Rotary Entscheider
Suche nach dem grünen Paket
Interview mit Melanie Kreis, Finanzchefin der Deutschen Post, über den blühenden Versandhandel, grüne Lieferketten, die Doppelmoral vieler Kunden und ihre Beziehung zu Rotary
Der Post-Tower in Bonn überragt im Rheinland alles. Der Konzern untermauert mit seiner 162,5 Meter hohen und 78 Millionen Euro teuren Zentrale seine Marktführerschaft in der globalen Logistikbranche. Als Finanzchefin verantwortet Melanie Kreis mehr als 63 Milliarden Euro Umsatz und ist nach Vorstandschef Frank Appel die Nummer zwei von weltweit 550.000 Mitarbeitern. Der gelbe Riese verfügt über mehr als 260 Frachtflugzeuge und weit über 100.000 Fahrzeuge, von denen gut 13 Prozent elektrisch unterwegs sind.
Frau Kreis, im Ranking der weltweit mächtigsten Frauen, das jährlich vom US-Magazin Forbes erstellt wird, landeten Sie 2019 auf Platz 61, neben Angela Merkel als einzige Deutsche. Was hat diese Nachricht mit Ihnen gemacht?
Das hat mich total überrascht. Damit hatte ich natürlich überhaupt nicht gerechnet. Ich habe danach sehr viel positive Resonanz von Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Ländern bekommen, und das hat mich dann umso mehr gefreut.
Die Logistikbranche steht vor einigen Herausforderungen. Da sind zum Beispiel die Fahrer, die über Knochenarbeit bei schlechter Bezahlung klagen.
Anders als viele Wettbewerber stellen wir unsere Mitarbeiter in Deutschland in der Regel fest an, und zwar zu Tariflöhnen. Beleg für unsere Attraktivität als Arbeitgeber ist auch, dass wir in der Vergangenheit unsere Mitarbeiterzufriedenheit kontinuierlich steigern konnten.
Immer mehr Verbraucher legen Wert auf eine grüne Lieferkette. Was macht die Post zum Thema Nachhaltigkeit?
Nachhaltigkeit ist ein wichtiges Element unserer Strategie. Bis 2050 streben wir an, alle logistikbezogenen Emissionen netto auf null zu reduzieren. Dabei ist die Dekarbonisierung der letzten Meile für uns ein großes Thema. Hier leistet die Elektrifizierung unserer Flotte mit dem Einsatz unserer Street Scooter schon heute einen wichtigen Beitrag, und wir arbeiten kontinuierlich daran, neue Konzepte und Lösungen zu entwickeln und einzusetzen.
Wie gehen Sie die Reduzierung von Verpackungsmüll an? Oft sind die Versandkartons viel zu groß und werden nur einmal genutzt.
Wir beschäftigen uns aktiv mit dem Thema Kreislaufwirtschaft und haben uns im Rahmen dessen insbesondere auf Verpackungsmaterialien fokussiert. Wichtig ist uns dabei zum einen, den Einsatz von Einwegmaterialien zu reduzieren, zum anderen die Qualität der Verpackungen zu erhalten und so Beschädigungen mit negativen Auswirkungen auf die Umwelt zu vermeiden. Selbstverständlich beschäftigen wir uns auch mit der Fragestellung, wie eine nachhaltige E-Commerce-Verpackung der Zukunft aussehen kann. Wir setzen zum Beispiel ein innovatives Paketoptimierungstool ein. Dieses wählt Pakete auf Basis von Größe und Gewicht aus, positioniert sie effizient und schafft somit mehr Platz in Paketen und auf Paletten. Die deutlich größere Herausforderung ist aber die Reduzierung des Kohlendioxidausstoßes.
Wann rechnen Sie mit nennenswerten Fortschritten?
Entscheidend ist hier eine länder- und sektorübergreifende Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, Politik und Wissenschaft sowie die Entwicklung von globalen Standards, um die Produktion und die Nutzung nachhaltiger Kraftstoffe international voranzubringen. Wirtschaftliche Anreize könnten zudem die Hürden bei Unternehmen abbauen und den Einsatz von emissionsarmen Alternativen fördern. Wir glauben, dass synthetische Kraftstoffe in fünf bis zehn Jahren massenmarkttauglich sind. Neben der Nachhaltigkeit sind die Digitalisierung, E-Commerce und die Globalisierung die wichtigsten Trends für die Logistik.
E-Commerce und Digitalisierung sind doch schon seit Langem große Themen.
Ja, das stimmt. Es sind Trends, die schon seit vielen Jahren Teil unseres Geschäfts sind. Weil wir sicher sind, dass sie auch künftig entscheidend für unseren Erfolg als Konzern sein werden, haben wir sie fest verankert in unserer neuen Strategie 2025. Digitalisierung hilft uns bereits jetzt in vielen Bereichen der Logistik: zum Beispiel, um die Abläufe in der Lagerlogistik zu verbessern, um so effizienter zu werden. Aber auch im Finance-Bereich nutzen wir digitale Technologien, zum Beispiel, um im Forderungsmanagement mögliche Zahlungsausfälle vorherzusehen. Der E-Commerce ist ein struktureller Wachstumstreiber, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Der Online-Handel bietet dem Endkonsumenten neue Möglichkeiten, eine größere Auswahl und oft geringere Preise – das sind riesige Vorteile.
Ist der gigantische Online-Versandhandel ein Fluch oder ein Segen?
