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Unwetter in Ahrweiler

Die katastrophale Woche einer rotarischen Familie im Ahrtal

Unwetter in Ahrweiler - Die katastrophale Woche einer rotarischen Familie im Ahrtal  Fotostrecke: Helfen nach dem Hochwasser
Kurz vor Feierabend kamen die Helfer mit Rotarier Heinz Krönke, vorne rechts mit blauem Polohemd, kurz zusammen, um wenigstens ein gemeinsames Foto zu schießen. Dann gings in den Endspurt. © Rainer Jung

Schon Goethe sprach von der Ahr als der "wildesten Tochter" von Vater Rhein. Dass sie einmal so wild werden würde, so viel Schaden anrichten und Leben auslöschen würde konnte sich aber niemand vorstellen.

22.07.2021

Der rotarische Freund Rainer Jung berichtet:

Am Mittwoch, den 14. Juli 2021, schüttete es den ganzen Tag und die Freunde des RC Bad Neuenahr-Ahrweiler kamen zum zweiten Präsenzmeeting im Hotel Steigenberger zusammen. Während des Meetings kamen schon die ersten Alarmanrufe für Freunde, die selbst in Ahrnähe wohnen.

Nach dem Meeting, kurz vor 20 Uhr standen zwei Freunde auf der Kurgartenbrücke, die sicher vielen Lesern von den Uferlichtern bekannt ist, und bestaunten die wilde Ahr. Der Fluss stieg in wenigen Minuten deutlich an, und wie es schien, schwammen ganze Uferwälder, Klafterholz und Holzstämme von Sägewerken vorbei. Noch ging alles unter der Brücke durch, aber das mitgeführte Treibholz kam immer näher an den Überbau des daneben stehenden Hotels heran.

Die beiden Freunde trennten sich ohne zu wissen, dass sie vielleicht die letzten waren, die auf der Kurgartenbrücke standen. Auf dem Weg nach Hause ins Rheintal rollten Dutzende von Fahrzeugen – Polizei, THW und Feuerwehr mit Blaulicht – ins Ahrteil hinein, um im oberen Bereich zu helfen, der da schon stark in Mitleidenschaft gezogen war. Das, was die beiden Freunde gesehen hatten, den rasenden Anstieg der Ahr, setzte sich fort bis Mitternacht. Die Brücken waren schon mit Treibholz aller Art blockiert, und die Ahr staute sich zusätzlich vor den Brücken an.

Gegen 1 Uhr am Donnerstag morgen (15. Juli) barsten die Fenster im Haus von Freunde Krönke, und die Familie flüchtete Stufe für Stufe in das obere Stockwerk, gebannt beobachtend, ob das Wasser noch weiter steigen würde. Zum Glück blieb es zehn Zentimeter unter der Decke des Erdgeschosses stehen. Unter diesen Umständen war an Schlaf nicht zu denken. Wechselseitig wachend blieb die Familie im Haus eingeschlossen – von Hochwasser umgeben, auch nach dem ersten Rückgang der Flutwelle. Da die Rettungskräfte ein Wiederansteigen der Flut befürchteten, wurde die Familie nach Remagen in die Rheinhalle evakuiert, wo sie dann die Nacht von Donnerstag auf Freitag verbrachte.

Ähnlich verlief es auch bei vielen anderen Familien, sodass dies nur ein Einzelbeispiel ist, das auf viele übertragen werden kann. Mit der Bemerkung der Ehefrau eines rotarischen Freundes: "Schau mal, das ist wie vor einem Aquarium", begann dort die Katastrophe. Bereits im Wohnzimmer knöcheltief im Wasser stehend und draussen mit dem Wasser auf Kopfhöhe barsten plötzlich die Scheiben und beide konnten sich nur mit Mühe nach oben flüchten. Leider ist vielen älteren und unbeweglicheren Menschen dieses Glück nicht beschieden gewesen, und man hat beim Auspumpen der Keller manchen leblosen Körper gefunden. Die vernichtende Walze der Ahr hat auch viele Geschäfte und Unternehmen zerstört, zum Beispiel das Weingut Stodden in Rech, die Schreinerei Rönnefahrt in Dernau, die Apotheke des Freundes Brands in Bad Neuenahr und viele Arztpraxen, darunter auch die von Freund Krönke im Hotel Steigenberger und die in Ahrnähe liegenden Wohnhäuser auf beiden Seiten der Ahr. Viele Häuser müssen untersucht werden, ob sie weiter genutzt werden können. All das geschah in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag. Wegen des um die Häuser stehenden Wassers waren viele Geschädigte am Donnerstag zur Untätigkeit verurteilt. Manche waren gefangen in ihren Häusern.

