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„Elite-Unis“ und der „Rest“
Die Ernennung von Exzellenzuniversitäten bringt eine scharfe Trennlinie mit sich, die das deutsche Hochschulsystem stark zementiert und manches überbewertet. Doch was sagt solch ein Wettbewerb über die Qualität der Hochschulen aus?
Der Jubel ist groß an beiden Münchener Universitäten, den drei Berliner (FU, HU, TU) als Verbund, ferner in Aachen, Bonn, Dresden, Hamburg, Heidelberg, Tübingen, Karlsruhe und Konstanz. Bundesforschungsministerin Anja Karliczek ernannte die Institute am 19. Juli 2019 zu Exzellenzuniversitäten. Überraschungen sind ausgeblieben, Zweifel bestehen weiter. Warum ist Tübingen besser als Freiburg? Was zeichnet Karlsruhe vor Stuttgart aus? Wo liegen die Unterschiede zwischen Bonn und Köln, wobei die Rangfolge bei der letzten Entscheidung zur Exzellenzinitiative, einer Vorläuferin des jetzigen Wettbewerbs, umgekehrt war.
Kriterium Gesamtkonzept
Nach dem Start zur Exzellenzstrategie waren von 63 Universitäten zunächst 195 Anträge auf Bewilligung eines Clusters eingegangen. Daraufhin hatte das zuständige Gremium (Wissenschaftsrat, Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Wissenschaftsminister von Bund und Ländern) entschieden, dass davon 57 Cluster von 34 Universitäten besonders gefördert werden, und zwar mit je drei bis fünf Millionen Euro jährlich. Im Endspurt um den Titel „Exzellenzuniversität“ befanden sich nur 17 Universitäten und zwei Verbünde. Voraussetzung nämlich war, dass eine Universität mindestens zwei Cluster, Verbünde drei gewonnen haben. Sie konnten Anträge für die Verleihung des prestigeträchtigen Labels einreichen. Das Kriterium war offenbar das strategische Gesamtkonzept in Bezug auf „Governance, Berufungsstrategie und institutionellen Reifegrad“.
Im internationalen Vergleich ist es nicht nur das Geld, das den Unterschied ausmacht. Zu berücksichtigen ist neben der Finanzausstattung auch das Gesamtgefüge, in dem sich Universitäten bewegen. Die politische Diskussion hierzulande aber konzentriert sich vornehmlich auf die finanziellen Ressourcen, wobei der Vorsprung der US-amerikanischen Spitzenuniversitäten ohnehin nicht aufgeholt werden kann. Die markanten Unterschiede werden als ein „heißes Eisen“ besser nicht berührt. Will man vergleichbare Bedingungen schaffen, müssen die auserwählten deutschen Universitäten von einem Teil des Regelwerks befreit werden, in das sie eingezwängt sind. Das heißt: Die Mitbestimmungsregelungen wären mindestens zu relativieren, die Kapazitätsvorschriften aufzuheben: Die Universitäten müssten ihre Studierenden allein nach Leistungsaspekten auswählen dürfen und den Leitungen wäre eine Entscheidungskompetenz zu gewähren, wie die bewunderten Eliteuniversitäten des Auslands es vorsehen. Die Protagonisten von Exzellenzuniversitäten machen sich und anderen etwas vor, indem sie schiefe Vergleiche anstellen.
Stärken und Qualitäten
Inzwischen gab es Versuche, sich von der Idee zu verabschieden, indem erklärt wurde, dass die dritte Förderlinie nicht fortgeführt werde. Bei den Elite-Titeln sei „eine Denkpause nötig“, so der damalige Vorsitzende des Wissenschaftsrats im Jahr 2014. In der Koalition auf Bundesebene wurden die Positionen für die Fortführung des Exzellenzwettbewerbs im Sommer 2015 abgesteckt: In der SPD hielt man nichts mehr von ganzen Exzellenz-Universitäten, Abgeordnete der Union wollten vier bis fünf Spitzenzentren.
Betrachtet man die in den verschiedenen Durchgängen der Vorläuferin zur Exzellenzstrategie mit Clustern oder Schools erfolgreichen Universitäten, so ergibt dies ein wechselndes Bild: Zum Teil konnten Vorhaben weitergeführt, manche mussten beendet werden, neue sind dazu gekommen. Daraus (und aus Drittmittel-Anträgen) kann auf Stärken und Qualität geschlossen werden. Die Abstände sind fließend und ständigen Positionsänderungen unterworfen. Wie will man erklären, dass z. B. Köln exzellent war und Bonn sowie Münster in Vorläufer-Wettbewerben nur in die 2. Liga gehörten? Jetzt ist Bonn in der 1. Liga, Köln „abgestiegen“ und Münster weiter nicht exzellent. Warum war Freiburg plötzlich schlechter als Tübingen, wo es doch zuvor umgekehrt war und jetzt wieder in anderer Reihenfolge ist? Die Liste der Beispiele ließe sich beliebig fortführen.
