausgereicht haben. Genaue Daten haben wir nicht und können auch die Ausbreitung zum Beispiel in gesunden Trägern nicht nachvollziehen. In Deutschland gibt es Landkreise mit erschreckend niedrigen Impfraten, hier ist eine Infektion und daraus nach Jahrzehnten wieder auftauchende Polio nicht auszuschließen.
Wie müssten Aufnahmeländer wie Deutschland und die Global Polio Eradication Initiative (GPEI) auf diese Gefahr reagieren?
In Deutschland müssen alle Ärzte und insbesondere die Gesundheitsämter wachsam sein, allen Ankommenden eine Dreifach-Polioimpfung empfehlen und verdächtige Fälle direkt mit Proben ans Robert-Koch-Institut melden. Nur so kann eine Übertragung unter den Geflüchteten und in die Bevölkerung vermieden werden. Die GPEI hat sich bereits in vielen Konflikten als Friedensstifter und Brückenbauer bewiesen – z. B. in Nigeria oder Afghanistan –, auch in der Ukraine kommt es jetzt auf gute Verhandlungen und schnelle Wiederaufnahme der Impf- und Überwachungsaktivitäten an.
Die Fragen stellte Matthias Schütt.
