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Titelthema

Keine Fischerei ist auch keine Lösung

Titelthema - Keine Fischerei ist auch keine Lösung
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Die Fischerei wird für den schlechten Umweltzustand der Meere verantwortlich gemacht – dabei liefert sie unverzichtbares Protein für die Ernährung des Menschen und ist Teil der Lösung der Klimakrise.

Christopher Zimmermann05.07.2022

Die Lösung scheint ganz einfach: Wir stellen die Meeresfischerei ein. Denn in der öffentlichen Wahrnehmung ist sie verantwortlich für die Überfischung, den Verlust der marinen Biodiversität, die Zerstörung des Meeresbodens und die Freisetzung großer Mengen Kohlendioxyd.

In der Realität ist diese Lösung jedoch keine: Fisch ist ein gesundes Lebensmittel und in vielen Regionen unverzichtbarer Proteinlieferant. Fisch ist aber auch ein besonders umweltfreundlich erzeugbares Lebensmittel: Fische sind wechselwarm, deshalb benötigen sie nicht den Großteil ihrer Nahrung dafür, sich gleichwarm zu halten. Im Vergleich zu Rindfleisch benötigt die Produktion eines Kilogramms Lachs nur ein Achtel der Futtermenge. Fische spielen damit in einer Liga mit Insekten, die aber bei uns kaum für die menschliche Ernährung genutzt werden.

In fast allen Aspekten – Klimagasausstoß, Energieeffizienz, Versauerungspotential, Überdüngungspotential – schneidet Fisch besser ab als an Land erzeugte tierische Nahrungsmittel. Sardellen und Austern haben sogar einen geringeren ökologischen Fußabdruck als manche Gemüse. Und selbst nur auf das Meer bezogen, schafft eine Einstellung der Fischerei größere Umweltprobleme. Denn für die bislang knapp 100 Millionen Tonnen Fisch und Meeresfrüchte, die Fischer jährlich aus dem Meer ziehen, müssten dann vergleichbare Mengen Tiere an Land erzeugt werden. Die dadurch entstehenden zusätzlichen Nährstoffmengen gelangen fast unweigerlich ins Meer und belasten die Küstenökosysteme stärker als eine nachhaltige Fischerei.

Der maximale Dauerertrag

Aber was ist nachhaltig, bezogen auf die Meeresfischerei? Nachhaltigkeit ist ein zwischen Menschen verhandelter und mit menschlichem Handeln verknüpfter Begriff. Im einfachsten Fall meint er, dass stets genügend Fisch für die nachfolgenden Generationen übrigbleibt. Die Weltgemeinschaft hat sich aber schon während des Johannesburg-Nachhaltigkeitsgipfels 2002 ein anspruchsvolleres Ziel gesetzt: Alle marinen Fischbestände sollen optimal bewirtschaftet werden und so den maximalen nachhaltigen Dauerertrag (maximum sustainable yield, MSY) liefern können. Nach den aktuellen Daten der Welternährungs­organisation FAO sind wir davon weit entfernt: Ein Drittel der 450 Bestände, für die zur Beurteilung ausreichende Daten vorliegen, ist überfischt, kollabiert oder sich erholend, 60 Prozent sind maximal nachhaltig genutzt und nur noch sechs Prozent sind unternutzt, könnten also bei höherer Fischereiintensität mehr Ertrag liefern. Der Anteil der Bestände im „roten Bereich“ nimmt seit Jahren langsam zu, der Anteil der „unternutzten“ Bestände dagegen ab. Auch verbergen die Zahlen, dass sich unter den Beständen im roten Bereich viele wertvolle große Speisefische wie Kabeljau und Thunfische befinden, unter den Unternutzten dagegen häufig Fische, die zu Fischmehl oder -öl verarbeitet werden und nur über den Umweg der Lachszuchten den Weg auf unsere Teller finden. Immerhin sind jedoch zwei Drittel der Bestände in gutem Zustand – das Bild vom leergefischten Meer ist also falsch.

Unterschiedliche Interessen in Nord und Süd

In Europäischen Gewässern ist das Bild ähnlich, die regionalen Unterschiede jedoch groß. Noch immer sind mehr als 90 Prozent der Mittelmeerbestände überfischt. Alle Bemühungen, diesen Zustand zu verbessern, hatten bislang keinen Erfolg. In den atlantischen Gewässern ist der Trend dagegen positiv: Während 2007 weniger als 25 Prozent der Bestände nach dem MSY-Ansatz nachhaltig bewirtschaftet wurden, waren es 2020 schon 72 Prozent.

