Stefan Schulte, Chef des Flughafenbetreibers Fraport, über den Frankfurter Airport, die Übernahme in Griechenland und die Terrorfolgen
01.11.2016
Wenn die Sonne untergeht, steigt Stefan Schulte gerne auf die Dachterrasse der Fraport-Zentrale am Frankfurter Flughafen. Von seinem Büro im siebten Stock führt eine Wendeltreppe direkt hinauf. Der Vorstandschef des Flughafenbetreibers Fraport mag die Atmosphäre, die der Airport ausstrahlt, wenn es dunkel wird und die Lichter brennen. Tagsüber kann er von hier aus auch den Platz sehen, wo der Terminal 3 einmal stehen soll. 2023 will Schulte das Gebäude einweihen, ein anfangs sehr umstrittenes Projekt. Anwohner befürchteten mehr Fluglärm. Schon das zeigt: Betriebswirtschaftliches Wissen allein reicht nicht, um einen Flughafen zu leiten. Ein Flughafenchef muss mehr können.
Herr Schulte, wie politisch muss ein Flughafenchef sein angesichts des Dauerstreits um Nachtflugverbote und Airport-Ausbauten? Die Anforderung ist zunächst, das Geschäft sauber zu führen und strategisch richtig zu entscheiden. Fraport betreibt ja nicht nur den Frankfurter Flughafen, sondern engagiert sich sehr stark international und macht im Jahr mehrere Milliarden Euro Umsatz. Dann kommt zu dieser Aufgabe etwas stärker als in anderen Unternehmen die Forderung hinzu, auch politisch zu denken. Aber eines gilt für die Politik wie für die Wirtschaft: Wenn Entscheidungen zu treffen sind, ist es immer gut, sich in die andere Seite hinversetzen zu können.
Ticken Politiker denn anders als Unternehmer? Nein, nicht unbedingt. Ein Ministerpräsident muss stärker im politischen Raum denken, Unternehmenslenker stärker in betriebswirtschaftlichen Dimensionen. Aber er hat Zwänge wie wir auch.
Die Mehrheit an Fraport gehört dem Land Hessen und der Stadt Frankfurt, also staatlichen Anteilseignern. Wie wirkt sich das aufs Geschäft aus? Die Konstellation, die wir haben – 51 Prozent bei Land und Stadt und 49 Prozent bei privaten Investoren –, die ist für ein Infrastruktur-Unternehmen schon eine sehr gute. Zumal die öffentlichen Anteilseigner eher langfristig denken und sich nicht ins Tagesgeschehen einmischen. Und 49 Prozent challengen uns jeden Tag, stellen uns immer ihren anderen Investments gegenüber. Diese beiden Seiten übereinanderzubringen ist Aufgabe des Managements.
Wie oft sind Sie unterwegs, etwa auf Reisen zu den Flughäfen, an denen Fraport beteiligt ist? Im Moment bin ich nicht einmal die Hälfte des Monats im Frankfurter Büro. Als Vorsitzender des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft bin ich oft in Berlin und Brüssel. Hinzu kommen Reisen zum Beispiel zu unseren Kunden und Beteiligungen. In Griechenland planen wir zum Jahresende die operative Übernahme der 14 Regionalflughäfen. Dort haben wir bereits eine griechische Tochter gegründet, deren Vorsitz ich innehabe. Das führt mich nun häufiger nach Griechenland, aber ich versuche auch, unsere anderen neun internationalen Flughäfen einmal pro Jahr zu besuchen, um mich mit dem Management und der Politik vor Ort auszutauschen.
Warum sind Sie in Griechenland eingestiegen? Auf Druck aus Berlin als Teil der Griechenland-Hilfe? Nein, wir wurden von keiner Seite dazu gedrängt. Aber mit der Kompetenz, die Fraport hat, können wir die Flughäfen dort deutlich besser entwickeln, als es heute der Fall ist. Das ist dringend notwendig. In viele Flughäfen wurde jahrelang nicht investiert. Wir können investieren und die Prozesse deutlich besser gestalten. Das ist wichtig auch im Hinblick auf die touristische Entwicklung Griechenlands.
Sie wollen in Griechenland 330 Millionen Euro investieren. Wofür genau? Zunächst müssen wir den Kaufpreis bezahlen: 1,2 Milliarden Euro. Dann kommen Investitionen von mindestens 330 Millionen Euro für die nächsten vier Jahre in die Flughäfen, aber auch in die Erweiterung von Terminals und Vorfeldern hinzu.
