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Deutsche Elite-Universitäten

Ein teurer Irrweg

Die Exzellenzinitiative des Bundes für die deutschen Hochschulen geht in die nächste Runde. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Fehler der bisherigen Wettbewerbe nicht korrigiert werden.

George Turner01.08.2016

Am 16. Juni 2016 haben die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten die Fortsetzung der Exzellenzinitiative beschlossen. Unter dem Namen „Exzellenzstrategie“ sollen ab 2019 385 Millionen Euro für zweimal sieben Jahre in rund 50 Exzellenzcluster investiert werden. Ferner hat man sich darauf verständigt, dass in der nächsten Runde elf Universitäten den begehrten Titel „Exzellenzuniversität“ erreichen können. Welche das sein werden, soll ebenfalls bis 2019 entschieden sein. Nach sieben Jahren wird geprüft, ob sie tatsächlich „Spitzenleistungen“ erbracht haben. Ist das der Fall, behalten sie den Status. Daneben können vier weitere Universitäten die hohen Weihen erhalten. Bisher war in der Diskussion, dass neue nur in den erlauchten Kreis gelangen können, wenn bisherige Titelhalter absteigen.

Damit wurde das von der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz vorgelegte Konzept im Wesentlichen übernommen. Die Umsetzung wird das deutsche Hochschulsystem, vor allem die Universitäten dauerhaft verändern. Doch sind begründete Zweifel angebracht, ob dies zum Besseren sein wird. Denn die bisherige Geschichte der Exzellenzinitiative weist Brüche, Ungereimtheiten und Fehler auf.

Die erste Exzellenzinitiative
Anfang des Jahres 2004 überraschte die SPD mit der Forderung, Spitzenuniversitäten zu gründen, bzw. zu suchen und zu ernennen. Die Idee wurde von der damaligen rot-grünen Bundesregierung übernommen. Bund und Länder einigten sich schließlich, „bis zu zehn“ Universitäten besonders zu fördern. Der neue Wettbewerb wurde aufgeteilt in die drei Förderlinien „Exzellenzcluster“ (Förderung der Forschung eines Themenkomplexes), „Graduiertenschulen“ (Förderung von Doktoranden in einem breiten Wissenschaftsgebiet) und „Zukunftskonzepte“ (Entwicklung der Gesamtuniversität). Schon 2006 wurden die beiden Münchener Universitäten und die in Karlsruhe in einer Art Vorabverfahren ausgewählt; im Herbst 2007 sind dann Aachen, Freiburg, Göttingen, Heidelberg, Konstanz und die Freie Universität Berlin dazugekommen. Sie mussten je ein Exzellenzcluster und eine Graduiertenschule aufweisen, um mit einem guten Zukunftskonzept andere Hochschulen, die insoweit ebenfalls erfolgreich waren, zu übertrumpfen.

Antragskunst statt Leistung
Es wirkte schon wie ein Fallbeil, wenn konkurrierende Einrichtungen in den erlauchten Kreis gelangen und ihnen in der Öffentlichkeit das Etikett „Elite“ angeheftet wurde und andere insoweit leer ausgingen. Der Erfolg war abhängig von der Qualität von Anträgen, nicht von bereits erbrachter wissenschaftlicher Leistung. So hat denn der frühere Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) Hubert Markl das Verfahren gegeißelt, indem er davon sprach, dass die „zeitgeistschlüpfigsten Anträge“ honoriert worden seien.

Auch die Fortführung der Exzellenzinitiative in einer zweiten Runde hatte zu keiner Änderung des Verfahrens geführt. Aus dem Kreis der ersten neun Prämierten sind im Juni 2012 drei eliminiert worden: Freiburg, Karlsruhe und Göttingen. In die höchste deutsche Universitätsklasse „aufgestiegen“ sind dafür die Humboldt-Universität zu Berlin sowie Bremen, Dresden, Köln und Tübingen. Die „Elite-Unis“ waren somit in sechs Bundesländern angesiedelt; zehn hatten keine.

Fragwürdige Bewertungen
Freundlicher als der bloße Blick auf die elf Sieger wird der Eindruck, wenn man alle geförderten Hochschulen betrachtet: 39 Universitäten aus 13 Bundesländern waren erfolgreich, 45 Graduiertenschulen und 43 Exzellenzcluster wurden insgesamt bewilligt. Neben den elf Exzellenz-Universitäten haben sowohl eine Graduiertenschule als auch ein oder mehrere Cluster: die genannten „Absteiger“ sowie die in der Endrunde gescheiterten Bochum und Mainz, ferner Bielefeld, TU Berlin, Erlangen, Gießen, Kiel, Saarbrücken und Stuttgart. Ein oder mehr Cluster haben Bonn, Chemnitz, Frankfurt/Main, Hamburg, Medizinische Hochschule Hannover, Münster, Oldenburg und Würzburg. Mindestens eine Graduiertenschule weisen auf: Bamberg, Bayreuth, Darmstadt, Jena, Mannheim und Ulm. In sogenannter Ko-Sprecherschaft sind dabei: Düsseldorf und Regensburg. Die Universitäten in den Ländern Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt sind vollständig leer ausgegangen. Das sind „exzellenzfreie“ Zonen.

Betrachtet man die in den verschiedenen Durchgängen mit Clustern oder „Schools“ erfolgreichen Universitäten, so ergibt dies ein wechselndes Bild: Zum Teil konnten Vorhaben weitergeführt, manche mussten beendet werden, neue sind dazugekommen. Daraus und aus den ansonsten bewilligten Anträgen kann auf Stärken und Qualität geschlossen werden. Die Abstände sind fließend und ständigen Positionsänderungen unterworfen, was wiederum zu Fragen führt: Wie will man erklären, dass z.B. Köln exzellent ist und Bonn sowie Münster demgegenüber nur in die „2. Liga“ gehören? Warum ist Freiburg plötzlich schlechter als Tübingen und war es zuvor umgekehrt? Und weshalb steht Göttingen hinter Bremen? Die Liste der Ungereimtheiten ließe sich beliebig fortführen.