Mit unserem breiten Portfolio an Logistikdienstleistungen sind wir hervorragend für diesen Trend positioniert und profitieren dadurch von dessen Wachstum.
Und für die Umwelt? Mehr als jedes sechste Paket wird als Retoure zurückgesandt.
Auch hier können wir mit nachhaltigen Lösungen zu einem grüneren Prozess beitragen: Wir probieren verschiedene Zustellformen aus, zum Beispiel Packstationen, kündigen Sendungen an, damit die Zustellquote steigt und weniger Zweitzustellungen nötig sind. Übrigens: Wenn Sie mit dem Auto in die Stadt fahren, um einzukaufen, ist die CO2-Bilanz in der Regel schlechter, als wenn Sie Ihren Einkauf online bestellen. Der CO2-Fußabdruck eines normalen Pakets entspricht ungefähr dem einer Drei-Kilometer-Fahrt mit dem Auto.
Wie lukrativ ist das Paketgeschäft?
Die Briefvolumina nehmen aufgrund des strukturellen Wandels seit Jahren kontinuierlich ab, während der Paketbereich dynamisch wächst. Der Boom im Online-Handel ist ungebrochen, durch die Maßnahmen zur Eingrenzung der Pandemie hat er noch einmal zusätzlichen Auftrieb bekommen. Um höhere Material- und Personalkosten auszugleichen, haben wir zu Beginn des Jahres die Preise für den Paketversand in Deutschland angehoben.
Der Online-Handel hat während der Coronakrise noch einmal kräftig zugelegt.
Das stimmt. Corona hat für deutlich zweistellige Zuwachsraten gesorgt. Davor hatten wir für den Paketmarkt in Deutschland eine stabile Wachstumsprognose von fünf bis sieben Prozent. Durch Corona haben wir Volumen gesehen wie sonst nur vor Weihnachten. Wie nachhaltig der aktuelle Trend ist, lässt sich noch nicht seriös abschätzen. Ob sich daraus ein strukturelles Wachstum ergeben wird, hängt maßgeblich davon ab, wie stark neue Nutzergruppen auch bei Lockerung der Kontaktbeschränkungen den Online-Handel nutzen.
Erkennen Sie nicht eine gewisse Doppelmoral bei den Konsumenten, die einerseits grüne Lieferketten wünschen, aber andererseits massenhaft Pakete zurückschicken?
Genauso wie bei der Zustellung setzen wir bei der Retoure auf saubere Konzepte. Für die Konsumenten ist Logistik eine Aktivität, die im Hintergrund stattfindet und oft nicht wahrgenommen wird. Wenn nachhaltige Lösungen höhere Kosten verursachen, aber niemand bereit ist, für die Zustellung oder die Retouren zu bezahlen, müssen wir sehr genau schauen, wo die richtige Preisspanne liegt.
In den vergangenen Jahren hat die Post zahlreiche Filialen geschlossen, oft in ländlichen Regionen. Was antworten Sie den Menschen, die sich darüber ärgern? Die Zahl unserer Filialen liegt seit vielen Jahren auf einem sehr stabilen Niveau. Mit rund 13.000 Partner-Filialen bundesweit betreiben wir mehr Filialen, als dies vom Gesetzgeber vorgesehen ist. Zudem bieten wir unseren Kunden bundesweit 10.500 DHL-Paketshops sowie 5600 DHL-Packstationen – einen bequemen Rund-um-die-Uhr-Service für das Verschicken und Empfangen von Paketen, den wir auch in den kommenden Monaten weiter ausbauen werden. Kurz gesagt: Wir sind mit unserem vielfältigen Angebot heute näher an den Menschen als je zuvor.
Wie oft lassen Sie sich in Ihrem Rotary Club blicken?
Die letzten Monate waren unter Corona eine Ausnahmesituation, aber ich hoffe, dass ich jetzt wieder verstärkt werde teilnehmen können, da ich den persönlichen Austausch sehr schätze.
Was bedeutet Rotary für Sie?
Eine kleine Anekdote vorab: Mein Großvater war Gründungsmitglied des ersten Rotary Clubs in Trier. Er hielt dies jedoch vor meiner Großmutter geheim, weil sie mit Rotary wohl nichts anfangen konnte. Darum verband ich mit Rotary immer etwas Geheimnis- volles und Interessantes (lacht). Heute schätze ich es sehr, mit Menschen aus ganz anderen Bereichen und mit anderen Hintergründen in Kontakt zu kommen. Ich empfinde diesen Austausch als große Bereicherung.
Wann haben Sie zuletzt einen handschriftlichen Brief verfasst?
Am Wochenende. Ich schreibe sowohl Freunden als auch Kollegen zum Geburtstag immer noch handschriftlich einen Brief. Das ist viel persönlicher als eine E-Mail.
Und wann haben Sie zuletzt einen Brief nicht erhalten, der an Sie abgeschickt wurde?
Daran kann ich mich nicht erinnern. Die Qualität unserer Dienstleistung ist sehr hoch. In Deutschland stellen wir durchschnittlich pro Tag 55 Millionen Briefe und 5,2 Millionen Pakete zu – in Zeiten von Corona sogar bis zu zehn Millionen. Unsere Zustellqualität ist hoch, aber natürlich ist jede einzelne Sendung, die nicht ankommt, eine zu viel.
Das Gespräch führte Björn Lange.