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FinTechs und digitale Vermögensverwaltung

Robo-Advisors – Bankberater der Zukunft?

FinTechs und digitale Vermögensverwaltung  - Robo-Advisors – Bankberater der Zukunft?
© Sergey Nivens/ddp images

Künstliche Intelligenz hilft mittlerweile auch bei der Geldanlage. Aber die Algorithmen virtueller Berater haben ihre Schwächen. Für wen eignen sich die Angebote wirklich?

01.10.2018

Wenn Denis Hartmann-Blath wissen will, wie der Experte seines Vertrauens seine Aktien managt, dann braucht er keinen Berater oder Banker anzurufen. Der 41-jährige Hamburger zieht sein Smartphone aus der Tasche und öffnet eine App namens Vaamo. Neben einer ansteigenden Kurve steht es: Aus 2700 Euro, die er seit Ende 2016 nach und nach angelegt hat, sind 2900 Euro geworden. Sieben Prozent Plus zeigt die App an. „Bisher stand da noch nie ein Minus“, sagt Hartmann-Blath und lächelt.

Eine andere Kurve zeigt, dass der Wert seines Depots im Jahr 2036 bei 46.500 Euro stehen könnte, wenn er so weiterspart und Vaamo sein Geld weiter erfolgreich am Kapitalmarkt anlegt. Natürlich weiß Hartmann-Blath, dass Wertpapierkurse auch einbrechen können. Er hat es ja selbst erlebt: Kurz nach seinem Berufseinstieg als Personalentwickler im Jahr 2004 bekam Hartmann-Blath einen fünfstelligen Geldbetrag geschenkt. Ein Anlageberater riet ihm, den Großteil in einem offenen Immobilienfonds anzulegen. Doch just als Hartmann-Blath und seine Frau ein Haus kaufen wollten, schloss der Fonds – und er kam nicht an seine Einlage heran. Also musste er einen höheren Immobilienkredit aufnehmen. 

Und als ihn der Fonds nach Jahren auszahlte, war die Hälfte seines Einsatzes verloren. „Daraus habe ich gelernt“, sagt Hartmann-Blath. Wenn Vaamo ein Berater aus Fleisch und Blut wäre, hätte Hartmann-Blath ihm sein Geld nicht anvertraut. Doch Vaamo ist kein Mensch.

Er ist ein Robo-Advisor. Robo-Advisors sind, auch wenn der Begriff es nahelegt, keine Roboter mit Greifarmen oder Sensoren. Sondern Computerprogramme, die Menschen beim Geldanlegen helfen. Dabei werten sie eine Vielzahl von Daten aus: In einem meist ziemlich einfachen Online-Fragebogen erfassen sie, welches Risiko ein Anleger eingehen kann und will, empfehlen ihm eine Anlagestrategie, nehmen sein Geld und handeln dann ganz automatisch mit den passenden Wertpapieren; zumeist mit Indexfonds, die ohne hohe Managementgebühren auskommen. Der Anleger kann per App oder Online-Zugang das Depot überblicken, Einzahlungen vornehmen, Sparpläne festlegen oder sich sein Geld jederzeit auszahlen lassen. Die Robos erleichtern es Unkundigen auf diese Weise, an der Börse Geld anzulegen; und sie versprechen dabei nicht nur transparenter, sondern auch günstiger zu sein als menschliche Vermögensberater.

Neue Stars auf Wachstumskurs
In der Finanzwelt sind die digitalen Verwalter die neuen Stars. Die Beratung Oliver Wyman prophezeit ihnen „ungebremstes Wachstum“ und prognostiziert, dass die Anleger in Deutschland den Robos im Jahr 2021 rund 35 Milliarden Euro anvertrauen werden – mehr als 30-mal so viel wie noch 2017. Anfangs waren es vor allem Finanzkundige, die ihr Kapital den digitalen Geldvermehrern zusteckten. Nun kommen auch jene auf den Geschmack, die Aktien bisher gemieden oder – wie Hartmann-Blath – am Kapitalmarkt schlechte Erfahrungen gesammelt haben.

Wie interessiert die neue Technik aufgenommen wird, beobachtet man zum Beispiel bei der Quirin Privatbank, die 2013 mit Quirion den ersten Robo in Deutschland anbot. Inzwischen habe jeder fünfte Quirion-Kunde keine Kapitalmarkterfahrung, sagt Bankchef Karl Matthäus Schmidt, der Anteil steige kontinuierlich. Wenn er demonstrieren will, wie vielfältig die Kundschaft schon ist, dann zeigt er ein paar jener Fotos, die der Robo zu Beginn von jedem neuen Kunden per Webcam aufnimmt, um dessen Identität zu verifizieren. Dabei wird das Gesicht mit dem Bild im Ausweis verglichen, den man in die Kamera hält.

