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Von Fruchtgummi aus dem 3-D-Drucker und Veggie-Cafés

„Erinnerungen an die Kindheit akquirieren“

Von Fruchtgummi aus dem 3-D-Drucker und Veggie-Cafés - „Erinnerungen an die Kindheit akquirieren“
Meist nur an zwei Tagen in der Woche arbeitet Tobias Bachmüller in seinem Büro im Düsseldorfer Medienhafen. © Foto: Frank Beer

Katjes-Geschäftsführer Tobias Bachmüller über die Einkäufe des Süßwarenherstellers, Fruchtgummi aus dem 3-D-Drucker und Veggie-Cafés

01.12.2016

Die Wände sind nackt, die Decke ist nicht verputzt, der Schreibtisch aus ungehobeltem Bauholz. Tobias Bachmüller, geschäftsführender Gesellschafter des Lakritz-, Fruchtgummi- und Bonbonherstellers Katjes, hat es so gewollt. „Wir sind ein ­Industrieunternehmen“, begründet er das Design. Das solle auch den Mitarbeitern bewusst sein, die in Düsseldorf arbeiten, mitten im hippen Medienhafen, auf zwei Etagen des Bürohauses, das der britische Stararchitekt David Chipperfield entworfen hat.

Firmensitz und Stammwerk liegen im niederrheinischen Emmerich, wo Bachmüller auch ein Büro eingerichtet hat und häufiger arbeitet als in Düsseldorf. Selbst Heidi Klum kam nach Emmerich, als sie noch für Katjes warb. Aber Marketing­experten kann Bachmüller leichter engagieren, wenn sie in Düsseldorf tüfteln dürfen.

Gerade jetzt im Winter, zu Weihnachten, müssen sie sich was einfallen lassen. Denn ein Weihnachtsgeschäft kennt Katjes nicht.

Herr Bachmüller, vor Weihnachten kaufen die Deutschen traditionell mehr Süßwaren. Wie sehr profitiert Katjes vom Weihnachtsgeschäft?
Eher weniger, wir haben keine speziellen Weihnachtsartikel. Daher gönnen wir den Kollegen der Schokoladenunternehmen jetzt mal eine gute Zeit.

Ihr Tochterunternehmen Piasten produziert doch Pralinen.
Ja, das stimmt, aber Piasten bietet all seine Artikel das ganze Jahr über an, spezielle Weihnachtsprodukte gibt es auch dort nicht. Außerdem liegt der Schwerpunkt bei Piasten auf dem Dragée-Geschäft. Für die Gesamtcompany ist der Sommer wichtiger als der Winter, oder sagen wir mal: die anderen neun Monate. Unser bester Monat ist der Juli, weil es dann zu heiß ist für Schokolade, der Mensch aber immer etwas Süßes braucht.

Aber bei Ihnen zu Hause gibt es an Weihnachten schon Lakritz und Fruchtgummi?
Sicher. Meine Kinder müssen dann schon mal die Neuheiten testen, die wir Ende Januar auf der Süßwaren-Messe vorstellen.

Präsentieren Sie denn jedes Jahr Neuheiten?
Ja. Es gibt zwar keine neue Marke. …

Warum nicht?
… Unsere Strategie ist ein bisschen anders als die unserer meisten Wettbewerber. Wir akquirieren ja fleißig, unter anderem deshalb, weil wir glauben, dass beim Kauf von Süßigkeiten Kindheitserinnerungen prägend und relevant sind. Wir akquirieren im Grunde Kindheitserinnerungen, die in Marken verkörpert werden. Wenn wir versuchten, Katjes in Frankreich zu etablieren, dann müssten wir wahrscheinlich 30 Jahre warten, bis sich das rechnet. Deshalb investieren wir immer in schon vorhandene Marken, machen sie frischer. So haben wir 2002 aus einer Insolvenz heraus Ahoi Brause gekauft, heute ist sie eine Kultmarke.

Und unter den vorhandenen Marken bieten Sie dann Neuheiten an, indem Sie den Geschmack eines Produkts ändern oder die Farbe?
Erst einmal muss die Marke für etwas stehen. Bei Katjes fahren wir seit 2010 den Kurs, dass wir die Gelatine weglassen. Katjes steht also für Veggie. Seit ­diesem Jahr sind alle Katjes-Artikel zu 100 Prozent vegetarisch. Und jetzt können wir noch die Geschmacksrichtungen variieren.

