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Titelthema

Mosaike der Menschheit

Titelthema - Mosaike der Menschheit
Mandu Yenu, Königreich Bamum (1860–1887) Dieser Thron, genannt „Mandu Yenu“, gilt als prächtiger Höhepunkt der höfischen Kunst im Grasland von Kamerun © SMB/Ethnologisches Museum/Dietrich Graf

Am 22. September öffnen das Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst im Humboldt-Forum ihre Türen. Ein Testfall für die zukünftige Rolle ethnografischer Sammlungen

Lars-Christian Koch01.09.2021

Welche Botschaft geht von der neuen Ausstellung aus? Welche Geschichte wird sie wohl erzählen? Vor dem Hintergrund der seit Jahren intensiv geführten Debatte um Postkolonialismus stehen diese Fragen für uns natürlich im Mittelpunkt. Um Antworten geben zu können, ist der Vergleich mit einem Mosaik und dessen Fragmentierung hilfreich: Die beiden Sammlungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst, so vielfältig und umfangreich sie auch sein mögen, repräsentieren immer nur Einzelbereiche von Kulturen, die in vielen Fällen die Interessen der Sammler, der Forscher und der westlichen Gesellschaft deutlicher widerspiegeln als das umfassende Bild einer Kultur. Diese Bilder können sich zwischen Wertschätzung und Hochachtung einer Kultur bis hin zu kolonialistisch-rassistischen Vorstellungen und Bewertungen bewegen. Zudem sind viele der Objekte in den Sammlungen der Museen historischen Kontexten zuzuordnen, ein Gegenwartsbezug ist nicht immer gegeben.

Welche Geschichte soll also erzählt werden, wenn das Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst am 22. September ihre Türen öffnen? Zunächst muss deutlich werden, dass die aus dem Universalismus der Aufklärung heraus entstandene Vorstellung, eine Menschheitsgeschichte erzählen zu wollen und zu können, nicht funktioniert. Vielmehr bieten die Sammlungen die Möglichkeit, unterschiedliche Geschichten zusammenzustellen. Sammlungselemente werden immer wieder neu zusammengefügt, dabei aktuelle Diskurse berücksichtigt und externe Experten und Partner herangezogen. Dieser multiperspektivische Blick gehörte von Anfang an zum Konzept dazu, ist diesem gewissermaßen eingeschrieben.

Global ausgerichtet, Kooperation fördernd

2021, titelthema, koch
Malanggan- Maske, Neuirland, Diese aus Holz geschnitzte Maske aus Melanesien war Teil der Sammlung Edgar Waldens © SMB/Ethnologisches Museum/Anika Niemeck

Beide Museen haben im Humboldt-Forum die Möglichkeit, Künste und Kulturen der Welt im Herzen Berlins auf der Höhe der Zeit neu inszeniert und kuratiert zu zeigen. Dies kann im Rahmen der gegenwärtigen postkolonialen Debatten nur über eine global ausgerichtete kooperative Arbeitsweise geschehen. Ausgehend von dem Selbstverständnis, dass das Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst primär keine Museen der deutschen Kolonialgeschichte sind – auch wenn sie und ihre Sammlungen zu einem großen Teil von dieser Zeit geprägt sind –, geht man transparent mit den strittigen Themen um, verschließt nicht die Augen vor den problematischen Provenienzen vieler Objekte und macht die Widersprüche in einem fortdauernden Lernprozess im Humboldt-Forum sichtbar. Die Erwerbsumstände der Objekte in den Sammlungen und Ausstellungen sind integraler Bestandteil von Forschung und Präsentation. Die kritische Aufarbeitung ist hier als ein kontinuierlicher Prozess zu sehen und gehört zweifelsohne zu den Kernaufgaben von Kuratoren und Provenienzforschern. Nachhaltige Erkenntnisse können dabei jedoch nicht allein aus den Sammlungen selbst generiert werden, weshalb eine der zentralen Aufgaben die enge Zusammenarbeit mit Vertretern der jeweiligen Herkunftsgesellschaften ist. Hinzu kommen zahlreiche internationale Kooperationen mit Künstlern, Fachkollegen, vor Ort ansässigen Museen, Universitäten und Forschungsinstituten, die schon seit Jahren bestehen und derzeit ausgebaut werden.

Westliche Perspektiven relativieren

Die Sammlungen selbst lenken den Blick auf die gestalterischen und kreativen Leistungen von Menschen unterschiedlicher Kulturen. Sie sind Zeugnisse und Beiträge für kulturelle Verflechtungen, transkulturelle Diskurse und langfristige Beziehungen. Selbst ihre oft koloniale Geschichte bildet eine Grundlage für ergebnisoffene globale Dialoge.

In Bezug auf das Museum für Asiatische Kunst muss herausgestellt werden, dass es einen wichtigen Beitrag zum Verständnis für die gleichberechtigte Diversität unterschiedlicher Konventionen von Kunst in der Welt leistet. In den Regionen, aus denen die Objekte des Museums stammen, hat sich seit Jahrhunderten ein eigener Diskurs um Kunstpraktiken entfaltet, der durch die Museumsarbeit vermittelt werden soll, mit dem Ziel, westliche Perspektiven zu relativieren, die vielfach verflochtenen, gemeinsamen Geschichten von Kulturen zu thematisieren und Dialoge und Austausch zu befördern. Damit wird ein aktiver Beitrag zur Überwindung von eurozentrischen Vorstellungen geleistet, der in vielen Bereichen ebenso auf die Arbeit des Ethnologischen Museums zutrifft.


Mehr Exponate aus den Sammlungen des Humboldt-Forums sehen Sie HIER.


