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Buch der Woche

Kulturgeschichte der österreichischen Küche

Peter Peter erklärt, weshalb Mozartkugel und Sachertorte, Wiener Schnitzel, Salzburger Nockerl oder einfach eine Kaisersemmel mit seidiger Extrawurst dafür sorgen können, dass Österreich wie kaum eine andere Nation mit einem so dezidiert kulinarischen Image punkten kann

17.11.2013

"Die Wirtshäuser sind das Rückgrat der Nation", so der Beisl-Habitué Heimito von Doderer über seine österreichische Heimat. "Woher kommen wir? Wer sind wir? Was gibt es zum Mittagessen?" bringt der Kabarettist Josef  Hader "die drei essenziellen Fragen des Wieners" auf den Punkt. All die Biedermeierbackhendl, die Heurigenfilme, die Kaffeehäuser sind nicht nur epikureische Mythen, sondern Ausdruck der hedonistischen Neigungen der Hauptstadt. Die Taktung des Tages durch Mittagessen statt Fastfood ist Realität, die augenzwinkernde Interpretation des Wienerliedes, das Leben als Metapher für einen Wirtshausbesuch zu sehen, "bis mir die letzte Sperrstund schlagt", charakteristisch für das neobarocke Empfinden der Donaumetropole. Ins Staatstragende überhöht wird diese Mentalität durch die implizite Abgrenzung zur als freudlos empfundenen preußischen Küche.

Deutsche und Österreicher trennt nach einem Karl Kraus zugeschriebenen Diktum die gemeinsame Sprache – doch wenige denken dabei spontan an Landeshauptleute und Ministerpräsidenten, an juridische und juristische Fakultäten, an Kassa statt Kasse. Es sind kulinarische Termini wie Karfiol versus Blumenkohl, Schlagobers versus Schlagsahne oder Gespritzter versus Schorle, an denen im Alltag die sprachliche Distanz zum kleindeutschen Brudervolk täglich erneuert wird und sich Österreich seiner kulinarischen, ja implizit kulturellen Suprematie vergewissert. "Wien ist nicht mehr die Hauptstadt eines großen Reiches, aber seine Kochkunst regiert dort weiter, wo seine politische Diplomatie gescheitert ist.» Auratisch verklärt wird die österreichische Küche zum Vermächtnis der Habsburgermonarchie, des k. u. k. Imperiums: "Jedes der Kronländer lieferte einen Beitrag aus einer Spezialitätenküche. Aus Böhmen kamen die sättigenden Mehlspeisen, aus Ungarn die Geflügel- und Paprikagerichte und die unvergleichlichen Strudel, und aus den Balkanländern lernten wir scharf gewürzte Lammgerichte und am Spieß Gebratenes, honigsüße Desserts und schwere Weine schätzen. Die dalmatinischen, istrischen und triestiner Küstengebiete lieferten schmackhafte Meeresprodukte, und die Kornkammern und Gemüseländer von Galizien bis Siebenbürgen versorgten das Land mit ihren Erzeugnissen», verklärte Franz Zodl, langjähriger Präsident des Verbands der Köche Österreichs, die Fusionsküche von einst. Der tröstliche kakanische Topos half enorm, den schwierigen Transfer vom Habsburger Großreich in die kleine Alpenrepublik abzufedern – und sorgt heute für klingende touristische Münze. 


Einher geht damit bodenständig-eleganter Wertkonservativismus am Kochtopf und im Service. Nicht töricht jeder Mode hinterher zu rennen, sondern am Bewährten festzuhalten und es durch Zutaten zu verbessern, ist eine der großen Stärken der «antikreativen» österreichischen Küche – manches, was heute als spezifisch gilt, wie Beuschel, Kalbskopf oder heiße Würstel, gab es früher europaweit. Das ist auch ein Reflex der bäuerlichen Grundstruktur des Landes (das weniger als halb so dicht besiedelt ist wie Deutschland). Eine geerdete Nation, die sich lebensmittelmäßig nicht so leicht etwas vormachen lässt und die das Recht auf anständiges Essen nicht nur auf die Eliten beschränkt: "Für die Österreicher ist das Lebensmittel auch Lebenszweck" (Karl Kraus). Der élan culinaire der Bundesländer, die Produktqualität von burgenländischen Weidegänsen bis zum Kärntner Alpensaibling, von Marillen bis zu Montafoner Sura Kees macht die bis vor kurzem wienhörige Gasthausküche tatsächlich zur österreichischen, ersetzt Nostalgie durch präzise Produktrecherche. Unterstützt durch Gastromarketing, haben sich eigenständige Genussregionen wie das Waldviertel mit seinen Erdäpfelknödeln und böhmischen Bieren oder die steirischen Weinstraßen mit ihren Buschenschanken etabliert, knüpfen Landesmetropolen wie Graz, Linz oder Innsbruck wieder an ihre Kochbuchtraditionen an. Die Gebirgsareale haben durch Wandertourismus und Skistationen eine gewaltige Aufwertung erfahren, sodass chefs zwischen St. Anton und Schladming, Kitzbühel und Kleinkirchheim reflektieren, wie eine moderne cuisine alpine, die mehr als Speckknödel und Tiroler Gröstl zu bieten hat, aussehen könnte. Grammeln vom Mangalitza-Wollschwein, Grubenkraut und pannonische Paradeiser sind die neuen Delikatessen des Landes, das auf provokative Fragen wie "Gibt es überhaupt eine österreichische Küche" frische regionale, ja radikale Antworten findet. Eine Fülle an angeregten Gesprächen, Publikationen und Ausstellungen zeigt: Die Alpenrepublik pflegt einen Grad von gastronomischem Bewusstsein und Reflektionsniveau, wie man ihn sonst eher bei romanischen Völkern bewundert. Auch wenn der begeisterte Brief einer italienischen Austauschstudentin, die Salzburger seien so kunstsinnig, dass sie sich sogar beim Essen Mozart zuriefen, auf einer phonetischen Fehlinterpretation des dialektal eingefärbten Glückwunschs Mahlzeit beruht, bleibt Österreich eine Großmacht kulinarischer Kultur. 

Eine Leseprobe aus: "Kulturgeschichte der österreichischen Küche" von Peter Peter
C. H. Beck, München 2013, 261 Seiten, 21,95 Euro.