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Gravitationswellen

Die dunklen Seiten des Universums

Gravitationswellen - Die dunklen Seiten des Universums
© Steve Jurvetson/CC-BY-2.0

Die erstmals wahrgenommenen Gravitationswellen eröffnen den Forschern neue Einblicke ins All. Doch alles können sie nicht sehen.

01.04.2016

Das Funkeln heller Sterne, das ruhige Leuchten eines Planeten oder das zarte Glimmen der Milchstraße schlagen die Menschen seit Jahrtausenden in Bann. Doch der schöne Schein eines glänzenden Universums trügt. Wir sehen  nur einen winzigen  Bruchteil des Weltalls.Da helfen auch die besten Teleskope und modernsten Satelliten nichts. Der Kosmos liegt weitgehend im Dunkeln. Die Astronomen wissen nicht einmal, woraus diese Schattenwelt besteht.

Zum einen ist da die Dunkle Materie, die rund ein Viertel des Weltalls ausmacht. Die erste Spur dieses rätselhaften Stoffs fand Fritz Zwicky 1933. Der schweizerische Astronom hatte den Comahaufen beobachtet – eine 400 Millionen Lichtjahre entfernte Ansammlung aus mehr als 1000 Galaxien, jede ein eigenständiges Milchstraßensystem wie das unsere mit seinen rund 200 Milliarden Sonnen sowie jeder Menge Gas- und Staubschwaden.

Zwicky wunderte sich, dass die Galaxien zusammenbleiben wie ein Bienenschwarm. Denn das All ist ein einziges Wirbeln und Wabern. Der Haufen hätte sich aufgrund der Eigenbewegung seiner Mitglieder längst auflösen müssen, wird aber offenbar von der Schwerkraft in Form gehalten. Doch dazu, schätzte Zwicky, braucht es ungefähr das 400-Fache der sichtbaren Masse. Kurz: Die Materie, die wir mit Teleskopen in den Sternsystemen des Comahaufens beobachten, reicht bei Weitem nicht aus.

In den 1970er Jahren rückte das Thema erneut in den Fokus der Forscher. Sie fanden heraus, dass Spiralgalaxien wie unsere Milchstraße in ihren Außenbezirken schneller rotieren als sie sollten. Zudem müssten sie von der Fliehkraft förmlich zerrissen werden, müssten die Sterne an den Galaxienrändern wegspritzen wie Wassertropfen vom Reifen eines fahrenden Autos – gäbe es nicht eine zusätzliche Schwerkraft, die alles zusammenhält. Woraus aber besteht diese Dunkle Materie mit ihren unwiderstehlichen Schwerkraftfesseln? Aus sogenannten Machos – massive Objekte wie ausgebrannte Sterne, schwarze Löcher oder planetengroße Eis- und Gesteinsbrocken in den Randbereichen der Galaxien? Obwohl selbst unsichtbar, sollten sich Machos durch ihre Wirkung auf das Licht verraten. Sie müssten die Strahlen von Sternen bündeln, die hinter ihnen liegen, und sie dabei kurzfristig verstärken. Tatsächlich haben die Astronomen viele solcher Helligkeitsschübe ferner Sonnen entdeckt. Dennoch glauben sie, dass Machos nur einen geringen Teil zur Dunklen Materie beisteuern. Steckt die unsichtbare Masse vielleicht in Neutrinos? Diese Elementarteilchen sind überall. Sie durchdringen alles – Sterne, Planeten oder unsere Körper. Mehr als 66 Milliarden dieser Geister aus der Quantenwelt schießen in jeder Sekunde durch den Nagel eines Zeigefingers. Im Universum kommen Neutrinos sehr häufig vor. Sie entstehen etwa als Nebenprodukt von Fusionsprozessen im Innern der Sonne.

