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Rotary Entscheider

Erst Sonderschichten, dann Kurzarbeit

Rotary Entscheider - Erst Sonderschichten, dann Kurzarbeit
Viel Holz, viel Glas, viele Nischen zum kreativen Arbeiten: Burkart Knospe im Testo-Neubau in Titisee. © Michael Bode

Die Firma Testo ist Weltmarktführerin im Bereich portabler Klimamessgeräte. Jetzt muss Vorstandschef Burkart Knospe das Unternehmen durch die Krise steuern.

01.05.2020

Von Freiburg geht es durchs Höllental hinauf nach Titisee, die Parkplätze am Straßenrand sind auf alemannisch ausgezeichnet und heißen „Tschuuderecke“ und „Verschnuufeckli“. Plötzlich erheben sich aus der idyllischen Schwarzwaldlandschaft zwei längliche, schräge, futuristisch anmutende Bauten aus hellem Stein und viel Glas. Es sind die beiden ersten von vier geplanten ihrer Art, die der Messgerätehersteller Testo hier auf die grüne Wiese ge setzt hat. Das neue Hauptquartier wächst wie die Firma: nach und nach. Das größte Unternehmen im Hochschwarzwald steigerte seinen Umsatz im Jahr 2019 auf 340 Millionen Euro, die Mitarbeiterzahl stieg leicht auf 3200. Doch jetzt schlägt die Corona-Krise auch im Schwarzwald zu: Erstmals in seiner 63-jährigen Unternehmensgeschichte musste Testo im April Kurzarbeit anmelden. Burkart Knospe schaut aus dem Fenster seines Eckbüros, deutet auf einen nahen Berg und sagt: „Hinter dem Berg steht mein Elternhaus. Und hier, an dem Hang, da sind wir als Kinder Ski gefahren. Damals gab es noch Schnee“.

Wie krisenfest ist Testo?

Wir haben im Konzern eine Eigenkapitalquote von über 60 Prozent. So etwas hilft, wenn einem der konjunkturelle Wind mal ins Gesicht bläst.

Trotz eines guten ersten Quartals hat Testo erstmals in seiner Unternehmensgeschichte Kurzarbeit angemeldet. Aus welchen Gründen und wie lange werden Sie davon Gebrauch machen müssen?

Keiner weiß zurzeit, wie lange die Krise dauern wird und wie weit es unsere Branche beeinträchtigt. Um der Krise und allen eventuellen wirtschaftlichen Konsequenzen zu begegnen, haben wir vier mögliche Ergebnis- und Liquiditätsszenarien ermittelt. Auf dieser Basis haben wir in den vergangenen Tagen versucht, Maßnahmen zu identifizieren, die es ermöglichen, auch im schlimmsten anzunehmenden Fall das Unternehmen und damit auch alle Arbeitsplätze zu schützen. Wir haben uns für ein Modell entschieden, das relativ wenig Kurzarbeit für möglichst viele Mitarbeiter bedeutet.

Werden Sie aus eigener Kraft durch die Krise kommen?

Es wurden in der Zwischenzeit viele Maßnahmen eingeleitet mit dem Ziel, Testo sicher und aus eigener Kraft durch die Krise zu bringen: Einsparung der Sachkosten, Einstellungsstopp bis auf Weiteres, der Bau eines Hotels soll erst nach der Krise fortgesetzt werden, und der Testo-Vorstand wird dem Aufsichtsrat vorschlagen, Gewinne nicht auszuschütten. Einer unserer größten Kostenblöcke sind jedoch die Personalkosten. Leider sind auch wir gezwungen, hier anzusetzen durch Abbau von Überstunden, Gleitzeit, Urlaub und Einführung von Kurzarbeit. Ich bin davon überzeugt, dass wir die Herausforderungen, vor die uns das Coronavirus stellt, mit den eingeleiteten Maßnahmen meistern werden.

Vor einem Jahr wurde der Bau des zweiten Gebäudes, das äußerlich dem ersten gleicht, abgeschlossen. Mehr als 30 Millionen Euro wurden investiert, um Platz zu schaffen für 300 weitere Mitarbeiter. Wofür brauchen Sie die?

Das hat mehrere Gründe. Zum einen war der Lenzkircher Standort wieder sehr voll geworden und wir haben einige Kollegen nach Titisee geholt. Zum anderen haben wir einige Wachstumsbereiche, vor allem Softwareprogrammierung und Solution Services. Wir haben uns 2015 dazu entschieden, ein zweites Geschäftsmodell aufzubauen, basierend auf Sensoren mit IP-Adressen. Das sind Instrumente, die ihre Messwerte direkt in die Cloud funken. Das hat umfangreiche Neueinstellungen erforderlich gemacht in den Bereichen Marketing und Vertrieb, Produktmanagement und Projektmanagement. Zum Glück konnten wir vorhersehen, dass der Markt für Messgeräte im Bereich „Food and Pharma“ kleiner wird, dafür aber im Bereich der Sensoren mit IP-Adresse wächst. Wir sehen den digitalen Wandel also nicht als Bedrohung, sondern als Chance.

Wo finden Sie die nötigen Mitarbeiter?

Die meisten finden wir hier in der Region, das gilt aber nicht für den Bereich Software. Vor fünf Jahren hatten wir noch zehn Leute in der Software-Entwicklung, heute sind es 80. Im Jahr 2016 haben wir in Berlin einen Standort eröffnet, an dem heute 50 Software-Entwickler arbeiten. Wir brauchten so viel Qualität, dass wir nicht auf die Entwickler warten konnten. Also sind wir zu ihnen gegangen.

