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Titelthema

Bereit, wenn ihr es seid

Titelthema - Bereit, wenn ihr es seid
Gerade fertiggestellt wurde in Düsseldorf das Projekt „The Cradle“ © Troldtekt by Olaf Wiechers

Beim zirkulären Bauen ist die Technik weit, aber die Praxis kommt zu langsam voran. Radikalere Bauvorschriften könnten helfen.

Jan Grossarth01.06.2024

Wie sieht das zirkuläre Bauen der Zukunft aus? Vielleicht ja so wie ein Flugzeug in der Wüste. Der amerikanische Architekt David Randall Hertz hat schon im Jahr 2011 ein derartig kurioses Beispiel kreiert. In Kalifornien ließ er eine ausrangierte Boeing 747 in ihre Einzelteile zerlegen und nutzte viele davon als Bauteile. Besonders eindrucksvoll in Szene setzen ließen sich die Flügel. Sie wurden zu den Dächern des „747 Wing House“ umfunktioniert, einer Villa in den Santa Monica Mountains im Nordwesten der Stadt Malibu.

Wie sich das Dach seitdem funktional bewährt hat, ist nicht bekannt. Aber man weiß, dass das Material günstig war. Das ausrangierte Flugzeug kostete insgesamt nur 35.000 Euro, und sogar seine Sitzbänke ließen sich im Bauwerk verwenden. Stahl, Beton und der Regenschutz für ein neu errichtetes Dach dieser Größe wären teurer gewesen.

Doch wo ist der Haken? Dass seitdem nicht reihenweise Dächer aus ausrangierten Flugzeugflügeln entstanden sind, hat ökonomische Gründe. Die Kosten für die Transporte der Flügel überstiegen die Materialkosten. Schwertransporte und Helikopter waren nötig. Hinzu kamen die Kosten der Bürokratie: zahlreiche Anträge bei den Ämtern, für die Transporte, die Bauzulassung.

Schade eigentlich, denn das Bauen mit Upcycling-Materialien aus der „urbanen Mine“ ist ein Desiderat der Stunde. Die Klimabilanzen können sich deutlich besser sehen lassen als im Fall frisch angemischten Zements. Aber auch das Beispiel des Wing House blieb letztlich eines, das zwar medial viel beachtet und architektonisch inspirierend war, jedoch den nachhaltigen Bau insgesamt nicht voranbrachte.

Downcycling ist keine Lösung

Damit die Baubranche in Zukunft weniger Materialien verbraucht und weniger Emissionen verursacht, müssen zirkuläre Innovationen in Alltags-Bauprojekten Anwendung finden – seien es Straßen, Pflegeheime, Industrieanlagen, Kraftwerke oder Mehrfamilienhäuser. Dabei geht es nicht mehr nur darum, das Recycling zu optimieren. Das ist gelungen, die Zeit der Bauschuttdeponien ist vorbei, aber es gibt in der Regel „Downcycling“. Stolze Häuser werden nach Abbruch größtenteils zu Füllmaterial für den Straßenbau.

Knapp 40 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen werden Bau und Wohnen zugerechnet. Angesichts der Klimaziele müssten Bauwerke so errichtet werden, dass ihre Bestandteile in Jahrzehnten ohne großen Energie- und Transportaufwand demontiert und wiederverwendet werden können. Also ist die Idee naheliegend, auf langlebige und wiederverwendbare technische Bauteile zu setzen. Der Ansatz geht auf Arbeiten des Nachhaltigkeitswissenschaftlers Michael Braungart aus den frühen 2000er Jahren zurück. Seine radikale Idee einer „Circular Economy“ des Bauens appelliert nicht nur an den Gesetzgeber, sondern stark auch an die Kreativität der Unternehmerinnen und Unternehmer.