Das geschieht heute automatisch, aber die Mitarbeiter von Quirion können dem Robo jederzeit über die Schulter schauen. Jeder Robo hat menschliche Aufpasser. Interessierte Anleger in Deutschland können inzwischen aus mehr als 20 Robo-Advisors wählen. Zu den Anbietern dieser Technik gehören junge Unternehmen wie Vaamo, Scalable Capital oder Ginmon, die selbst keine Banklizenz haben und deswegen mit Banken kooperieren. Diese Kooperation ist wichtig, denn bei den Banken sind die Depots der Kunden als Sondervermögen auch dann schützt, wenn der Robo-Anbieter selbst pleitegehen sollte.

Aber auch etablierte Banken entdecken die Robos. 2017 startete die Commerzbank-Tochter comdirect ein Angebot namens cominvest, und auch die Deutsche Bank brachte mit Robin ihren digitalen Anlagehelfer an den Markt. „Mit den Robos ist es wie mit den Tagesgeldkonten“, sagt André Bajorat: „Anfangs wusste kaum jemand, was das ist, aber inzwischen hat jeder eines.“ Bajorat ist Unternehmer, man trifft ihn in einem hellen Loft in Hamburg-Altona.

Hier sitzt sein junges Unternehmen namens Figo, das sich darauf spezialisiert hat, die Technologien von Banken und Finanz-Start-ups zu vernetzen. Der Bedarf dafür ist riesig. Wenn es um Geldanlage geht, outet sich Bajorat als Profi: Er besitzt Aktien, handelt mit Bitcoin. Und seit gut einem Jahr lässt er mit einem Teil seiner Ersparnisse auch zwei Robos gegeneinander antreten – mal schauen, wer mit dem Geld besser umgehen kann.

Es gibt passive und aktive Robos
Der eine Robo heißt N26 Invest. Er lässt sich über die Online-Bank N26 nutzen, und Bajorat kann dort aus drei Strategien wählen: einem Aktienanteil von 40, 60 oder 80 Prozent. Er hat sich für Letztere entschieden, jeden Monat spart er 400 Euro an, nach etwa einem Jahr weist die App ein Plus von 3,69 Prozent aus. Der Aktienanteil in seinem Portfolio schwankt kaum. Sollten die Zeichen auf Sturm stehen und die Aktien sehr stark an Wert verlieren, würde der Robo Anleihen verkaufen und Aktien nachkaufen, bis der gewünschte Aktienanteil wieder erreicht ist.

Digitale Geldanlage ist frei von Emotionen, der pausenlose Kampf zwischen Bulle und Bär ist für Algorithmen ohne jede Bedeutung. © foto: mauritius images / ikon images / oliver burston 

Anders ist das bei Robo Nummer zwei, der auf den Namen Scalable Capital hört. Bajorat hat ihm mehr als 30.000 Euro anvertraut, monatlich legt er 300 Euro dazu, im Moment liegt er im Vergleich mit N26 etwas hinten: 3,33 Prozent Rendite. Bei Scalable ist Bajorats Geld ständig in Bewegung, fast täglich kauft der Robo Wertpapiere und verkauft andere – viel häufiger, als Bajorat selbst mit Wertpapieren handelt. Anders als bei N26 verändert Scalable also Bajorats Depot und die Gewichtung von Aktien und Anleihen permanent, gerade hat der Robo 57 Prozent in Aktien angelegt, 31 Prozent in Anleihen, der Rest verteilt sich auf Tagesgeld, Rohstoffe und Immobilien; ein Kreisdiagramm zeigt Bajorat die Verteilung an. „Der Algo ist ungemein aktiv“, sagt Bajorat und scrollt durch die Liste der Verkäufe und Käufe, die der Robo mit seinem Geld vorgenommen hat.

Das ist das wichtigste Unterscheidungsmerkmal in der Welt der Robos: Auf der einen Seite stehen die passiven Robos, die eine sogenannte Buy-and-hold-Strategie verfolgen. Sie sorgen dafür, dass der Aktienanteil im Depot immer in etwa gleich bleibt, und schichten nur selten um. Vaamo zählt zu dieser Robo-Gattung, genauso wie Quirion.