Das deutsche Universitätssystem hat seinen weltweit guten Ruf dadurch erworben, dass an unterschiedlichen Orten Exzellentes geleistet wurde. Leuchttürme in der Provinz halten Zentralisten für ein Ergebnis von Kleinstaaterei, Befürworter für die segensreiche Konsequenz des Föderalismus. Dass es dennoch dazu kommt, dass sich an einigen Plätzen mehr hervorragende Wissenschaftler zusammenfinden als an anderen, ist kein Widerspruch, vor allem hängt es nicht von formalen Entscheidungen auf nationaler Ebene ab, wer „Spitze“ sein soll, sondern von der –informellen Anerkennung durch die Scientific Community. Kein Gremium hat Harvard oder Berkeley zur Eliteuniversität ernannt; sie sind es dank der an ihnen vertretenen Fächer und ihrer dort tätigen Wissenschaftler in einem über Jahrhunderte dauernden Prozess geworden.

Taube Wissenschaftskonferenz
Die Imboden-Kommission, zur Evaluation der Exzellenzinitiative eingesetzt, hat in ihrer Bewertung der Exzellenzinitiative vorgeschlagen, die dritte Förderlinie in der bisherigen Form nicht fortzuführen. In Zukunft sollte auf der Basis erbrachter Leistungen ein Urteil gefällt werden. Aufgrund von Anträgen allein (für die Anerkennung als „Exzellenzuniversität“) werde man die Besten nicht von den Guten unterscheiden können.

Die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz, der die für die Hochschulen zuständigen Minister von Bund und Ländern angehören, hat sich demgegenüber jedoch taub gestellt: Zwar sollen auch bisherige Forschungsleistungen berücksichtigt werden, so Drittmittel, Preise, Erfolge in bisherigen Runden der Exzellenzinitiative. Für die Erringung des Titels „Exzellenzuniversität“ sollen aber weiter Zukunftspläne herangezogen werden. In strategischen Gesamtkonzepten sollen sie sich zu ihrer Governance, Berufungsstrategie und ihrem institutionellen Reifegrad äußern. Damit besteht die Befürchtung, dass die Zukunftskonzepte den Ausschlag geben und die erbrachten Leistungen nur als Nebenkriterium herangezogen werden.

Die Bewilligung zweier Cluster, wie es für die Bewerbung um den Exzellenzstatus vorausgesetzt wird, bedeutet, dass damit selbst mittelgroße Universitäten Schwierigkeiten haben dürften. Über die Qualität der betreffenden Universität als Ganzes sagen selbst mehrere Cluster nichts aus. Die Befürworter des Vorschlags übersehen geflissentlich die Wirkung der Zäsur. Damit wird eine Differenzierung der Universitäten in zwei Klassen vorgenommen, die so nicht gerechtfertigt ist.

Im Grunde soll mit dem Exzellenzwettbewerb die Korrektur eines Anfangsfehlers vorgenommen werden, der zu Beginn der Reformen um 1970 gemacht wurde. Die Studierenden an Universitäten und Fachhochschulen verteilen sich derzeitig im Verhältnis 2/3 zu 1/3 mit der Tendenz 60 Prozent zu 40 Prozent. Vor der Expansion des tertiären Bereichs, um das Jahr 1960, gab es rund zwei Dutzend Universitäten. Hinzu kamen die Technischen Hochschulen und Spezialhochschulen mit Universitätsrang. Später wurden die Fachhochschulen gegründet mit dem Auftrag, eine berufsbezogene Ausbildung anzubieten. Richtig wäre es gewesen, mit Beginn der Expansion die Fachhochschulen auszubauen und dort, und nur dort, als ersten berufsqualifizierenden Abschluss den Bachelor vorzusehen. Indem auch die Universitäten diesen Abschluss ermöglichen, der die Antwort auf das Anwachsen der Studierendenzahl ist, wurde die klassische Universität mit ihrem Bildungskonzept verabschiedet. Nachdem man merkte, was angerichtet worden war – vor allem, dass die Massenuniversität dazu geeignet war, den Wissenschaftsstandort Deutschland zu gefährden –, verfiel man auf die Idee der Exzellenzinitiative.

Wenn die Entwicklung so verläuft, wie sie sich derzeitig abzeichnet, führt das exakt zu dem, was man längst hätte haben können: eine große Zahl von Einrichtungen des tertiären Bereichs, der in erster Linie eine Ausbildungsfunktion hat, und eine kleinere Anzahl von Institutionen, denen das Etikett „Universität“ im klassischen Sinn zusteht. Das allerdings sollten nicht „elf“ sein. Der Wissenschaftsrat hat in einem Entwurf einmal die Zahl 25 genannt. Dann wären in etwa die nicht auseinander zu haltenden guten und die besten in einer Klasse.

George Turner

Prof. Dr. George Turner (RC Berlin) war u.a. von 1986 bis 1989 Senator für Wissenschaft und Forschung in Berlin und bekleidete von 1989 bis 2000 einen Lehrstuhl für Rechtswissenschaft an der Universität Hohenheim. Zuletzt veröffentlichte er  „Hochschulreformen.: Eine unendliche Geschichte seit den 1950er Jahren“ (Duncker & Humblot Verlag, 2018).

 

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