In der 1983 etablierten Europäischen Gemeinsamen Fischereipolitik ist seit 2015 das MSY-Ziel festgeschrieben. Für die meisten Bestände wurden seither langfristige Managementpläne beschlossen. Die Zeiten, in denen der Ministerrat für mehr als ein Drittel der Bestände zu hohe, von der wissenschaftlichen Empfehlung abweichende Höchstfangmengen festsetzte, sind fast vorbei. Warum hat die Einigung auf langfristige Bewirtschaftungsziele in der EU so viel länger gedauert als in den USA, Australien oder Norwegen? Diese Länder managen ihre lebenden Ressourcen allein. In der EU müssen sehr verschiedene Interessen unter einen Hut gebracht werden: Die Nordeuropäer wollen den Profit maximieren. Das bedeutet größere Bestände, geringeren Fischereiaufwand und damit geringere Kosten (maximum economic yield). Die Südeuropäer wollen bei hoher Jugendarbeitslosigkeit vor allem Arbeitsplätze sichern (maximum social yield) – auch wenn sich damit weniger Geld verdienen lässt, das Risiko für Überfischung steigt und die Erholung überfischter Bestände viel länger dauert.

Seit einigen Jahren stagniert der Anteil optimal genutzter Bestände jedoch auch im Nordatlantik. Hier zeigen sich die Auswirkungen der sich schnell ändernden Umweltbedingungen, vermutlich in Folge des Klimawandels. Ein Beispiel sind Dorsch und Hering der westlichen Ostsee. Beide Bestände sind in so schlechtem Zustand, dass die deutsche Küstenfischerei – und mit ihr ein Kulturgut der Region – zu verschwinden droht. Die Politik hat sich in den vergangenen Jahren dicht an die wissenschaftlichen Empfehlungen gehalten. Dennoch erholen sich die Bestände nicht oder nur sehr langsam. Während der Mechanismus beim Hering inzwischen bekannt ist und daher mit hinreichender Genauigkeit eine Erholung innerhalb der nächsten fünf bis sechs Jahre vorhergesagt werden kann, ist das beim Dorsch nicht der Fall. Wir müssen auf stärkere Jahrgänge warten – und solange die Fangmengen sehr niedrig halten.

Abwägung der Interessen nötig

Die Fischerei beeinflusst jedoch nicht nur den Zustand der Zielarten. Wie jede menschliche Aktivität hat sie auch Auswirkungen auf das Ökosystem. Diese zu minimieren, ist die große Herausforderung – ebenso wie in der Landwirtschaft. Durch die Vernetzung mariner Ökosysteme ist dies im Meer jedoch leichter möglich als an Land. Als probates Mittel gelten Schutzgebiete: Bis 2030 sollen nach Vorstellung der EU-Kommission 30 Prozent der Meere unter Schutz stehen, davon zehn Prozent nutzungsfrei sein. Nutzungsfreie Schutzgebiete erhöhen zweifelsohne die Biodiversität. Der derzeitige Ansatz führt aber dazu, dass möglichst große Gebiete unter Schutz gestellt werden, in denen es sowieso kaum andere Nutzungen gibt, etwa rund um die französischen Überseedepartements. Ökologisch sinnvoller wäre jedoch die Einrichtung kleinerer, gut vernetzter Gebiete auf den Kontinentalschelfen. Dort ist die Biodiversität besonders hoch. Dort sind die Fischbestände aber auch besonders produktiv und liefern den meisten Fischereiertrag.

Neuere Veröffentlichungen suggerieren, dass Meeresschutzgebiete nur Vorteile für die Umwelt hätten, durch Erhöhung der Biodiversität, Steigerung des Ertrages und Vermeidung einer ungeheuren Menge CO2, die durch die Grundschleppnetzfischerei aus den Sedimenten freigesetzt würden. Diese Hypothesen haben sich inzwischen als unzutreffend oder sogar manipuliert erwiesen. Eine Abwägung der konkurrierenden legitimen Interessen des Meeresnaturschutzes und der Versorgung mit Nahrungsmitteln aus dem Meer ist daher unvermeidlich. Ein nachhaltiges Fischereimanagement bleibt mühsam – aber auch sehr lohnend.

Christopher Zimmermann
Dr. Christopher Zimmermann leitet seit 2013 das Thünen-Institut für Ostseefischerei in Rostock. Er ist Fischereibiologe und verantwortet als deutsches Mitglied im Advisory Committee des Internationalen Rates für Meeresforschung die Bewirtschaftungs­empfehlungen für Fischbestände des Nordostatlantiks.

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