Schwankt der Kurs, tauscht der Algo
Mit diesen passiven, geduldigen Robos konkurrieren die aktiven, hibbeligen, die das Geld der Anleger laufend umschichten. Sie verfolgen eine sogenannte Value-at-Risk-Strategie: Die Algorithmen messen jeden Tag aufs Neue, welchem Risiko jedes einzelne Depot der Anleger ausgesetzt ist. Dafür sammeln sie eine Vielzahl von Daten, zum Beispiel darüber, wie sehr die Kurse einzelner Wertpapiere steigen und nachgeben und wie die Entwicklungen verschiedener Wertpapiere miteinander zusammenhängen.

Schwankt der Kurs einer Aktie oder eines Fonds stärker, steigt das Risiko, damit Verluste zu erleiden, und der Algo tauscht die Papiere ganz oder teilweise gegen weniger riskante Anlagen ein. Die aktiven Robos sollen auf diese Weise sicherstellen, dass ein Depot immer in etwa dem gleichen Risiko ausgesetzt ist, für das sich der Kunde entschieden hat. So sollen Krisen gemieden werden, während die passiven Robos Krisen geduldig aussitzen und bei fallenden Kursen noch Aktien nachkaufen. Die beiden Konzepte liefern ganz unterschiedliche Ergebnisse: Ein Vergleich zeigt, dass Robos das Geld eines Anlegers bei ähnlichen Risikovorstellungen ganz verschieden auf Aktien, Anleihen, Immobilien, Rohstoffe verteilen; manche halten außerdem einen Teil als Liquidität vor. Kurz gesagt: Jeder Robo bedient seine Kunden anders.

Robo-Advisors verteilen das Geld je nach gewählter Risikostrategie
Ob nun die aktiven Robos besser sind oder die passiven, ist umstritten, auch weil sie überwiegend gute Zeiten an den Börsen erlebt haben. Experten beobachten aber genau, wie sich die Robos bei fallenden Kursen verhalten. So wie zu Jahresbeginn, als der deutsche Aktienindex Dax und der amerikanische Dow Jones innerhalb von zwei Wochen um etwa zehn Prozent nachgaben und die Kursschwankungen zunahmen.

Aus Sicht des Münchner Instituts für Vermögensaufbau (IVA) war die Minikrise „das erste reale Stressereignis“ für die Robos. In einer Studie zeigte es, dass die Portfolios von acht Robos an Wert verloren. Die passiven Aussitzer-Robos, allen voran Quirion, schnitten allerdings insgesamt besser ab als die aktiven Umschichter. Weil es zuvor lange ruhig an den Börsen gewesen war, hatten Letztere viel Geld in Aktien investiert – und verloren stärker, als die Kurse nachgaben. Scalable Capital schnitt in dem Vergleich am schlechtesten ab. Die aktiven Robos seien für überraschende Kurseinbrüche anfälliger, heißt es beim IVA, eine Simulation in der Studie belege das. Es nütze ihnen auch nichts, dass sie Unmengen an Daten früherer Krisen ausgewertet hätten; jede Krise verlaufe anders.

Bei Scalable Capital selbst sieht man das völlig anders. Das Unternehmen aus München ist der Marktführer in Deutschland: Vor etwas mehr als zwei Jahren ist es gestartet, es kooperiert mit der ING DiBa, und es zählt mehr als 30.000 Kunden, die rund eine Milliarde Euro angelegt haben. Selbst die Vorreiter in den USA hätten zum Erreichen der ersten Milliarde länger gebraucht, sagt Erik Podzuweit, einer der Gründer, „wir sind der am schnellsten wachsende Robo“.

Robos helfen, Emotionen auszuschalten
Spricht man Podzuweit auf die IVA-Studie an, sprudeln die Gegenargumente aus ihm heraus. Der Markteinbruch sei zu kurz gewesen, um daraus Urteile abzuleiten; und als die Börsen 2016 wegen der Brexit-Entscheidung ähnlich stark einbrachen, hätten die Scalable-Kunden dank des Robos kaum Verluste erlitten. Zudem sei der Scalable-Robo zu komplex, als dass ihn Außenstehende auch nur ansatzweise simulieren könnten. Wie komplex er ist, das kann Nikolay Robinzonov erzählen.