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Blick auf die Wurzeln: Kürzlich veröffentlichen Wissenschaftler diese Aufnahmen der fernsten bisher bekannten Galaxie, aufgenommen mit dem Weltraumteleskop Hubble. Das Licht dieser Milchstraße ging auf Reisen, als das Universum gerade einmal 400 Millionen Jahre jung war, also nur drei Prozent seines heutigen Alters besaß.

DIE DUNKLEN UNBEKANNTEN
Die Partikel sind eigentlich unfassbar. Trotzdem gelang es den Wissenschaftlern, sie in trickreichen Fallen zu fangen. Dabei stellte sich heraus, dass sie eine – wenn auch geringe – Masse besitzen. Diese Erkenntnis wurde mit dem Physiknobelpreis 2015 belohnt und machte Neutrinos eine Zeit lang zu naheliegenden Kandidaten für die Dunkle Materie. Doch verschiedene Gründe sprechen heute gegen Neutrinos als die großen dunklen Unbekannten.

Mittlerweile glauben die meisten Astronomen, dass der unsichtbare Stoff aus einer neuen Sorte von Elementarteilchen besteht: aus WIMPs (Weakly Interacting Massive Particles), also schwach wechselwirkende massereiche Teilchen. Sie sollen sich in riesigen Wolken zusammenballen und Galaxienhaufen, aber auch einzelne Milchstraßensysteme bevölkern. Überall auf der Welt stehen Experimente, um diese flüchtigen Partikel dingfest zu machen. Bisher jedoch waren alle Versuche vergeblich. Anstatt ein WIMP zu stellen, haben die Wissenschaftler in den vergangenen Jahren immer mehr Energiebereiche gefunden, in denen sie garantiert nicht vorkommen. Langsam wird es eng für diese schöne Hypothese. Das würde auch die Kosmologie in die Bredouille bringen, die Lehre von Geburt und Entwicklung des Universums.

Am Anfang war der Urknall. Mit dieser Singularität, die Raum und Zeit hervorgebracht hat, soll vor 13,8 Milliarden Jahren das All entstanden sein. Nach dem derzeit favorisierten Szenario verklumpten bereits im wenige hundert Millionen Jahre jungen Kosmos gigantische Materiewolken zu den ersten Sternen und bildeten sich die Bausteine der Galaxien. In dieser Epoche expandierte der Raum mit rasender Geschwindigkeit. Wie sollte die Materie da zusammenfinden? Hier kommt die Dunkle Materie ins Spiel. Deren Schwerkraft könnte das Material angehäuft haben – so wie sich Regenwasser in Vertiefungen am Boden zu Pfützen sammelt. Letztlich haben wir diesem Geburtshelfer, der gleichsam als Klebstoff wirkte, unsere Existenz zu verdanken. Die Dunkle Materie macht ungefähr 25 Prozent des Universums aus. Aber der weitaus größte Teil, rund 70 Prozent, steckt in der Dunklen Energie. Diese ebenfalls noch völlig unverstandene kosmische Komponente treibt das All als Ganzes beschleunigt auseinander. Schon Albert Einstein hatte 1917 in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie einen Term eingeführt, welcher der Schwerkraft entgegenwirkt. Diese Konstante „Lambda“ sollte das Universum im Gleichgewicht halten, denn damals glaubte man, es sei statisch.


Nachhall des Urknalls: Diese Mikrowellen-Karte zeigt das Universum im Alter von 380.000 Jahren. Sterne oder Galaxien gab es in dieser Epoche noch nicht


Als dann Ende der 1920er Jahre die Expansion entdeckt wurde, war Lambda nicht mehr notwendig. Einstein ließ die Konstante fallen und bezeichnete sie angeblich als „größte Eselei“ seines Lebens – ein vorschnelles Urteil. Denn heute erlebt diese „Eselei“ als Dunkle Energie eine Renaissance und ist ein fester Bestandteil der meisten kosmologischen Modelle. Was genau sich dahinter verbirgt, steht aber nach wie vor in den Sternen. Viele Forscher halten sie für die Energie des Vakuums, eine für Laien nicht gerade anschauliche Vorstellung.