Oder nehmen Sie Ahoi Brause: Inzwischen gibt es sie nicht nur als Pulver oder zu Brocken gepresst, sondern auch als Bonbon, in dem die Brause drin ist, oder als Fruchtgummi mit Brause außen drauf. Wir behalten die Kerneigenschaft der Marke bei, variieren sie aber in verschiedenen Produktformen.

Wie viele Ihrer Neuheiten setzen sich  am Markt durch?
Die Hälfte.

Welche Neuheiten bringen Sie 2017?
Das ist der Süßwaren-Messe Ende Januar vorbehalten und meinen Kindern an Weihnachten.

Sie selbst essen kein Fleisch mehr. Haben Sie deshalb bei Katjes die Veg­gie-­Strategie eingeführt? Oder verzichten Sie auf Fleisch, seit Katjes auf Veggie-­Kurs ist.
Ich habe mich mit dem Thema intensiver beschäftigt, wobei ich immer schon in der Fastenzeit vor Ostern auf Fleisch ­verzichtet habe, war also ein Sieben-Wochen-­Vegetarier. Vor ungefähr fünf Jahren habe ich nach dem Ende der ­Fastenzeit gar nicht mehr angefangen, Fleisch zu essen.

Ich habe aber keinen missionarischen Ansatz. Es gibt ja Leute, die beim Kellner dann ein Riesenbohei machen. Ich suche im Restaurant einfach etwas Fleischloses aus, da muss ich mich nicht outen. Sonst fängt sofort eine Diskussion an, und ich muss Vorträge halten.

Laut Branchenverband BDSI ist die Produktion von Süßwaren in Deutschland 2015 zurückgegangen. Wie ent­wickelt sich die Katjes-Gruppe?
Uns interessieren vor allem zwei Dinge: Die Marken müssen scharf posi­tio­niert sein, und die Wertschöpfung muss stimmen. Auch 2015 haben wir akquiriert und im November von Procter & Gamble eine unbefristete Lizenz für die Wick-Hustenbonbons für ganz Europa gekauft, die im Ausland ja Vicks heißen.

Produziert werden sie weiterhin von Procter & Gamble, aber wir kaufen und verkaufen sie auf eige­ne Rechnung. Sie passen her­vor­ragend in unser Portfolio, ­gerade weil wir sonst in der Winterzeit nicht so stark sind. Für Procter war das Geschäft zu klein und in einem Bereich, in dem das Unternehmen sonst nicht ­aktiv ist.

Welches Unternehmen oder welche Marke kaufen Sie als Nächstes?
Wir haben keine Hektik, wir gehen auch nicht ständig auf Shopping-Tour. Zu allen bisher akquirierten Unternehmen hatten wir langjährige Verbindungen. Das waren keine plötzlichen oder feindlichen Übernahmen.

Was bietet sich denn in Deutschland noch für Sie an?
Ich kann mir vorstellen, dass wir im nächsten Jahr etwas kaufen. Wir haben noch Reserven, auch aus der Mittelstandsanleihe.

In Italien und Spanien wollten Sie sich auch umschauen.
Wir konzentrieren uns auf Deutschland und die Nachbarländer. In Frankreich sind wir mit der Marke Lutti die Nummer zwei. In Italien haben wir mehrere Anläufe ­gemacht, aber die Preise stimmten nicht. Irgendwann wird sich da was ergeben. In Spanien haben wir bisher nichts akquiriert.

Sie sind auch an der Hallenser Schokoladenfabrik Halloren beteiligt, die sich jetzt im Dezember von der Börse zurückzieht.
Das stimmt, wir haben eine kleinere ­Beteiligung. Der Rückzug von der Börse kam etwas überraschend, mehr kann ich dazu aber nicht sagen.

Ihr umsatzstärkstes Produkt in Deutsch­land sind immer noch die Yoghurt-Gums?
Ja, aber der Grün-Ohr-Hase ist inzwischen genauso stark. Das Schaum­zucker­häs­chen bewerben wir zurzeit auch. Das ist unser Wappentier für unsere vegetarische Kampagne.

