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Chinatown Hamburg

Titelthema  - Chinatown Hamburg
STRATEGEM 12 - Mit leichter Hand das einem unerwartet über den Weg laufende Schaf geistesgegenwärtig wegführen. © Illustration Claudia Lieb

„Han Bao“ heißt die Hansestadt auf Chinesisch: „Burg der Chinesen“. Hamburg will zu einem Verkehrsknoten der Neuen Seidenstraße werden.

Hermannus Pfieffer01.03.2020

Eines Tages werde China in geoökonomischer Hinsicht zum Nachbarn der Europäischen Union. So warnte der Politikberater und General a.D. Erich Vad kürzlich im Rotary Magazin. Ganz nah ist die Volksrepublik bereits heute in Hamburg. In Deutschlands größtem Seehafen wurden in den ersten drei Quartalen 2019 mehr als zwei Millionen Standardcontainer (TEU) im China-Verkehr umgeschlagen. Ein neuer Rekord. Jede dritte Box kommt aus dem Reich der Mitte.

Dabei ist es erst zwei Jahrzehnte her, da rangierte die Volksrepublik noch unter ferner liefen. 2019 ist China dann bereits zum vierten Mal in Folge Deutschlands wichtigster Geschäftspartner: Waren im Wert von mehr als 100 Milliarden Euro importierte Deutschland aus China – fast doppelt so viel wie aus den Vereinigten Staaten. Dabei nutzt Peking die Freie und Hansestadt als Tor zum europäischen Markt. Mittlerweile haben sich laut Handelskammer mehr als 500 chinesische Unternehmen an der Elbe angesiedelt; Chinas Generalkonsulat in Hamburg betreut neben Abertausenden Touristen über 40.000 Landsleute, die im Norden arbeiten. Und nun baut sich neben dem klassischen Seeweg eine weitere enge Verbindung zwischen Hamburg und China auf, die „Neue Seidenstraße“.


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Quelle: Hafen Hamburg Marketing

Präsident Xi Jinping hatte bereits 2013 seine Initiative „One Belt, One Road“ in Peking vorgestellt: An die 1000 Milliarden Euro will er in Häfen, Straßen und Bahn- strecken investieren lassen, um mehr als 60 Länder in Asien, Afrika und Europa miteinander zu vernetzen. Je nach Sichtweise soll die Neue Seidenstraße dann einmal in London, Duisburg oder Hamburg enden. Hunderte Projekte wurden bereits angeschoben. So haben Chinas Konzerne über 40 Häfen in drei Dutzend Ländern gebaut. Chinesische Experten managen heute auch Hafenanlagen in Abu Dhabi, Antwerpen oder Rotterdam. Und Cosco – eine der weltweit größten Reedereien und in Hamburgs Partnerstadt Shanghai zu Hause – hat den griechischen Hafen Piräus übernommen. Cosco fährt ebenfalls Hamburg an.

Kontrolle über Hafen-Terminals garantiert, dass die Waren schnell und billig in Europas Großstädte weitertransportiert werden. Was die Wettbewerbsfähigkeit chinesischer Produkte erhöht – und andere Hafenbetreiber an der Nordseeküste unter Druck setzt.

Dabei denken der Kommunist Xi und seine Planer strategisch – und agieren lokal. Bis hinein in die deutsche Provinz: Schon vor zwei Jahren besuchte eine hochrangige Delegation aus der Millionenmetropole Guang’an Dithmarschen, einen Landkreis an der Nordseeküste. In Anwesenheit des Landrates wurde ein „Memorandum“ über die zukünftige Zusammenarbeit unterzeichnet.

Chance und Risiko

Als Chinas Vize-Staatspräsident Wang Qishan im Mai 2019 Hamburg besuchte, zeigte sich auch Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) begeistert. Und der teilstaatliche Hafenkonzern HHLA will die Seidenstraßen-Initiative „unternehmerisch mitgestalten“, so HHLA-Chefin Angela Titzrath. Im Unterschied zu seinen großen Konkurrenten Rotterdam und Antwerpen sieht sich Hamburgs Hafen als „Bahnhafen“. Politik und Wirtschaft setzen daher auf den Ausbau der Zugverbindungen nach China. Auf der Schiene wurden 2018 laut Hamburg Hafen Marketing (HHM) immerhin schon 120.000 Standardcontainer zwischen Hamburg und China transportiert – 2027 sollen jedes Jahr 670.000 TEU über die eurasischen Bahnkorridore fahren. Ein Großteil davon soll dann in Hamburg landen. Darauf hofft allerdings auch Duisburg. Der weltweit größte Binnenhafen setzt ebenfalls auf China und baut zusammen mit Cosco einen neuen Containertertminal am Rhein. Geplantes Investitionsvolumen: 100 Millionen Euro.

China bleibt Chance und Risiko zugleich. Mehr als 700 Hamburger Unternehmen sind in der Volksrepublik bereits aktiv. Volkswagen, der zweitgrößte Arbeitgeber nach dem Hamburger Hafen und wichtiger Kunde der Logistikwirtschaft im Norden, setzt mittlerweile mehr Autos in China ab als in Europa. Der Großteil davon wird bereits in der Volksrepublik selbst produziert.

Unterm Strich birgt die Neue Seidenstraße „enorme Gefahren für unsere Zukunft“, warnt der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Gabriel Felbermayr schreibt dies ausgerechnet in dem China-Magazin des Hamburger Hafens. Eine Dominanz Chinas müsse verhindert werden. „Denn wer diesen Raum wirtschaftlich dominiert, beherrscht die Weltwirtschaft der Zukunft.“


Erklärung zur Illustration STRATEGEM 12
Ein Grundkennzeichen der EU sind ihre inneren Widersprüche. Gestützt auf den Sinomarxismus sind Führungspersonen der VR China darauf spezialisiert, weltweit „Widersprüche auszunutzen“. Das ist eine sinomarxistische Ausdrucksweise für das Strategem Nr. 12. Beispielsweise besteht in Deutschland keine kohärente allgemeinverbindliche Einstellung gegenüber dem Seidenstraßenprojekt. Bei dessen Realisierung kann daher die VR China von der vor allem in Hamburg vorhandenen Aufgeschlossenheit profitieren.


 

Hermannus Pfieffer

Dr. Hermannus Pfeiffer arbeitet als Wirtschaftspublizist in Hamburg. Er schreibt hauptsächlich für Tageszeitungen und hat mehrere Bücher veröffentlicht – unter anderem „Die Zähmung des Geldes“ (Rowohlt) und „Seemacht Deutschland“ (Ch. Links).