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Titelthema

Du oder ich

Titelthema -  Du oder ich
Eine Graue Sandbiene verrichtet ihre Arbeit auf einer Löwenzahnblüte © Ingo Arndt

Die Honigbiene wird oft romantisiert. In Wirklichkeit ist sie ein Nutztier, das in Konkurrenz zu Wildbienen und anderen Bestäuberinsekten treten kann

Michael Ohl01.08.2024

Wie kaum ein anderes Tier ist die Honigbiene zu einem allgegenwärtigen Kulturobjekt geworden. Reduziert auf einige gelb-schwarze Streifen und knuddelige Grundformen steht sie für Bienenprodukte aller Art und für bienenfreundliche Naturschutzinitiativen. Die Biene Maja fliegt seit 50 Jahren durch die deutschen Kinderzimmer und präsentiert uns ihr freundliches, wohlmeinendes Wesen. So ist es nur folgerichtig, dass der mediale Begriff „Bienensterben“ emotionale Reaktionen hervorruft und stellvertretend für den zu beobachtenden Rückgang der Artenvielfalt steht.


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Die Honigbiene, genauer, die bei uns kultivierte Westliche Honigbiene (Apis mellifera), überschattet mit ihrer massiven medialen Gegenwart allerdings einen differenzierten Blick auf die Situation der natürlichen Artenvielfalt. Apis mellifera ist nur eine von rund 20.000 Bienenarten, die weltweit bekannt sind. Obwohl sie von den meisten Menschen als Prototyp einer Biene gesehen wird, ist sie doch in vielen ihrer Eigenschaften eine Ausnahme unter der enormen Vielfalt an Bienenarten. Insbesondere ist sie – neben wenigen anderen Arten wie einigen stachellosen Bienen in den Tropen – ein landwirtschaftliches Nutztier, das in der Form, in der sie heute von Imkern gepflegt wird, natürlicherweise in Mitteleuropa nicht vorkommt.

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Große Erdhummel, Bombus magnus: Man findet sie in Heiden, auf Brachland, an Gräben und Wiesenrändern © Illustration: Terillu

In den letzten Jahren ist deutlich geworden, dass es regional und global derzeit zu einem dramatischen Rückgang an Insekten kommt. Zu den Hauptfaktoren, die auf die natürliche Insektenvielfalt in Mitteleuropa einwirken, gehören der Klimawandel mit zunehmenden Durchschnittstemperaturen, die intensive Landwirtschaft verbunden mit einer Abnahme heterogener Landschaftsstrukturen, eine Habitatfragmentierung sowie der Einsatz von Umweltchemikalien. Wildbienen gehören zu den Insekten, die von diesen Faktoren besonders betroffen sind und deren natürliche Populationen durch eine massive Verringerung des Blütenangebots und der Nisthabitate in unserer Kulturlandschaft stark unter Druck geraten sind.

Einer breiten Öffentlichkeit wird die Honigbiene als wichtiges Element funktionierender Ökosysteme und notwendig für die erfolgreiche Bestäubung von Pflanzen dargestellt. In strukturarmen Agrarflächen kann dies der Fall sein. Honigbienen sind ausgesprochene Generalisten und sammeln Pollen und Nektar von einer Vielzahl von blühenden Pflanzen. Sie besitzen eine Vorliebe für Massentrachten wie Raps und spielen dabei zum Beispiel im Obstbau als effektive Bestäuber eine landwirtschaftlich bedeutsame Rolle. Dabei leiden auch die Honigbienen, die als Nutztier von Imkern eingesetzt und gepflegt werden, unter Faktoren wie dem Klimawandel und Umweltgiften. Hinzu kommen noch spezifische Probleme der Honigbienenhaltung wie der lokal auftretende sogenannten Völkerkollaps, aber auch der Befall der Völker durch die Varroa-Milbe und das Auftreten anderer Honigbienenkrankheiten.

Kampf um den Stadtraum

All das sind Probleme der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung der Honigbiene. Dennoch muss man konstatieren, dass die „Honigbienen […] das falsche Problem [sind], das gelöst werden muss“, wie ein Zeitschriftenartikel zusammenfasst. Die natürliche Artenvielfalt der beinahe 600 in Deutschland vorkommenden Wildbienenarten steht unter massivem Druck. Wildbienen tragen signifikant zur Bestäubung vieler Pflanzen bei, und dies gilt ebenso für Wildpflanzen wie für Nutzpflanzen. Dem steht gegenüber, dass in Deutschland mehr als die Hälfte aller Wildbienenarten auf der Roten Liste stehen. Funktionierende Lebensräume sind heterogene Lebensräume, und es gibt gute Gründe, dafür Sorge zu tragen, dass die natürliche Artenvielfalt der Wildbienen und anderer Bestäuber geschützt und gefördert wird.