Über unseren rotarischen Freund Pastor Frank Klupsch (RC Remagen-Sinzig) wurde eine Verbindung zur Familie Krönke in der Notaufnahme (Rheinhalle Remagen) hergestellt. Der Wunsch, so schnell wie möglich zum Haus zurückzukehren, überwog alles andere. Mit Werkzeug ausgestattet ging es über das Hinterland von Norden kommend (aus Osten waren die Strassen unpassierbar und gesperrt) nach Bad Neuenahr. Blaulichter und Strassensperren umgehend kamen wir endlich am Haus Krönke an. Die zurückgebliebenen Nachbarn hatten schon mit dem Ausräumen ihrer Häuser begonnen. Die Haustür konnte nur mühsam geöffnet werden, nicht aber Garagen und Rolläden, da kein Strom verfügbar war. Das Haus blieb finster, eingerahmt von einer Schlammschicht, die je nach Strömung des Wassers von 10 bis 50 Zentimetern reichte. Auch innen war alles voll Schlamm, und der Keller stand unter Wasser. So war der restliche Freitag ein Tag des Schlammschiebens und Schaufelns – genau so ging es am Samstag und Sonntag weiter. Der Schlamm im Haus nahm einfach kein Ende.

Es begann auch die Bergung noch intakter Güter aus dem Schlamm und deren Säuberung, denn der Schlamm wird schnell knochenhart und wirkt wie Schmirgelpapier.

Die Feuerwehr war mit dem Auspumpen überfordert und konzentrierte sich auf Häuser, in denen ältere Leute wohnten. Aber die private Hilfe mit Generatoren, Pumpen und Hochdruckreinigern lief am Wochenende an. Zum Glück hatte der Regen aufgehört, was einerseits weniger Schlamm bedeutete, aber sofort zum Verstopfen der Kanalisation führte. Das heisst, in weiten Bereichen konnte nicht abgepumt werden.

Die Trümmerberge beiderseits der Strassen wuchsen und wuchsen, es wäre allein nicht zu schaffen gewesen. Freunde, Verwandte und sehr viele Helfer waren vor Ort: Feuerwehr, THW, Bundeswehr, Polizei, Sportclubs, Betriebsmannschaften, Vereine und individuelle Helfer. Sie alle scheuten keine schmutzige Arbeit und vollbrachten eine gewaltige Räumleistung. Erfreulicherweise gab es mit der Rückkehr des Leitungswassers eine große Arbeitserleichterung. Die Pump-, Räum- und Säuberungsaktionen halten bis heute an.

Freund Jürgen Hemmers zeigte sich als guter Organisator in der Beschaffung von Gerät und Helfern, ebenso Freund Thomas Otten. Unser Clubmeister Achim Fischer konnte mit seinen Lageinformationen und dem Aufbau einer Rotary-Gruppe bei WhatsApp über Hilfsangebote informieren und bei Bedarf vermitteln. Sie hat sich zu einer gefragten Börse entwickelt. Jetzt geht es um längerfristige Unterkunftsmöglichkeiten für Freunde, deren Haus unbewohnbar geworden ist. Bei der Fahrt am Mittwoch, den 21. Juli, eine Woche nach dem Flutereignis, entwickelten sich bereits unangenehme Staubwolken. Der Schlamm ist durchgetrocknet, wird aufgewirbelt und legt sich wie Puderzucker auf alles. 

Die wenigen Eindrücke bei der Familie unseres Freundes Krönke stehen für die vielen anderen, denen es genauso geht. Dabei sind wir bei diesem fast mechanischen Aufräumen überhaupt nicht dazu gekommen, über die Befindlichkeiten der Betroffenen zu sprechen, wenn persönliche Dinge und Erinnerungen unwiederbringlich verloren sind.

Das Aufräumen wird noch lange dauern, aber das Wiederherstellen des alten Zustandes wird Monate und bei der Infrastruktur Jahre in Anspruch nehmen. Dennoch sind alle von dem Mut und der Zuversicht beseelt, dass dies möglich sein wird, auch dank der vielen Helfer, die unermüdlich im Einsatz sind und höchste Anerkennung verdienen.

Rainer Jung
RC Bad Neuenahr-Ahrweiler