Früher hatten Sie als Werbe-Ikone das Model Heidi Klum. Warum jetzt nicht?
Wir waren der erste Werbepartner von Heidi Klum. Der Vorteil als erster Werbepartner ist: Man zahlt nicht Unsummen. Der Nachteil ist: Wenn es gut läuft, kommen auch andere. Nach vier, fünf Jahren ist Heidi Klum beim Honorar in Regionen gegangen, in die wir nicht mitgehen konnten. Sie hatte als Werbepartner dann ja VW und McDonald’s.

Eine Nachfolgerin gibt es nicht?
Nein, haben wir nicht. Seit wir die vegetarische Kampagne fahren, ist unsere Figur der Grün-Ohr-Hase. Damit werben wir auch im Fernsehen, beispielsweise auf RTL bei GZSZ, RTL II oder ProSieben. ­Unsere Hauptzielgruppe sind Frauen, sie sind für das vegetarische Thema affiner als Männer. Auf Kinder gehen wir in der Werbung nicht ein.  

Wie viel geben Sie im Jahr für das Marketing aus?
Acht bis zehn Prozent des Umsatzes. Der lag 2015 bei Katjes International, wo die Beteiligungen in Frankreich, Belgien und den Niederlanden sowie an Dallmann und Piasten gebündelt sind, bei 210 Millionen Euro. Den Deutschland-Umsatz von Katjes veröffentlichen wir nicht.

Sie produzieren auch Fruchtgummi mit 3-D-Druckern. Was genau?
Das ist inzwischen ein eigener Geschäftsbereich, die Magic Candy Factory mit Sitz in Birmingham. Die Drucker kommen aus den USA, wir produzieren das Fruchtgummi für die Patronen. Das Angebot richtet sich vor allem an Geschäfts­kun­den, die individualisierte Produkte haben möchten. Erster Kunde war die Dubai Mall. Auch in Deutschland stehen schon mehrere Drucker, in Märkten der HIT-­Handelsgruppe und bald beim Kaufhof in Düsseldorf. Man kann zum Beispiel seinen Namen in Fruchtgummi drucken lassen oder mit einem Smartphone ein Foto machen, und der 3-D-Drucker fertigt aus dem Fotogesicht dessen Konturen in Fruchtgummi. Kann man auch online machen.

Wann lösen die 3-D-Drucker die ­herkömmliche Produktion ab?
Für die Massenproduktion sind sie noch zu langsam. Wir haben zwar schon die schnellsten, aber für ein einziges Frucht­gummi-Stück braucht der 3-D-Drucker rund fünf Minuten.

Auch in Potsdam betreiben Sie etwas für die Branche Ungewöhnliches: eine gläserne Fabrik. Warum gläsern?
Die steht in Babelsberg direkt neben dem Filmpark, dadurch kam uns die Idee. Die Leute sehen gerne Industrie, interessieren sich dafür, woraus Nahrungsmittel bestehen, wollen Transparenz. Und eine Besichtigung stärkt die Bindung an die Marke, die Tour endet in einem Katjes-­Laden. Rund 200.000 Besucher kommen jedes Jahr, in Potsdam haben nur das Schloss Sanssouci und der Filmpark mehr Besucher. Und in Berlin bei den Hackeschen Höfen haben wir ein Katjes-Café, wo wir veganen Kuchen anbieten und unsere Fruchtgummis. Wir backen auch direkt da.

Warum gibt es solch ein Café nur in Berlin?
Das ist ein sehr guter Standort. Da kommen viele Touristen vorbei.

Auch nach München kommen sehr viele Touristen.
München wäre wahrscheinlich die nächste Stadt, wo wir so etwas machen würden.

Sie empfehlen Ihren Mitarbeitern auch immer wieder Bücher, die sich zu lesen lohnen. Was haben Sie zuletzt empfohlen?
Das Buch „Nonkonformisten“ des ame­rikanischen Psychologie-Professors Adam Grant. Ich lese viel, und wenn ich meine, ein Buch lohnt sich auch für Andere zum Lesen, dann empfehle ich es. Ich frage später aber nicht ab, wer es gelesen hat.


Tobias Bachmüller (RC Emmerich-Rees) ist seit 1996 geschäftsführender ­Gesellschafter des Süßwarenherstellers Katjes Fassin, gemeinsam mit Bastian ­Fassin. Beide sind auch Geschäftsführer von Katjes ­International. Zuvor hat ­Bachmüller von Bremen aus das Milka-­Geschäft des amerikanischen ­Konzerns Kraft Foods verantwortet.