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Der Preis der Billigmode

Titelthema - Der Preis der Billigmode
Blick ins Innere: Makroaufnahme einer Polyesterfaser (großes Bild) und Arbeiter, die in Mumbais Elendsviertel Dharavi in einem Metallbottich Stoffe färben. © Picture Alliance/SZ Photo

Fast Fashion demokratisiere den Modemarkt, sagen manche. Doch in Wahrheit ist es ein milliardenschweres und sehr dreckiges Geschäft.

Dana Thomas01.06.2024

Die Modebranche ist eine der Branchen mit den größten Auswirkungen auf den Planeten und die Menschheit. In diesem Drei-Billionen-Dollar-Geschäft werden jedes Jahr etwa 100 Milliarden Artikel hergestellt. Nur 80 Prozent davon werden verkauft; die restlichen 20 Prozent werden zerstört oder auf Mülldeponien entsorgt, bevor sie überhaupt in den Handel gelangen. Im Durchschnitt wird ein Kleidungsstück siebenmal getragen, bevor es weggeworfen wird, in China gar nur dreimal.

Für die Herstellung dieser Kleidungsstücke verbraucht die Modeindustrie 25 Prozent der weltweit produzierten Chemikalien, ist für 20 Prozent der gesamten industriellen Wasserverschmutzung und für vier bis acht Prozent der gesamten Kohlenstoffemissionen verantwortlich. Zwei Drittel der Kleidungsstücke werden aus erdölbasierten Materialien wie Polyester und Nylon hergestellt, die jedes Jahr eine halbe Million Tonnen Mikrofasern aus Kunststoff freisetzen und niemals biologisch abbaubar sind.

„Textilien haben im Durchschnitt die viertgrößten Auswirkungen auf die Umwelt und den Klimawandel, wenn man den Verbrauch betrachtet“, sagt Lars Fogh Mortensen, Experte für Kreislaufwirtschaft und Textilien bei der Europäischen Umweltagentur. „Nur Lebensmittel, Wohnen und Mobilität haben größere Auswirkungen, und diese sind seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, reguliert.“

Die Wurzel des Problems ist die Fast Fashion, die Produktion trendiger, preiswerter Kleidungsstücke in riesigen Mengen – in Windeseile in Zulieferbetrieben, die dann in Tausenden von Ladenketten feilgeboten werden. Dazu gehören Marken wie Zara, H&M, Gap und Primark, Einzelhandelsketten wie Walmart, Kmart, Monoprix und Marks & Spencer sowie E-Tailer wie Boohoo, Temu, Amazon, das in den Vereinigten Staaten die meisten Kleidungsstücke verkauft, und Shein (ausgesprochen „she-in“), die Nummer eins unter den Bekleidungshändlern der Welt.

Obwohl die Fast Fashion nur ein kleiner Teil der Branche war, ist sie so erfolgreich, dass sie die Art und Weise, wie Kleidung – vom Luxus bis zur Sportbekleidung – konzipiert, beworben und verkauft wird, neu bestimmt hat. Manche behaupten, Fast Fashion habe die Mode „demokratisiert“, indem sie hochwertiges Design auf den Massenmarkt gebracht hat. „Je mehr Menschen Mode haben können, desto besser“, sagte Vogue-Chefredakteurin Anna Wintour. Aber Fast Fashion nutzt auch unsere Unsicherheiten und unsere kurze Aufmerksamkeitsspanne aus. Die Läden sind voll mit Fünf-Euro-T-Shirts und 20-EuroKleidern, die die Kunden dazu verleiten, mehr zu kaufen. Wegwerfkleidung ist normal geworden.

Zu viel und zu billig

Das muss aber nicht so sein. Es gibt eine Vielzahl von Kunsthandwerkern, Innovatoren und Unternehmern, die darauf drängen, die Mode durch bessere Geschäftspraktiken, Gesetze und lokal geführte Bewegungen zu reformieren. Eine dieser Bewegungen ist Slow Fashion, eine Vereinigung von Herstellern, Designern und Produzenten, die als Reaktion auf Fast Fashion ihr Tempo und ihren finanziellen Ehrgeiz gedrosselt haben, um Produkte mit einem inhärenten Wert zu schaffen.