BABYBILD DES WELTALLS
In der Summe bilden Dunkle Energie und Dunkle Materie etwa 95 Prozent des Welt-alls. Knapp fünf Prozent bestehen aus Materie, wie wir sie kennen. Aber nur ein Bruchteil davon leuchtet und beschert uns romantische Augenblicke unterm Sternenzelt. Jahrtausende lang haben die Menschen das All mit bloßem Auge beobachtet. Es empfängt aber nur einen winzigen Ausschnitt aus dem elektromagnetischen Spektrum. Selbst als Galileo Galilei 1609 als erster Forscher ein Fernrohr zum Himmel richtete, damit den Horizont weitete und die Astronomie revolutionierte, blieb er zwangsläufig in dem engen, optisch zugänglichen Spektralbereich. Im 20. Jahrhundert zeigten neu entwickelte Geräte wie Radioteleskope, Mikrowellen-, Röntgen- und Gammaobservatorien das Universum in anderem Licht. Dennoch: Auch diese künstlichen Augen sehen ausschließlich Objekte, die elektromagnetische Strahlung aussenden.

Erst die Gravitationswellen eröffnen ein weiteres Fenster zum All. Noch ist die im September gelungene und im Februar bekannt gewordene Entdeckung zu neu, um ihre gesamte Tragweite absehen zu können. Aber die Wissenschaftler glauben fest daran, nun ein Werkzeug in Händen zu halten, um die dunklen und extremsten Seiten des Kosmos zu enthüllen. So könnte es die Gravitationswellen-Astronomie erlauben, bis fast zum Urknall zu lauschen. Denn aus dieser ganz frühen Epoche haben wir bisher keine Informationen. Der Blick reicht nur bis ungefähr 380.000 Jahre an dieses gewaltige Ereignis heran: Satelliten wie Planck fangen aus dieser Zeit Mikrowellenstrahlung auf und liefern ein Babybild des Weltalls im ersten Licht, das jemals ausgesendet wurde.
Weit vor dieser Zeit sollten Gravitationswellen entstanden sein. Anfang 2014 hatten Forscher deren vermeintliche Entdeckung vermeldet. Doch die Astronomen waren einem Trugschluss aufgesessen – und von Staub innerhalb der Milchstraße gefoppt worden. Die Beobachtung dieser urtümlichen Gravitationswellen wäre in der Tat eine Sensation und würde völlig neue Einblicke in die Geburtsstunde des Universums gewähren. Allerdings, so vermuten die Wissenschaftler, sind die Detektoren der gegenwärtigen Generation zu schwach, um die Wellen zu registrieren. Dennoch eine interessante Perspektive.

Schon heute reicht die Empfindlichkeit der Detektoren aus, um die Signale von schwarzen Löchern zu empfangen. Diese sind unsichtbar, weil ihre Schwerkraft so groß ist, dass nicht einmal Licht entfliehen kann. Daher haben die Forscher bisher nur indirekt auf deren Existenz schließen können. Die Entdeckung von Gravitationswellen hat die Theorie nicht nur bestätigt, sondern macht schwarze Löcher jetzt zu realen Studienobjekten. So werden die Wissenschaftler nicht nur Licht in diese kosmischen Massemonster bringen, sondern sie können nun auch untersuchen, wie sich die Gesetze der Gravitation unter solch extremen Bedingungen verhalten und ob die Allgemeine Relativitätstheorie Albert Einsteins auch dann noch gilt. Bisher jedenfalls hatte der Physiker und Nobelpreisträger immer recht. Nur in einem irrte er sich: Er glaubte, dass man Gravitationswellen niemals nachweisen könnte. Doch in Zukunft werden diese Botschafter aus dem dunklen Universum zum alltäglichen Handwerkszeug der Astronomen gehören.