Ihre Geräte kommen jetzt sogar bei der Corona-Erkennung zum Einsatz.

Das sind Wärmebildkameras, die die verschiedenen Temperaturbereiche im Gesicht zeigen, woran sich erkennen lässt, ob jemand eine erhöhte Körpertemperatur hat. Das wäre ein erstes Anzeichen für eine Erkrankung. Das hat uns einen Boom beschert, der Markt für solche Kameras war leer gefegt und wir fuhren Sonderschichten. Dabei erkennt man mit den Kameras gar nicht frühzeitig die  Infizierten, sondern erst,wenns ie bereits Fieber haben.

Testo ist ein Hidden Champion, Weltmarktführer im Bereich portabler Klimamessgeräte. Wäre es für die Fachkräftegewinnung nicht zuträglich, sichtbarer zu sein?

Nein, denn in der Region sind wir bekannt und gut positioniert. Alles darüber hinaus ist nicht so wichtig. Wir sind zu klein, um eine Arbeitgebermarke aufzubauen, die bundesweit zählt.

Was tun Sie, um die Marktführe schaft zu sichern oder auszubauen?

Wir investieren zwölf Prozent unseres Umsatzes in die Forschung und Entwicklung, insbesondere, um das neue Ge schäftsfeld aufzubauen. Dadurch ist es derzeit noch defizitär, aber 2022 soll es sich selbst tragen. Dann wollen wir anfangen, die bisherigen Verluste auszugleichen. Irgendwann werden wir froh sein, so viel investiert zu haben, und wir wollen auch im Bereich Sensoren mit IPAdressen Weltmarktführer werden.

Einige der Hidden Champions hier im Südwesten Deutschlands haben sich auf ein einziges Produkt spezialisiert. Gerade Kfz-Zulieferer könnten Probleme bekommen, denn die Autobranche schwächelt und muss sich umstellen. Wollten Sie durch Ihr neues Geschäftsfeld breiter aufgestellt sein? Risikostreuung war nicht unsere Hauptmotivation, in das Geschäft mit digitalen Qualitätssicherungslösungen einzusteigen. Wir sind bereits im bestehenden Geschäftsmodell Instrumentation sehr breit aufgestellt. Uns geht es darum, unseren Beitrag zum Erfolg unserer Kunden deutlich zu erhöhen. Derzeit helfen uns die dreistelligen Umsatzzuwächse mit dem neuen Geschäftsmodell dabei, möglicherweise bevorstehende konjunkturbedingte Schwächen im Stammgeschäft zu kompensieren.

Was tun Sie, um Ihre Mitarbeiter zu binden?

An den Standorten Titisee und Lenzkirch haben wir zum Beispiel Fitnessräume eingerichtet und Trainer angestellt. Die Belegschaft kann jeden Tag in der Mittagszeit und nach Feierabend angeleitete Kurse besuchen. Zudem tun wir viel für die Mitarbeiterentwicklung und stützen uns hier auf unterschiedliche Säulen – es gibt ein Mentorenprogramm für neue Mitarbeiter oder Betriebsrestaurants und Essenszuschüsse.

Und inwiefern zahlt ein solch repräsentativer Bau auf die Arbeitgebermarke ein?

Schon die Außenarchitektur signalisiert: Hier sitzt ein hochmoderner, spannender Arbeitgeber. Wir haben viel Glas verbaut und holen uns so quasi den Schwarzwald ins Haus. Im zweiten Bauabschnitt haben wir Platz für 300 Kollegen geschaffen und über 30 Millionen Euro ausgegeben, das hätte man auch für 15 Millionen haben können. Aber wir wollten hochklassige Arbeitsplätze in einer besonderen, offenen Atmosphäre schaffen. Das ist auch eine Form der Wertschätzung für die Mitarbeiter.

Wann folgen die Bauabschnitte drei und vier?

Mal sehen, uns hetzt ja keiner. Vielleicht sagen wir ja auch: Es macht keinen Sinn, hier in der Vollbeschäftigungsregion noch einmal Platz für 600 Arbeitskräfte zu schaffen.

Was macht Ihnen Mut für die Zukunft?

Zum einen unser tolles Führungskräfteteam, zum anderen unsere Mitarbeiter, die sich seit zum Teil vielen Jahren mit Testo identifizieren. Ich erfahre von vielen kleinen und großen Heldengeschichten von Testorianern, wie sie der Krise trotzen: Kolleginnen und Kollegen, die sich täglich neu dem Kampf stellen gegen die auf uns einprasselnden Probleme – ausgelöst durch die Krise. Jetzt in der Krise bemerke ich Kolleginnen und Kollegen, die über sich hinauswachsen und Großartiges leisten. Dieses „Wir-Gefühl“ erfüllt mich mit Zuversicht für die Zukunft.

Und was bereitet Ihnen Sorge?

Aktuell bereitet mir natürlich die Bedrohung durch das Coronavirus Sorgen. Die Weltwirtschaft steht vor einer Rezession, Deutschlands Wirtschaftsleistung wird im Gesamtjahr 2020 um einige Prozentpunkte einbrechen und die Belastungen für den Arbeitsmarkt wie auch den Staatshaushalt werden erheblich sein. Bei Testo stehen dem größten Auftragseingangs-Wachstum eines Quartals seit Gründung der Firma ungewisse Aussichten für den Jahresrest gegenüber. Dies sind natürlich Themen, die mich als Unternehmer stark beschäftigen.

Das Gespräch führte Björn Lange.