Wann erzielen Sie dort Gewinn? Gewinn werden wir schon in einigen Jahren machen, mittelfristig wollen wir natürlich eine gute Verzinsung auf das eingesetzte Kapital erzielen. Im Durchschnitt unserer derzeitigen Beteiligungen erreichen wir eine Rendite von etwa 13 Prozent auf das eingesetzte Kapital. Konzessionen laufen ganz allgemein betrachtet in der Regel 30 Jahre lang. Der Break-even wird durchschnittlich etwa nach der ersten Hälfte erreicht.
Bei vielen Ihrer Auslandsbeteiligungen sind im ersten Halbjahr die Passagierzahlen gesunken: Ljubljana minus 4,5 Prozent, St. Petersburg minus 6,5 Prozent und Antalya sogar minus 30,5 Prozent. Die geopolitischen Rahmenbedingungen belasten insgesamt den Luftverkehr. Daher mussten wir zum Teil deutliche Verkehrsrückgänge hinnehmen. Die Türkei hat sich wegen der Unruhen und Anschläge dort in diesem Jahr schlecht entwickelt. Ein weiterer Grund waren die Sanktionen von Russland, wodurch touristische Charter-Angebote von Russland aus in die Türkei nicht zugelassen waren. Das Verbot wurde jetzt aufgehoben, und wir sind zuversichtlich, dass es 2017 bereits wieder nach oben geht.
Wo wollen Sie noch expandieren? Wir schauen uns verschiedene Regionen an. Aber nicht überall können und wollen wir uns engagieren. Das hängt von der jeweiligen Rechtsstaatlichkeit vor Ort ab, ein weiteres Kriterium ist der Korruptionsindex, und es gibt noch andere Merkmale. Vor allem muss der Flughafen in einer Situation sein, in der wir sagen können: Das können wir besser, hier schaffen wir Mehrwert. Und dann gibt es Länder, wo ein Investment wenig Sinn machen würde. Wenn ein Flughafen schon hervorragend entwickelt ist, wäre unser Mehrwert gering.
Die Anteile am Flughafen in St. Petersburg hat Fraport reduziert. Ist das der Anfang des Ausstiegs? In St. Petersburg haben wir 2010 die Betriebskonzession in einer öffentlichen Ausschreibung gewonnen und in einem Konsortium den Betrieb des Flughafens übernommen. Wir haben dort ein Terminal gebaut und das Geschäft hervorragend entwickelt. Von den rund 36 Prozent wollen wir jetzt 10,5 Prozent verkaufen, weil sich ein Verkauf für uns derzeit sehr gut rechnet. Wir erwarten dabei ungefähr 30 bis 40 Millionen Euro Gewinn, bleiben aber mit 25 Prozent dabei. Damit zeigen wir unseren Investoren auch, dass wir nicht nur kaufen, sondern auch gut entwickeln und verkaufen können.
Ihre Gewinnprognose für das laufende Jahr haben Sie aber trotzdem nicht angehoben. Das hängt mit dem Frankfurter Flughafen zusammen, mit geopolitischen Unsicherheiten, die eine Konsequenz von Terroranschlägen in Europa sind. Asiaten haben deshalb in relativ großem Umfang Fernreisen gestrichen. Das hat einen deutlich negativen Effekt für uns, weil wir so stark im interkontinentalen Verkehr sind. Und wir haben viele Umsteiger. Uns fehlen also ankommende Passagiere im interkontinentalen Bereich und weiterfliegende Passagiere. Trotzdem mussten wir unsere Gewinnprognose nicht ändern.
Treffen Ihre Prognosen noch zu, auf deren Grundlage Sie in Frankfurt ein weiteres Terminal bauen? Sie wollen dann 88 Millionen Passagiere im Jahr abfertigen, derzeit sind es rund 60 Millionen. Sie trifft im Wesentlichen zu, obwohl wegen der Angst vor Terror kurzfristig weniger Passagiere kommen. Aber Infrastruktur-Geschäfte kann man nie von kurzfristigen Entwicklungen abhängig machen. Auch nach den Anschlägen am 11. September 2001 auf die USA haben wir deutliche Rückgänge verzeichnen müssen. Trotzdem haben wir danach alles wieder aufgeholt und weiter ausgebaut. Sicher dauert es jetzt ein wenig länger, aber alle Prognosen, die wir kennen, sagen: Der Luftverkehr wird weiter wachsen. Deshalb ist auch das Terminal 3 wichtig, und wir halten an der Bauentscheidung fest.
