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Worauf es jetzt ankommt

Der Koalitionsvertrag ist ausgehandelt. Deutschland wartet auf die Kanzlerwahl.
Friedrich Merz hat mit der vorab umgesetzten Lockerung der Schuldenbremse viele seiner Unterstützer und Fans überrascht und teils verprellt. Zudem musste er der SPD in den Koalitionsverhandlungen mangels Alternative weitgehende Zugeständnisse machen.
Was kann, was muss er als Kanzler tun, um das Blatt zu wenden? Vor allem sollte er zeitnah alles in seiner Macht Stehende tun, um bei der versprochenen Wirtschafts-, Migrations- und Verteidigungswende voranzukommen. Dabei ist die Wende in der Wirtschaftspolitik entscheidend. Denn nur wenn die Wirtschaft wieder wächst, werden die vielfältigen Herausforderungen vor denen Deutschland steht, bewältigt werden können.
Das fängt mit der richtigen Diagnose an. Deutschland steckt seit vier Jahren in der Stagflation. Wenn das einzige Problem der deutschen Wirtschaft die Schuldenbremse und mangelnde Staatsausgaben gewesen wären, dann hätte die reale Wirtschaftsleistung nicht auf dem Niveau von 2019 stagniert.
Denn die Schuldenbremse war zusammen mit den europäischen Fiskalregeln von 2020 bis 2023 per Notfallklausel ausgesetzt. Der Anteil des Staates an der Wirtschaftsleistung inklusive staatlicher Transfer ist infolgedessen auf knapp unter 50 Prozent angestiegen. Die Beschäftigung im öffentlichen Sektor hat zugenommen, absolut und relativ zum Privatsektor. Instandhaltung und Investitionen in die öffentliche Infrastruktur sind nicht an fehlenden Geldern gescheitert, sondern wurden durch langwierige Genehmigungsverfahren, Einsprüche zwecks Natur-, Arten-, Umwelt- und Nachbarschaftsschutz sowie politischen Streit und Misswirtschaft ausgebremst.
Die lockere Fiskalpolitik und der Anstieg der Staatsschulden haben neben Putins Angriffskrieg und der Energiekrise nachweislich neuer Studienergebnisse entscheidend zur Inflation beigetragen. Offensichtlich hat es nicht an Nachfrage gemangelt, sondern auf der Angebotsseite gehakt, und das schon länger. Die Inflation hat uns einen massiven Kaufkraftverlust und anhaltende Arbeitskämpfe beschert.
Deutschland steckt in einer anhaltenden, teils hausgemachten Strukturkrise. Der Rückgang der Industrieproduktion hatte schon vor Corona begonnen. Investitionen am Standort Deutschland waren unattraktiv. Deutschland steht für hohe Steuern, hohe Regulierung und viel Bürokratie. Made in Germany ist zu teuer und kompliziert geworden. Mit Trumps Zollerhöhungen ist ein weiterer Rückgang in der exportorientierten Industrie inklusive des Fahrzeugbaus vorprogrammiert.
Nicht nur die Energiekrise, sondern auch die Klima- und Energiepolitik haben der Wettbewerbsfähigkeit bereits viel Schaden zugefügt. Datenschutz und Regulierung von KI und Gentechnologie bremsen Innovationen und Investitionen in Bereichen aus, wo Deutschland aufgrund des Wissenstands und der Forschungsleistung vor Ort gute Chancen hätte.
Wenn jetzt die Staatsschulden wieder steigen, um die notwendige Aufrüstung und Infrastrukturinvestitionen zu realisieren, und die staatliche Nachfrage auf ein starres Angebot trifft, dann kommt die Inflation wieder. Die neue Regierung muss deshalb eine Deregulierungsoffensive starten, um die Stimmung der Investoren zu wenden. Nur der Ausblick auf neue und nachhaltige Gewinnchancen motiviert zu einem Aufbau des Produktionspotenzials.
Helfen könnte Friedrich Merz, dass die Erwartungen inzwischen stark gedämpft worden sind. Er hat eine Chance positiv zu überraschen, wenn die neue Regierung zeigt, dass sie schnell handelt. Wichtig wäre ein Sofortprogramm mit Maßnahmen und Gesetzen, die dann in den nächsten Wochen bis in den Sommer auf den Weg gebracht werden.
Quick wins zuerst: das Lieferkettengesetz zurücknehmen, die vereinbarte Unternehmenssteuersenkung und beschleunigte Abschreibung beschließen, Stromsteuer und Netzumlagen senken, Planungsfeststellungsverfahren für den Ersatzneubau von Infrastruktur abschaffen und Verfahren generell vereinfachen, die tägliche Höchstarbeitszeit durch eine wöchentliche ersetzen, die CO2 Abscheidung und Speicherung erlauben sowie Steuerfreiheit für Überstundenzuschläge und Arbeit über das gesetzlichen Renteneintrittsalter hinaus einführen. Diese und andere bereits vereinbarte Maßnahmen sollten umgehend auf den Weg gebracht werden.
Jetzt gilt es Handlungsfähigkeit zu zeigen. Die Regierung darf sich nicht durch eine zwei-monatige Sommerpause des Bundestags ausbremsen lassen. Die Eskalation im Handelskrieg zwischen den USA und China wird massive Auswirkungen auf die offene, exportorientierte deutsche Volkswirtschaft haben. Niemand wartet auf den deutschen Bundestag. Der Bundeskanzler kann Sondersitzungen einberufen. Jede Maßnahme, mit der jetzt gute Nachrichten über die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland generiert werden können, muss schnell auf den Weg bracht werden. Die Verteidigungswende wird zudem nur dann gelingen, wenn Regulierungen gelockert und abgeschafft werden, die den Einsatz von KI, die Finanzierung von Rüstungsinvestitionen, den Export von Rüstungsgütern und die Forschung zu militärischen Zwecken behindern.
Der Druck auf die deutsche Wirtschaft wird weiter zunehmen. Der Fahrzeugbau bekommt zunehmend harte Konkurrenz auf China. Standortschließungen werden Thema bleiben. Die staatliche Nachfrage nach Rüstungsgütern aus deutscher Produktion kann das bestenfalls teilweise abfedern. Und Beschäftigungsaufbau im öffentlich finanzierten Tiefbau wird kein Ersatz für Arbeitsplätze in der Exportindustrie und in wissensintensiven Dienstleistungen sein können. Der Strukturwandel wird fortschreiten. Deutschland muss Chancen, die sich durch Digitalisierung und KI, Gentechnik und andere neue Technologien bieten, unbedingt nutzen. Um dafür den richtigen Rahmen zu setzen, wird die Bundesregierung weitere angebotsorientierte Strukturreformen und Deregulierung angehen müssen, über das hinaus, was jetzt im Koalitionsvertrag steht.

© Bernd Lammel
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