Eine andere Lösung ist die Kreislaufwirtschaft – die Praxis, Gegenstände länger im Umlauf zu halten. Seit dem Beginn der industriellen Revolution vor 250 Jahren haben wir linear produziert und konsumiert: herstellen, benutzen, entsorgen. Das hat dazu geführt, dass unser Planet in Müll ertrinkt – auch in Kleidung. Wir erzeugen jedes Jahr fast zwei Millionen Tonnen Textilabfälle. Nur ein Prozent davon wird recycelt. Die Weltklasseseglerin Ellen MacArthur hat auf der Isle of Wight eine gemeinnützige Organisation gegründet, die sich dafür einsetzt, die Kreislaufwirtschaft in der Modebranche einzuführen, indem sie Start-ups unterstützt, die Wege gefunden haben, um zu verhindern, dass Kleidung auf der Müllhalde landet. Ein Beispiel ist „Evrnu“, ein in Seattle ansässiges Unternehmen, das Baumwollgewebe in neues Garn umwandelt, ein anderes „Worn Again Technologies“, das gebrauchtes Polyester in neues umwandelt. Ziel ist es, den Anteil der recycelten Kleidung auf zehn Prozent oder mehr zu erhöhen. Im Idealfall sollte keine Kleidung im Müll landen.

Um die Überproduktion und den Überkonsum von Kleidung einzudämmen, hat die Europäische Union im Rahmen des European Green Deal den Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft ins Leben gerufen, der eine Reihe von verbraucherfreundlichen Vorschriften enthält, wie etwa das Verbot von Green - washing. Es verbietet Unternehmen, öffentlich zu behaupten, dass ihre Produkte nachhaltig sind, ohne dass diese Behauptungen durch Beweise gestützt werden. Bisher gab es keine Rechtsvorschriften, die von den Unternehmen verlangten, ihre nachhaltigen und ethischen Marketingaussagen zu belegen.

Düstere Vergangenheit, rosige Zukunft?

Zu den weiteren EU-Initiativen gehören das Verbot der Vernichtung von unverkauften Modeartikeln – eine europaweite Ausweitung eines in Frankreich bereits geltenden Gesetzes – und das Verbot der Entsorgung von weggeworfener Kleidung in Ländern des globalen Südens, was Aktivisten als „Abfallkolonialismus“ und „Umweltrassismus“ bezeichnen.

Diese Gesetze werden nicht leicht durch die Legislative zu bringen sein – die Marken betreiben eine intensive Lobbyarbeit, um ihre Verabschiedung zu verhindern. Und wenn sie erlassen werden, wird es schwierig sein, sie durchzusetzen. Ich habe gehört, dass ein großes europäisches Fast-Fashion-Unternehmen die Geldstrafen, die es für die Nichteinhaltung der Vorschriften zu zahlen hat, in sein Budget für die nächsten fünf Jahre einkalkuliert hat. Erfreulicherweise versucht nicht jeder, sich um die Rechenschaftspflicht zu drücken.

Am hoffnungsvollsten ist die Entwicklung von Biomaterialien – Materialien aus der Natur, wie Gewebe aus Seetang oder Bananenstauden, oder Leder aus Myzel, dem Wurzelwerk von Pilzen. „Wir stehen erst am Anfang einer Reise, bei der wir nicht mehr an Petrochemikalien und Tiere denken, sondern an die anderen Dinge, die die Natur leisten kann“, erklärte Suzanne Lee, Gründerin von Biofabricate, einem in New York ansässigen Beratungsunternehmen für Biomaterialien, auf einer Konferenz in Paris im Januar. „Je mehr wir sehen, dass solche Dinge möglich sind, desto offener wird unser Denken. Ich glaube, wir müssen unsere Abhängigkeit von Petrochemikalien und Wegwerfprodukten hinterfragen. Die Verbraucher sind bereit dafür.“

Das sind sie in der Tat. Laut Pew Research Center sind 72 Prozent der Bürger in Nordamerika, Europa und im asiatisch-pazifischen Raum über den Klimawandel besorgt – vor allem junge Menschen –, und 80 Prozent sagen, sie seien bereit, ihre Arbeits- und Lebensweise zu ändern, um die Auswirkungen des globalen Klimawandels zu verringern. Das lässt hoffen. Die Vergangenheit der Mode ist düster, die Gegenwart ist ziemlich lausig, aber die Zukunft könnte rosig sein.


Buchtipp

 

Dana Thomas

Unfair Fashion: Der hohe Preis der billigen Mode

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