Was passiert, wenn Istanbul, neben Dubai Ihr Hauptkonkurrent im interkontinentalen Verkehr, seinen neuen Flughafen eröffnet; was, wenn Berlin endlich startet? Der Ataturk-Airport wird ja geschlossen, wenn der neue Flughafen in Betrieb geht …
… der neue ist aber um einiges größer. Wir werden Marktanteile verlieren. Das heißt schlicht: Wenn der Luftverkehr weltweit um fünf Prozent wächst, wächst Europa um circa drei bis vier Prozent. Wir werden vielleicht einen halben oder einen Prozentpunkt weniger wachsen. Aber wenn wir im Durchschnitt um etwa zweieinhalb Prozent pro Jahr zulegen und das auf die heute 60 Millionen Passagiere draufrechnen, kommen wir recht schnell an unsere Kapazitätsgrenzen in den Terminals 1 und 2 – deshalb brauchen wir das neue Terminal.
Auch wenn Berlins neuer Flughafen eröffnet wird? Davon erwarten wir keinen großen Einfluss, da wir nicht davon ausgehen, dass Berlin zu einem großen Umsteige- oder Interkontinentalflughafen wird. Berlin ist attraktiv und wird insbesondere im touristischen Bereich wachsen, dort auch bei Interkontinentalflügen, wird aber nicht solch ein Netzwerk haben wie Frankfurt. Mehr als 50 Prozent unserer Passagiere sind Umsteiger und nutzen das umfangreiche Streckenprogramm insbesondere im Interkontinentalverkehr.
Fluggesellschaften kooperieren zunehmend oder fusionieren sogar. Wie wirkt sich das aus? Bei uns hat es nicht zu einer Verkehrsreduzierung geführt, eher zu einer Erhöhung, weil es zusätzliche Frequenzen gibt. Wenn Lufthansa mit Air China kooperiert, wird es attraktivere Angebote und damit mehr Passagiere geben.
Flughäfen werben immer stärker mit ihren Shoppingmeilen. Wie viel trägt das Shopgeschäft in Frankfurt zum Fraport-Umsatz bei? Wenn wir das Ergebnis von Fraport betrachten, kommen – grob gerechnet – 35 Prozent aus dem internationalen Geschäft und 65 Prozent aus Frankfurt. Betrachtet man nur den Frankfurter Teil, stammen 60 bis 65 Prozent aus dem Non-Aviation-Geschäft, also aus dem Einzelhandel, der Gastronomie und der Werbung, also aus Bereichen, die nicht unmittelbar etwas mit dem Fluggeschäft zu tun haben. Ausschlaggebend sind aber auch hier die Passagierströme.
Welcher Bereich wuchs in den letzten zehn Jahren denn schneller? Das Non-Aviation-Geschäft dürfte schneller gewachsen sein, derzeit ist es gleichlaufend. Wir haben im Non-Aviation-Bereich Zuwächse pro Passagier von zwei, drei Prozent pro Jahr. Im Fluggeschäft haben wir ja nur das Entgelt pro Passagier an Fluggebühren. Die steigen nur im Rahmen der Kostensteigerungen.
Sie arbeiten seit mehr als einem Jahrzehnt für Fraport, sind seit 2009 Vorstandsvorsitzender. Haben Sie mal daran gedacht, den Pilotenschein zu machen? Nein, das habe ich mir nie überlegt. Ich komme aus Wuppertal, da gibt es keinen Flughafen, und selbst am Himmel finden Sie kein Flugzeug. Als Kind bin ich mit meinen Eltern immer im Auto in den Urlaub gefahren. Das erste Mal geflogen bin ich mit 17 oder 18 Jahren. Da hatten mich meine Eltern zu einem Sprachkurs nach England geschickt. Bevor ich 2003 zu Fraport kam, habe ich in Industrieunternehmen gearbeitet. Und in meiner Freizeit bin ich früher geritten …
… Sie haben auch Turniere bestritten. Ja, aber jetzt nicht mehr, meine jüngste Tochter macht das. Ich jogge eher, ab und zu auch mal eine Runde Golf.
Dr. Stefan Schulte RC Frankfurt/M.-Paulskirche ist seit 2009 Vorstandschef des börsennotierten Airport-Konzerns Fraport, der auch den Frankfurter Flughafen betreibt. Davor war der 56-jährige promovierte Betriebswirt bei Mannesmann Arcor und Deutz. fraport.de