Deswegen vereint sie, statt zu spalten. Ein großer Anhängerkreis, von Bürgerinnen bis zu Industriellen, von Liberalen bis zu Klimaaktivisten, engagiert sich für Braungarts Idee des „Cradle to Cradle“. Dutzende Gebäude sind bis heute entsprechend zertifiziert – etwa das Bürogebäude „The Cradle“ in Düsseldorf. Aber auch das sind Leuchtturmprojekte, die in den volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen nicht ins Gewicht fallen. Zumal das zirkuläre Bauen nicht die Emissionen jetzt reduziert – sondern in der nächsten oder übernächsten Generation, die Bauteile wiederverwendet.

Die Probleme der Baubranche

Warum aber tut sich die mittelständisch geprägte Bauindustrie so schwer damit, die zirkulären Innovationen umzusetzen? Wer dieser Frage nachgeht, stößt auf ein komplex verwobenes Netz aus Gründen. Sie reichen von „hausgemachten“ Industrienormen, die zahlreiche Anforderungen an Brandschutz, Statik, Feuchteschutz, gleichbleibende Materialqualitäten stellen, über finanzielle, zulassungsrechtliche Faktoren bis zu einem strukturellen Konservatismus der Branche, aber auch der privaten Hausbauer.

Die Bauindustrie mit Firmen wie Holcim, Heidelberg Materials oder Hochtief könnte es dabei sogar einfacher haben als andere Branchen, ihren hohen Ressourcenverbrauch zu verringern. Man müsste einfach bauen wie mit Legosteinen. Die Wissenschaft und Ausgründungen aus der Wissenschaft lieferten zuletzt viele Beispiele, dass das geht.

Das Start-up der Stunde ist Triqbriq aus Tübingen. Es fertigt Bau-Steine aus Holz, auch aus eigentlich für den Bau nutzlosem Alt- und Schadholz. Triqbriq sind gedübelte, also leimfreie Bausteine nach Lego-Art. Die gibt es in mehreren Größen. Sie sind sortenrein aus Holz, lassen sich also im Prinzip auch verbrennen und eines Tages als „Dünger“ wieder dem Boden zurückgeben. Vor allem aber lassen sie sich schadfrei demontieren. Dank ihnen könnte man ein Haus auch als Geldanlage in langlebige, wertvolle Baustoffe betrachten.

Im Frühjahr 2024 ist ein erstes Einfamilienhaus in Frankfurt mit Triqbriq gebaut worden – angeblich zu etwa gleichen Kosten eines aus Mauerwerk, Mörtel und Polysterol errichteten Standard-KfW-Hauses. Die bauaufsichtliche Zulassung ist auch für Gebäude von fünf Etagen und mehr erteilt. Der Stein ist normiert und am Markt, weitere Bauprojekte sind gestartet.

Ähnliche „Lego-Steine“ bieten Start-ups und Wissenschaftsprojekte aus Beton an, aus Hanfkalk oder sogar aus Plastikhülsen, die mit Wüstensand gefüllt werden. Wüstensand ist eine global schier endlos verfügbare Ressource, die sich wegen ihrer geringen Kantigkeit nicht direkt als Zementzutat verwenden lässt. Aber dies ist für die Praxis noch Zukunftsmusik.

Innovationen sind auch schon im Keim erstickt. ReMoMab, ein Projekt der TU Dresden, machte es schon vor rund zehn Jahren möglich, Kalksandstein oder zementösen Mörtel zirkulär zu verbauen. Statt sie zementreich untrennbar zu machen, wurden die Steine mit gespanntem dünnem Stahl verbunden. Auch so ein Haus lässt sich irgendwann wieder schadstofffrei rückbauen.

Diese Bauweise war eine gute Idee, aber kein Markterfolg. Immer wieder scheitern junge Gründer daran, Finanziers aus der Bauwirtschaft zu finden. Welches Interesse sollte die Kalksandstein- oder Ziegelindustrie haben, sich selbst auf diese Weise des Geschäftes der Zukunft zu berauben?

