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Porträt

Der unangepasste Sportphilosoph

Porträt - Der unangepasste Sportphilosoph
Toni Innauer hat das Reflektieren über den Sport an sich, die Spielregeln, die Standards, die Werte und die Kultur über Jahrzehnte zu seinem Markenzeichen gemacht. © Manfred Weis

Er war Olympiasieger und über Jahre der dominierende Skispringer seiner Zeit. Als Trainer und Sportdirektor ebnete Toni Innauer vielen Athleten den Weg zum Erfolg. Aktuell macht sich der Autor und Vortragende für mehr Bewegung im Alltag stark.

01.01.2022

Wenn die deutschen Skisprung-Asse um Karl Geiger und die österreichischen Adler, allen voran Stefan Kraft, wieder um Zehntelpunkte und Zentimeter auf den großen Schanzen im Skisprungzirkus kämpfen, ist auch Toni Innauer (RC Innsbruck-Goldenes Dachl) verstärkt medial präsent. Bewährt kompetent und informiert kommentiert Innauer bei einem deutschen TV-Sender Großereignisse wie die Vierschanzentournee um den Jahreswechsel oder die bevorstehenden Olympischen Spiele in China, die Millionen Zuseherinnen und Zuseher nicht nur in Deutschland und Österreich vor die Fernsehgeräte locken. Innauer hat den Skisprungzirkus selbst über Jahrzehnte erlebt und geprägt, zuerst als erfolgreicher Athlet und später in der Coach-Rolle. Als Cheftrainer stellte er 1992 sein Team erfolgreich auf den V-Stil um und formte Weltmeister und Olympiasieger. Als langjähriger Sportdirektor des Österreichischen Skiverbandes ÖSV verantwortete er viele bahnbrechende Entwicklungen bei den Nordischen und schaffte die Rahmenbedingungen für das Springerwunder der österreichischen „Superadler“ um Gregor Schlierenzauer und Thomas Morgenstern. Kaum einer weiß also besser, welches ausgeklügelte System aus körperlicher Fitness, mentaler Stärke sowie perfekter Technik und Material wirken muss, um im Sport konstant Höchstleistungen erbringen zu können. Der Spitzensport kennt nur eine Währung, den Erfolg oder die Niederlage. Was zählt, ist der Platz auf dem Stockerl. Da bleibt wenig Zeit und Energie zur Reflexion.

Kernwerte des Sports im Blick

Toni Innauer hat das Reflektieren über Jahrzehnte kultiviert und zu seinem Markenzeichen gemacht. „Ich habe über das Phänomen Sport an sich immer reflektiert. Über die Spielregeln, die Standards, die Werte, die Haltung und die Kultur. Da wird man für manche auch lästig“, so Innauer. Eine enorme Veränderung im Skisprungsport verortet Innauer zeitlich rund um den Fall der Berliner Mauer. „Als junge Athleten haben wir davon geträumt, dass wir Skispringer, die wir Ähnliches geleistet haben wie die Fußballspieler, auch entsprechend entlohnt werden. Anfang der 1990er-Jahre ist die Professionalisierung und Kommerzialisierung im Skisprungsport dann explodiert. Der Sport hat mehr und mehr die Spielregeln des globalen Wirtschaftens übernommen. Ich habe anfänglich dafür gekämpft, dass die Athleten einen Teil des Kuchens bekommen. Als Sportdirektor habe ich dann aber gemerkt, die Dynamik läuft rücksichtslos auch gegen die Kernwerte des Sports – gegen die Fairness – und dass es wieder jemanden braucht, der einbremst und mahnt“, so Innauer in der Rückschau.

Ein früher Anlass zur Reflexion und Neuorientierung war wohl die schwere Verletzung, die für den damals 22-jährigen Weltklasse-Skispringer das jähe Karriereende bedeutete. „Ich hätte damals bestimmt noch einige gute Jahre vor mir gehabt. Das Leben, das mich viele Jahre lang geprägt und ernährt und mit Gefühlen versorgt hat, war von einem Tag auf den anderen vorbei“, erinnert sich Innauer zurück. Er nimmt ein Studium der Psychologie, Philosophie und Sportwissenschaften in Angriff, mit derselben Disziplin und Kompromisslosigkeit wie im Spitzensport. „Ich bin ein Typ, dem es wichtig ist, nach vorne zu schauen, den Absprung in neue Aufgaben rechtzeitig zu finden“, so Innauer. „Wenn ich merke, dass in Summe das Gefühl zu einer Lebenssituation nicht mehr passt und ich meine Freiheit und Unabhängigkeit eingeschränkt sehe, dann mache ich mich auf den Weg.“ Wie im Jahr 2010, als Innauer für viele überraschend am Zenit des Erfolgs das Amt des Sportdirektors im ÖSV zurücklegt und sich für eine späte Selbstständigkeit als Berater, Vortragender, Autor und TV-Kommentator entscheidet.

Dass für den ehemaligen Spitzensportler auch der Breitensport wichtig ist, wird in seinem aktuellen Buch Die 12 Tiroler – Bewegung von den Tieren lernen deutlich, einem kurzweiligen Pocket-Programm für den Alltag, inspiriert von Tieren aus dem alpinen Raum und ihren Bewegungsabläufen. Die Lebensrealität vieler Menschen im 21. Jahrhundert findet im Sitzen statt, im Auto, vor dem Bildschirm. Die Bewegungsverarmung und der Verlust des natürlichen Körpergefühls beeinträchtigen Selbstwahrnehmung und Lebenslust. Innauer will mit seiner Initiative gegensteuern: „Denn sonst kommen wir bald in die abstruse Situation, dass wir zukünftig nicht nur Lesen, Schreiben und Rechnen als Kulturtechnik vermitteln müssen, sondern auch unsere ureigensten Fähigkeiten wie Bewegung und Körperbewusstsein, um die Degenerierung zu vermeiden.“

Verena Hahn-Oberthaler


Zur Person

Toni Innauer (geb. 1958) gewann Einzel-Gold im Skispringen bei den Olympischen Spielen 1980 in Lake Placid, war Weltrekordhalter und erhielt als erster Springer fünfmal die Idealnote 20. Als 22-Jähriger beendete er nach einer schweren Verletzung seine aktive Karriere. Innauer absolvierte ein Lehramtsstudium der Psychologie, Philosophie und Sportwissenschaften, er war Cheftrainer der österreichischen Nationalmannschaft und Sportdirektor der Nordischen im Österreichischen Skiverband ÖSV. 2011 gründete Innauer das Beratungsunternehmen „Innauer + (f)acts“. Der Bregenzerwälder ist Vortragender und Autor sowie Mitbegründer des Medizintechnik-Start-ups Saphenus.