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Interview mit Peter Kraus vom Cleff

"Man muss schon ein wenig verrückt sein"

Interview mit Peter Kraus vom Cleff - "Man muss schon ein wenig verrückt sein"
© Bild: Dennis Williamson

Rowohlt-Geschäftsführer Peter Kraus vom Cleff über den Wandel bei Lesern und Autoren, die Zukunft des Verlags und Parallelen zu Rotary.

01.10.2016

Hinter dem Schreibtisch hängt ein echter Beltracchi. Auf das „echt“ legt Peter Kraus vom Cleff Wert, nicht nur weil er als kaufmännischer Geschäftsführer des Rowohlt-Verlags  Plagiate bekämpft. Der Maler Wolfgang Beltracchi ist vor allem als Kunstfälscher berühmt geworden. An diesem Schreibtisch saßen sich beide gegenüber, sprachen über Beltracchis Buchpläne. Lange hielt es Beltracchi hier nicht aus. Das lag aber nicht an Kraus vom Cleff, auch nicht am Verlauf des Gesprächs. Schuld war der Hocker, der vor dem Schreibtisch steht. Er ist ein Hingucker, aber schwierig zu benutzen. Zu Konferenzen bittet der Geschäftsführer deshalb gern ins Hemingway-Zimmer der Reinbeker Verlagszentrale.

Den amerikanischen Autor Ernest Hemingway hatte Rowohlt einst für die Deutschen entdeckt. Seither hat sich die Bücherwelt stark verändert. Gerade wandelt sich die Verlagsbranche wieder. Und nicht nur sie.

Herr Kraus vom Cleff, Rotary und Rowohlt haben eines gemeinsam: Beide wandeln sich. Was ist schwieriger: den Verlag zu verändern oder Rotary?
Nach einem Jahr erschöpfender Tätigkeit als Clubpräsident muss ich sagen: Beides ist ähnlich schwierig. Was beide eint, Verlagsleute und Rotarier: Jeder sieht ein, dass sich etwas ändern soll, aber die meisten sagen: Nicht bei mir. Ich habe bei Rotary gelernt, wie ich auf keinen Fall alt werden will. Ich habe aber auch gelernt, wie ich alt werden will. Ich habe fantastische ältere Freunde, die ich unglaublich schätze, auch als väterliche Ratgeber. Zumal ich meinen Papa früh verloren habe. Und es gibt andere Rotarier, die ich einfach schwierig finde. Wer einen bedeutenden Job gemacht hat und sich über den definierte, der bekommt oft ein Problem, wenn der Job dann nicht mehr da ist. Narzisstische Kränkung nennt man das.

Wie steht es um die Jüngeren, um die Rotaracter?
Rotaracter sind tolle Leute. Und man muss nicht sofort Geschäftsführer sein, um Rotarier zu werden. Die Bedeutung eines Menschen erschließt sich ja nicht aus dessen Position. Heutzutage muss auch niemand mehr wegen seiner Karriere zu Rotary gehen. Dafür gibt es andere Netzwerke wie etwa Xing oder LinkedIn. Rotarier zu sein heißt, sich zu engagieren. Bei uns im Club bekommt jedes neue Mitglied einen Paten. Aber man muss dann auch als neues Mitglied in die Puschen kommen. Was bei Rotary sehr verbreitet ist, ist das Leben im Konjunktiv: „Man müsste Freund XY mal sagen, dass …“ Da kann ich nur appellieren: Geh hin und sag es ihm. Das rate ich auch meinen Mitarbeitern im Verlag, wenn sie sich über einen Kollegen ärgern.

Sie haben Wirtschaftswissenschaften studiert und bei Mannesmann-Demag gearbeitet, einem Industrieunternehmen, bevor Sie zu Rowohlt wechselten. Worin unterscheidet sich ein Verlag?
Man muss schon ein bisschen verrückt und, vor allem, ein sehr buchaffiner Ökonom sein, um im Verlag zu arbeiten, weil hier nicht alles rein betriebswirtschaftlich läuft.

Aber am Ende des Jahres soll ein Gewinn stehen?
Das gelingt auch, aber man muss manches zulassen, braucht etwas Grandezza. Wenn zum Beispiel meine verlegerische Kollegin Barbara Laugwitz sagt, sie habe von einer neuen Autorin zwar erst 30 Seiten gelesen, aber wir sollten sie unter Vertrag nehmen, aus der werde was, dann muss und kann ich ihr das glauben und bin bereit, ins Risiko zu gehen.

Was tun Sie, damit Ihre Bücher in die Bestsellerlisten kommen?
Vieles geht nach wie vor über Empfehlungen durch den Buchhändler. Uns treibt immer wieder die Frage um: Wo kommt das Neue her? Neue Autoren, Themen und Titel zu finden, diese zu kuratieren und zu vermarkten, das ist und bleibt das Schönste und das Schwierigste im Verlagsgeschäft. Wir haben eine Werbekostenquote, die ungefähr der von Red Bull entspricht – in Prozent vom Umsatz. Aber unsere Werbegelder verteilen sich auf viel mehr Produkte. Bei manchen Büchern haben wir je verkauftem Exemplar ein paar Cent in die Werbung investiert, bei anderen sieben Euro. Bis zu einem gewissen Grad kann man den Verkauf eines Buches durch Werbung und Marketing steigern, aber wenn ein Titel inhaltlich schwach ist, macht ihn auch die Werbung nicht zum Bestseller. Inzwischen gibt es neben dem Feuilleton viele Besprechungsplattformen und Blogs im Internet. Da kommt schnell heraus, ob ein Buch Murks ist oder fantastisch.

Wie hat die Digitalisierung das Lesen ­verändert?
Manchen Leuten reicht ja schon die kurze Information, die bei Google als Wikipedia-Snippet angezeigt wird. Die lesen gar nicht mehr den kompletten Wikipedia-Artikel. Das ist Browsing-Reading. Manche Menschen sind gar nicht mehr fähig, längere Texte konzentriert zu lesen und zu verarbeiten. Da geht eine wesentliche Kulturtechnik verloren. Aber es gibt auch weiterhin die Leser, die sich auf ein Buch einlassen, auf lange Artikel in den Medien. Das ist Deep- Reading – das Sich-Verlieren, das Eintauchen in einen Text, eine Person, eine andere Welt und Zeit.

Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?
Manchmal ignorieren wir das Schielen auf Vermarktungschancen: Einige Bücher wollen wir ja unbedingt machen. Wir sehen Lesen auch wie ein Konditionstraining – je fitter, je geübter ein Leser ist, desto mehr können wir ihm inhaltlich und stilistisch zumuten beziehungsweise zutrauen. Bei anderen versuchen wir, kürzere Texte zu machen und dann zum Beispiel im Internet bei Rowohlts Rotation zu veröffentlichen, um die Leute auf den Geschmack zu bringen. Ein Buch kann man ja schon durch die herstellerische Gestaltung unterschiedlich dick machen.