In den letzten Jahren haben zahlreiche wissenschaftliche Studien gezeigt, dass Honigbienen insbesondere in Lebensräumen ohne Massentrachten wie in Städten eine massive Konkurrenzsituation mit Wildbienen um Blütenressourcen bedeuten. Eine aktuelle Metastudie konnte zeigen, dass etwas mehr als die Hälfte der wissenschaftlichen Studien, die sich mit der Frage der Auswirkungen von Honigbienen auf Wildbienen befasst hat, negative Auswirkungen nachweisen konnten. 30 Prozent der Arbeiten berichten von gemischten Effekten, also negative wie neutrale Einflüsse. Keinen relevanten oder feststellbaren Einfluss auf Wildbienen belegen 19 Prozent der Studien. In Einzelstudien konnte gezeigt werden, dass zum Beispiel die Abundanz von Hummelarten in Schweden um 81 Prozent zurückging, nachdem Bienenstöcke aufgestellt wurden. In Österreich konnte gezeigt werden, dass in einer Umgebung von 800 Metern rund um einen Bienenstock eine signifikante Verdrängung von Wildbienen stattfindet. Besonders hochspezialisierte Wildbienenarten wie zum Beispiel die Heidekraut-Seidenbiene (Colletes succinctus) können durch die massive Präsenz von Honigbienen zur Heideblüte so unter Druck geraten, dass die Wildbienen lokal aussterben.

Es ging auch ohne sie

Auch wenn die Auswirkungen von Honigbienen auf die natürliche Wildbienenvielfalt im Einzelnen weiterhin ungenügend verstanden ist, ist es doch plausibel, anzunehmen, dass bei den enormen Populationsdichten der Honigbiene mit mehreren 10.000 Arbeiterinnen selbst bei einer geringen Zahl von aufgestellten Völkern ein Ungleichgewicht zulasten der Wildbienen mit ihren geringen Populationsdichten und Abundanzen kommt. Unzweifelhaft vermieden werden sollten dabei Honigbienen in Naturschutzgebieten, die wichtige Rückzugsrefugien für eine große Zahl von Wildbienenarten darstellen.

So ist auch der Einstein zugeschriebene Aphorismus, dass die Menschen nach vier Jahren aussterben, wenn die Honigbienen aussterben, zum einen historisch nicht belegbar – Einstein hat das Honigbienensterben nicht erlebt und daher diesen Satz nie gesagt – als auch inhaltlich ungerechtfertigt. Wenngleich beinahe 100 Obst- und Gemüsesorten von Honigbienen bestäubt werden und die Honigbiene wie kein anderes Tier für die agrarindustrielle Nutzung geeignet ist, sind doch viele für den Menschen wichtige Pflanzen nicht von den Honigbienen abhängig. In England wurde gezeigt, dass Honigbienen nur für 25 Prozent der Bestäuberleistungen verantwortlich sind. Zudem gab es, bevor die Honigbiene mit der Kolonialisierung der Welt durch die Europäer als Haustier weit verbreitet wurde, überall auf der Welt signifikante Agrarproduktion, auch ohne Honigbiene.

Wie andere landwirtschaftliche Nutztiere auch hat die kultivierte Honigbiene Bedeutung in unserer Gesellschaft im Kontext der Lebensmittelproduktion. Eine bedeutende Rolle in den Naturlandschaften dagegen spielt sie nicht. Ganz im Gegenteil, der Erhalt und die Förderung der natürlichen Artenvielfalt der Wildbienen und anderer Bestäuber ist eine Grundvoraussetzung für intakte Lebensräume. Die Übermacht der Honigbienen kann sich trotz gut gemeinter Absichten beispielsweise der zahlreichen Hobbyimker negativ auf die natürliche Artenvielfalt auswirken.


Die Feinde der Bienen

Asiatische Hornisse
Invasiv, 2004 in Frankreich eingeschleppt, ernährt sich gern von Bienen.

Varroa-Milbe
Eine Hauptursache für das Bienensterben. Die 1,1 mm kleinen Schädlinge vermehren sich in den Brutzellen der Honigbienen und greifen den Fettkörper der Bienen an.

Bienenwolf
Das Insekt tötet die Bienen nicht direkt, es will nur an deren Nektar. Dazu quetscht es mit seiner Hinterleibspitze den Hinterleib der Bienen, sodass der Nektar aus deren Mund fließt. 

Michael Ohl

Prof. Dr. Michael Ohl ist einer der führenden Insekten- und besonders Wespenforscher und arbeitet am Museum für Naturkunde in Berlin. Zuletzt erschien 2023 bei Matthes und Seitz „Wespen – Ein Portrait“.