Am liebsten ein Einfamilienhaus

Womöglich müssten sich die Geschäftsbeziehungen der Unternehmen zu den Bauherren grundsätzlich verändern. Die Theoretiker des Cradle to Cradle schlagen vor, dass Dienstleistungen wie Wohnflächen-Bereitstellung, Außendämmung oder Fensterfläche vermietet werden, statt dass die Menschen Eigentümer eines Hauses werden. Denn sein Haus, auch ein sinnstiftendes Lebensprojekt, baut man oft in engem finanziellen Rahmen in der Illusion, es sei für die Ewigkeit – und schon die übernächste Generation reißt es ab, weil es dem Geschmack oder der kleineren Familiengröße nicht mehr entspricht.

Würden Wände oder Fensterflächen vermietet, hätte der Anbieter ein finanzielles Interesse daran, hochwertige und schadfrei trennbare Baustoffe einzusetzen. Einen ähnlichen Weg geht jetzt tatsächlich auch Triqbriq, das Start-up aus Tübingen. Es will ein Anbieter für Wohnungen aus einer Hand werden, der die eigenen Bausteine verwendet und so de facto verleiht.

Zwar folgen diese Ideen einer überzeugenden Logik. Auch dürfte sich dieser Nischenmarkt vergrößern, wenn der CO₂-Preis und damit die Baustoffkosten steigen. Aber der Verzicht auf Eigentum ist nicht das, was die Menschen in der Mehrheit wollen. Sie träumen vom Eigenheim – und, oh ökologischer Schreck, vom gescholtenen Einfamilienhaus. Das ist nicht nur eine Unterkunft, sondern auch ein Symbol für Werte wie Kleinfamilie, Weitergabe des Eigentums an die Kinder- und Enkelgeneration, wie es der Denkmalwissenschaftler Johannes Warda von der Uni Bamberg beschrieben hat.

Forderungen an die Politik

Wenn die Nachfrage nach Wohnraum konservativen, relativ stabilen Mustern folgt – was folgt daraus für die akademischen und architektonischen Avantgarden? Vor allem die Einsicht, dass der Pfad zur Klimaneutralität wie ein Orchester, das viele musikalische Spezialisten beschäftigt, von vielen Spielern mit unterschiedlichen Stärken geebnet wird. Die Abfall- und Trennwirtschaft am Ende der Entsorgungskette ist ebenso wichtig. Neuerdings ermöglichen es optische Trennungen, den Ziegelschutt aus dem allgemeinen Bauschutt herauszutrennen. Das Ziegelmehl kann wieder Bestandteil von neu gebrannten Ziegeln werden.

Im Orchester spielen emissionsarme Zemente wie der am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) erfundene „Celitement“, die Hintergrundtechniken des Carbon Capture and Storage, bis zu Trends zu suffizienteren Wohnformen wie im Extremfall des Tiny House. Altglas wird zu „Misapor“: Schaumglas als Schüttungen oder Fundamentplatten, die isolieren und vor Feuchte schützen. Ein kreislauffähiges Material. Es wird geforscht an textilbewehrten Betonen und an Deckensystemen aus Lehm, einem kreislauffähigen Baustoff.

Die Rolle der Politik erschöpft sich nicht in Erhöhungen der CO₂-Preise und Feinjustierungen an der Musterbauordnung oder Bauprodukteverordnung. Das atemberaubende Normen- und Regelwerk ist selbst ein Problem, das Ressourcenverschwendung stimuliert und die Baukosten erhöht. Statt einseitig immer strengere Vorgaben über die U-Werte der Außenwände zu machen, müsste der Gesetzgeber strenge, aber offenere Vorgaben machen. Sie könnten lauten: Baut so, dass in 50 Jahren kein Bauschutt mehr anfällt.


Buchtipp

 

Jan Grossarth

Bioökonomie und Zirkulärwirtschaft im Bauwesen: Eine Einführung

Springer Vieweg 2024,

424 Seiten, 49,99 Euro