Der promovierte Statistiker ist der Softwaremann von Scalable und derjenige der 80 Mitarbeiter, der den Robo am besten kennt – die Kollegen nennen ihn deswegen Robo-Zonov. Auf seinem Bildschirm reihen sich Programmierzeilen aneinander, mehr als 60.000 bestimmen das Wesen des Robos: „Ein sehr risikobewusster Charakter, der keine Bauchentscheidungen trifft und immer penibel auf die Qualität der Daten achtet“, sagt Robinzonov. Er muss pro forma absegnen, wenn der Robo Aktien kauft, aber er sagt: „Selbst in den turbulentesten Zeiten haben wir den Algorithmus noch nie überstimmt.“

Nicht überall hat die künstliche Intelligenz solche Freiheiten. In Frankfurt hat vor einigen Monaten Robin das Licht der Welt erblickt, der Robo Advisor der Deutschen Bank. Er wird in der „Digitalfabrik“ entwickelt, einem Bürogebäude, durch dessen große Glasfenster man in der Ferne die Türme der Firmenzentrale ausmachen kann. Die Bank verrät zwar nicht, wie viele Kunden den Robo bisher nutzen. Aber man erhofft sich viel von Robin, denn von nun an sollen auch Berater in den Filialen auf ihn hinweisen.

Wie Scalable Capital ist Robin ein Robo, der das Geld der Kunden permanent umschichtet. Das Besondere an Robin ist, dass er ein Hybrid ist: „Wir verheiraten die künstliche Intelligenz mit menschlicher Expertise“, sagt Oliver Dreiskämper, der in der Digitalfabrik als Leiter Robo Advisory arbeitet. Konkret bedeutet das: Der Algorithmus wertet nicht nur eine Vielzahl von Marktdaten aus, er wird außerdem mit den Rendite-Erwartungen der Anlagestrategen der Deutschen Bank gefüttert. Diese Symbiose mache den Robo einzigartig und besonders stark. Man kann sie aber auch hinterfragen: Wenn der Robo mit den Marktdaten gut umgehen könnte, wozu müsste er dann die Meinungen von Analysten einkalkulieren? Und wenn er diese Meinung so dringend braucht, ist sein Algorithmus dann wirklich gut?

Auch bei anderen Anbietern müssen sich die Anleger nicht allein auf die künstliche Intelligenz verlassen. Bei cominvest zum Beispiel können Kunden auf Wunsch jede Transaktion absegnen, wenn sie dem Robo nicht blind trauen. Bei Quirion fährt der Robo im Autopilot, oder man bucht ein Paket mit menschlichem Coach. Die Gebühren sind dann zwar fast doppelt so hoch, aber dafür helfe der Coach bei der Wahl der Anlagestrategie und dabei, in Zeiten schwankender Kurse nicht nervös zu werden und übereilt die Aktien zu verkaufen, wie Bank-Chef Karl Matthäus Schmidt sagt.

Eher für risikofreudige Anleger
Diszipliniert bleiben, emotionslos agieren – das sind aus Sicht von Niels Nauhauser die Vorteile von Robos. Er ist Finanzexperte bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg und hat die Robos auf dem deutschen Markt genau unter die Lupe genommen. Nauhauser rät zu den passiven Robos, weil die das Geld entsprechend der gewünschten Strategie ganz zuverlässig auf Aktien und Anleihen verteilen – während man sich bei den aktiven Robos eben auf deren komplizierte Algorithmen verlassen müsse und nicht sicher sein könne, welchen Anteil des Kapitals sie morgen in Aktien steckten.

Wichtiger noch ist aus Nauhausers Sicht aber, dass sich sowohl die aktiven als auch die passiven Robos vor allem für risikofreudige Anleger eignen – also jene, die ihr Geld langfristig anlegen und auch Verlustphasen aussitzen können. Das liege an den Gebühren der Robos, sagt Nauhauser: „Diese Kosten fallen umso mehr ins Gewicht, je konservativer sie das Geld anlegen und je weniger Rendite sie deswegen einspielen können.“ Das sieht man zum Beispiel daran, dass Robos wie Robin oder Scalable Capital bei konservativen Strategien einen Teil des Geldes als Liquidität oder als Tagesgeld parken – so erwirtschaftet es nicht nur keine oder nur eine sehr kleine Rendite, es kostet den Anleger auch mehr, als wenn er diesen Teil seines Geldes selbst auf einem Tagesgeldkonto parken würde. Und von dieser Marotte wollen ihn die Robos ja abbringen – so wie sie es bei Denis Hartmann-Blath geschafft haben. 

Jens Tönnesmann