Scharfe Trennlinie
Die Auswahl von Exzellenzuniversitäten kann folgenreiche, negative Ergebnisse für das deutsche Hochschulwesen haben, weil sie eine sachlich nicht begründbare Differenzierung der Universitäten bedeutet und eine scharfe Trennlinie zieht. Es gibt Unterschiede von Fach zu Fach. Die Einordnung ganzer Universitäten nach Zukunftskonzepten, mag man sie Pläne, Visionen oder Phantasien, vielleicht sogar Phantastereien nennen, ist der falsche Weg. Was den Hasardeuren der Hochschulpolitik in den 1970ern durch unreflektierte Reformen nicht gelungen ist, nämlich einen Teil der deutschen Universitäten auf Dauer zu beschädigen, geschieht mit einer über das Ziel hinausschießenden Förderpolitik und einem pseudo-wissenschaftlichen Verfahren. Unsinnige Gesetze kann man aufheben, mindestens novellieren oder revidieren. Doch die Nichtaufnahme in den Kreis der Exzellenz-Universitäten, schlimmer noch die Herabstufung, kann negative Folgen auf Dauer haben.
Das deutsche Universitätssystem hat seinen weltweit guten Ruf dadurch erworben, dass an unterschiedlichen Orten Exzellentes geleistet wurde. Leuchttürme in der Provinz halten Zentralisten für ein Ergebnis von Kleinstaaterei, Befürworter für die segensreiche Konsequenz des Föderalismus. Dass es dennoch dazu kommt, dass sich an einigen Plätzen mehr hervorragende Wissenschaftler zusammenfinden als an anderen, ist kein Widerspruch. Dort, wo eine Reputation von Fachdisziplinen bzw. deren Vertretern besteht, ist der Anschluss an die international führenden Universitäten gegeben. Das hängt nicht von formalen Entscheidungen auf nationaler Ebene ab, wer „Spitze“ sein soll, sondern von der informellen Anerkennung durch die scientific community.
Die Spitzenuniversitäten in den USA wirken in ihrer Attraktivität als gesamte Institution, nicht nur wegen einzelner Fächer. Nur gibt es einen gravierenden Unterschied zu Deutschland: Kein Gremium hat Harvard oder Berkeley zur Eliteuniversität ernannt; sie sind es dank der an ihnen vertretenen Fächer und ihrer Wissenschaftler in einem über Jahrhunderte dauernden Prozess geworden. Die Zäsur des Exzellenzwettbewerbs führt dazu, dass vieles, was an nicht berücksichtigten Universitäten mit hoher Qualität aufgebaut worden ist, übergangen wird. Solche Wirkungen bedeuten auf jeden Fall (Kollateral-) Schäden.
Trittbrettfahrer und Absteiger
Beim Ranking von Universitäten sind sich Experten einig, dass ein Urteil über ganze Universitäten nicht abgegeben werden kann, weil sie zu heterogen sind, was Größe, Fächervielfalt und Rahmenbedingungen angeht. Deshalb sind seriöse Aussagen allenfalls möglich, indem Fächer verglichen werden. Beim Exzellenzwettbewerb allerdings soll der Eindruck erweckt werden, man könne Universitäten als Ganze vergleichen und beurteilen. Die Folge ist einerseits, dass Fächer, die nur eine mittlere Qualität aufweisen, unter Umständen als Trittbrettfahrer einer sogenannten Elite-Universität mitreisen. Andererseits können besonders gut vertretene Fächer an Universitäten, die nicht das Exzellenz-Etikett tragen, an Bedeutung verlieren. Das gilt selbst dann, wenn sie in der Konkurrenz um Cluster und Schulen erfolgreich waren, aber nicht unter dem Dach einer Exzellenzuniversität angesiedelt sind. Das gilt zum Beispiel für die auf der Zielgeraden abgehängten Unis von Kiel und Bochum und den Verbund von Hannover (Leibniz Universität und Medizinische Hochschule.)
Jetzt ist eine Entscheidung für sieben Jahre gefällt worden. Danach wird geprüft, ob die Auserwählten tatsächlich Spitzenleistungen erbracht haben. Ist das der Fall, behalten sie den Status. Daneben können vier weitere Universitäten die hohen Weihen zugesprochen bekommen.
In der Öffentlichkeit wird auf jeden Fall der Eindruck einer Trennlinie zwischen den „Elite-Universitäten“ und dem „Rest“ entstehen, zumal die Entscheidungen vorbehaltlich der Evaluation alle sieben Jahre dauerhaft gelten. Das ist so bei der Exzellenzkür als ganze Universität; die Cluster haben zwei Mal sieben Jahre. Damit tritt eine Zementierung des deutschen Hochschulsystems ein.
Prof. Dr. George Turner (RC Berlin) war u.a. von 1986 bis 1989 Senator für Wissenschaft und Forschung in Berlin und bekleidete von 1989 bis 2000 einen Lehrstuhl für Rechtswissenschaft an der Universität Hohenheim. Zuletzt veröffentlichte er „Hochschulreformen.: Eine unendliche Geschichte seit den 1950er Jahren“ (Duncker & Humblot Verlag, 2018).
george-turner.de
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