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Leser-Reportage

Wandern auf den Spuren Schiffbrüchiger

In jedem der etwa 1000 Rotary Clubs in Deutschland gehören Vorträge von Mitgliedern zum festen programm der wöchentlichen Meetings. Die Themen reichen von Anatomie bis Zoologie. Auch Reiseberichte sind immer wieder darunter. Wir stellen die spannendsten vor. In dieser Woche: Eine Trekkingtour durch den äußersten Westen Kanadas.

26.10.2013

Kanada hat mehrere Regionen des Landes als besonders schützenswert ausgewiesen und zum National Park erklärt. Den Status eines National Parks erhielt 1960 auch ein Teil der Westküste Vancouver Islands, der sogenannte Pacific Rim National Park. In Zusammenarbeit mit den indianischen Ureinwohnern, den sogenannten First Nations, wird der Park verwaltet, 1970 wurde die Region daher in Pacific Rim National Park Reservat umbenannt.

Innerhalb des National Park Reservats verläuft entlang der rauen Pazifikküste ein 75 Kilometer langer Weg, der West Coast Trail (WCT). Es gilt auf diesem Trekking-Pfad keine Berge zu erklimmen und es gilt schon gar nicht Geschwindigkeits-Rekorde zu brechen. Der WCT ist trotzdem eine wahre Herausforderung und zwingt zur Entschleunigung, und das aufgrund der besonderen Beschaffenheit des Weges – ein durchgehender nicht mehr vollständig intakter Holzplankensteg. Die Route, die innerhalb einer Wiche zu schaffen ist, strengt an und zermürbt die Wanderer. Auf den Trail sollte man sich deshalb nur mit guter Kondition und guter Ausrüstung begeben soll.

Was macht diesen Trail besonders?

Der West Coast Trail liegt im gemäßigtem Regenwald. Das bedeutet tropisch feuchtes Klima mit jahrhundertealten Bäumen und üppiger Flora. Im Jahresdurchschnitt fallen in dieser Region des nördlichen Pazifiks bis zu 3000 Liter pro Quadratmeter Niederschlag. (Zum Vergleich: Für Münster kann man von etwa 750 Lietern pro Quadratmeter pro Jahr ausgehen.)

Der Trail ist ursprünglich als Rettungsweg für Schiffbrüchige am Anfang des 20. Jahrhunderts konzipiert und gestaltet worden.  Im Januar 1906 verunglückte das Schiff, die SS Valencia, auf der Fahrt von San Fransisco nach  Seattle auf der Höhe des jetzigen WCT  (Pachnea Point ) und es kamen  mehr als Hundert  Menschen ums Leben.  Damals wurde diese Region auch „the gravejard oft the pacific“ genannt, da unzählige Schiffe  durch hohe See, starke Stürme und schlecht  kartierte Untiefen und Riffe kenterten. Die Gesamtzahl der Schiffbrüchigen wurde auf etwa 700 Menschen geschätzt, die bis 1920 in dieser Seeregion zu Tode kamen. 


Die kanadische Regierung wollte mit einem hölzernen Pfad durch den Regenwald entlang der Küste den überlebenden Schiffbrüchigen die Möglichkeit geben sich zu Fuß zu retten, nachdem sie die Fluten überlebt hatten. Innerhalb von zwei Jahren wurde ab Sommer 1907 ein durchgehender Holzplankensteg von Port Renfrew im Süden bis zum 75 Kilometer weiter nördlich gelegenen Bamfield errichtet. 


Dieser 1909 fertiggestellte „boardwalk“ durch den Regenwald ist nur noch an wenigen Stellen intakt. Meist ist er extrem glitschig und brüchig. Die Gefahr einzubrechen oder auszurutschen ist sehr hoch. Er wird zwar regelmäßig ausgebessert, über weite Strecken fehlt er aber fast völlig und der Weg verläuft durch den aufgeweichten und zum Teil sumpfigen Boden des Regenwaldes. Jeder Schritt muss überdacht sein, Trekking-Stöcke sind unverzichtbar.

Gemäß den Gezeiten wechselt die Tour zwischen Abschnitten, die direkt an der Wasserlinie entlang führen und Abschnitten, die durch den immergrünen üppigen Regenwald führen. Durch unzählige Leitersysteme besteht die Möglichkeit zwischen den Abschnitten am Strand und durch den Regenwald zu wechseln.  Das längste Leitersystem besteht aus acht Leitern, die längste Leiter überwindet fast senkrecht 40 Meter. Zur Überquerung der Flüsse wurden hölzerne Brücken oder Hängebrücken errichtet, teilweise sind sie jedoch nur mit primitiven Seilbahnen, den sogenannten „Cable Cars“ zu überwinden.  Doch durch manches Flussbett muss auch schon mal gewatet werden. 

Übernachtet wird im selbst mitgebrachten Zelt. Entlang des Trails sind mehrere Strandabschnitte als „Campsites“ ausgewiesen. Dort gibt es immer Flüsse oder Bäche  für  Trinkwasser und Bärenboxen, um das Essen zu deponieren und somit das Anlocken von Wildtieren zu vermeiden. An den "Campsites" stehen Biotoiletten zur Verfügung, sogenannte „Outhouses“, um die Spuren der Trekkingbegeisterten möglichst gering zu halten. Jeglicher sonstiger Müll und Abfall muss wieder mitgenommen werden. 
Wölfe, Schwarzbären und Pumas zählen zu den Tieren, von denen man sich auf dem Trail fernhalten sollte. Am häufigsten ist der Kontakt mit Bären.  Um diese Begegnungen zu verhindern wird empfohlen, eine Bärenglocke am Rucksack anzubringen oder sich auf andere Weise durch Geräusche bemerkbar zu machen. Andere, weniger gefährliche Tierarten können  häufig beobachtet werden: Unzählige Weißkopfadler in der Luft und Seelöwen in ihren Kolonien auf der Küste vorgelagerten Felsen. Vereinzelt sieht man Seeotter. Mit Glück kann man Grauwale und Orcas vorbeiziehen sehen.

In der Vorsaison ist ein Start ohne vorherige Anmeldung möglich. In der Hauptsaison von Mitte Juni bis Mitte August bekommt man nur nach vorheriger Anmeldung die Möglichkeit die 7 Tage Tour entweder vom Norden aus in Pachena Bay oder im Süden in Port Renfrew zu beginnen. Insgesamt werden in den Nationalpark  etwa 8000 Besucher pro Jahr für den WCT zugelassen.  Die An- und Abreise zum Trail ist am einfachsten mit dem WCT-Express Bus der innerhalb von drei Stunden von der Hauptstadt von British  Columbia, Viktoria nach Port Renfrew und innerhalb von sechs Stunden nach Pachena Bay fährt.  Der Start im Süden oder Norden ist frei zu wählen. Und letztendlich hat die Beschaffenheit des Weges doch einen großen Vorteil: Verlaufen kann man sich nicht!

 

  • Der Autor Peter Young ist Mitglied im Rotary Club Telgte. Er leitet die Klinik für Schlafmedizin und Neuromuskuläre Erkrankungen am Universitätsklinikum Münster.