Erste Beispiele sind mit der Eröffnung des ersten Teils im September zu sehen. Ein Bereich des „Schaudepots Afrika“ – eine Inszenierung, die die Diversität von Objekten und die zugrunde liegenden Sammlungskonzeptionen verdeutlichen soll – ist der aus der Kolonialzeit stammenden Sammlung aus Namibia vorbehalten. Die hier gezeigte Präsentation wurde maßgeblich von unseren Partnern in Namibia kuratiert und gestaltet. Wichtige Themen im gegenwärtigen Diskurs – Kolonialität, deutsche Kolonialherrschaft, Genozid, historische und gegenwärtige Bedeutung(en) der Objekte, Raub von Kulturgut und Restitution – werden hier thematisiert und filmisch sowie künstlerisch dokumentiert.

Im nächsten Saal wird das Thema „Koloniales Kamerun“ in den Fokus gerückt, mit dem Thron von König Njoya im Zentrum. Die zahlreichen Verflechtungen der Akteure während der deutschen Kolonialherrschaft in Kamerun sollen hier verdeutlicht werden. Der im Humboldt-Forum stets vorhandene Gegenwartsbezug wird in diesem Raum von Justin Gaga, einer kamerunischen Künstlerin, spektakulär thematisiert.

Zeugen einer gemeinsamen Vergangenheit

Am Beispiel des großen Ausleger-Boots von der Insel Luf, das in einer raumgreifenden Inszenierung zum Thema „Mensch und Meer im Pazifik“ neben anderen Booten der Region zu sehen ist, wird dargelegt, wie sich mithilfe von Provenienzspuren, die sich in Zukunft mit wechselnden Objektschwerpunkten beschäftigen werden, die Geschichten einzelner herausragender Objekte vermitteln lassen. So soll auf der Grundlage des Einverständnisses aus den Herkunftsregionen verdeutlicht werden, warum auch „belastete“ und sensible Objekte im Humboldt-Forum gezeigt werden können und müssen, da sie Kulturbotschafter und Zeugen einer in Teilen gemeinsamen, noch aufzuarbeitenden Vergangenheit sind.

Die im 2. Obergeschoss in den nördlichen Gebäudeteilen befindlichen Ausstellungen thematisieren die Zeit der deutschen Kolonialherrschaft im heutigen Papua-Neuguinea und weiteren Gebieten in Ozeanien ebenso wie Konzepte von Herrschaft in Ozeanien und Strukturen zum Verständnis australischer Kulturen.

In den Ausstellungen des Museums für Asiatische Kunst geht es im 3. Obergeschoss des Nordflügels um die Kunst Chinas, Koreas und Japans in unterschiedlichen Ausprägungen. Hervorzuheben ist ein vom Pritzker-Preisträger Wang Shu gestalteter Saal, in dem das kaiserliche China unter dem Gesichtspunkt des Sammelns durch die chinesische Elite, über den Kontakt zu Europa bis hin zum sogenannten Boxerkrieg ein zentrales Thema ist.

Im folgenden Kuppelraum sind die zentralasiatischen Höhlenmalereien in einer spektakulären Inszenierung zu sehen, die zumindest ansatzweise versucht, die Atmosphäre vor Ort einzufangen und die geografischen Gegebenheiten Zentralasiens nachzuempfinden. Auch hier wird die in Teilen problematische Provenienz der Objekte eine Rolle spielen.

Natürlich werden Fragen der Restitution von Kulturgütern in den Ausstellungen diskutiert. Das zurzeit wohl prominenteste Beispiel in dieser Debatte, die Ausstellung zum historischen Königreich Benin mit den weltweit bekannten Bronzen, eröffnet jedoch erst in der ersten Jahreshälfte 2022 mit der zweiten Teileröffnung der Museen, mit der dann sämtliche Flächen des Humboldt-Forums für die Öffentlichkeit zugänglich sein werden. Vorbereitet durch die langjährige Arbeit der international besetzten Benin Dialogue Group haben im April dieses Jahres erste Gespräche über das Auswärtige Amt mit Akteuren in Nigeria stattgefunden. Eine hochrangig besetzte Delegation aus Nigeria reiste im Juli nach Berlin und nahm direkte Verhandlungen zur Restitution der Benin-Objekte auf. Bei dieser Gelegenheit wurden ausgewählte Objekte der Sammlung des Ethnologischen Museums, das die weltweit zweitgrößte Benin-Sammlung betreut, begutachtet und die Ausstellungsfläche im Humboldt-Forum besichtigt.

Alles im Sinne des „shared heritage“

Die neuen Ausstellungen sollen die Objekte in ihrer historischen Dimension zeigen und Ausschnitte (Stichwort Mosaik) damit verbundener Kulturen präsentieren. Dabei wird eine sehr enge und partnerschaftliche Kooperation mit Vertretern aus den Herkunftsregionen eine Schlüsselrolle spielen. In diesem Zusammenhang wird auch der Forschungscampus Dahlem eine wichtige Funktion einnehmen, der gerade beginnt, seine Arbeit aufzunehmen. Auf Grundlage der in Berlin-Dahlem verbliebenen Sammlungsbestände sollen im Rahmen intensiver „Residency-Programme“ Forschungsprojekte initiiert werden, die es vor allem Akteuren aus den Herkunftsregionen und -staaten ermöglichen, an und mit den Sammlungen zu arbeiten. Die daraus resultierenden Ergebnisse können im Idealfall in den im Humboldt-Forum vorhandenen Wechselausstellungsflächen mit großem Aktualitätsbezug umgesetzt werden. Zudem sollten die auf diese Weise konzipierten Ausstellungen in die jeweiligen Regionen wandern, ganz im Sinne der Rotation beziehungsweise Zirkulation von Objekten im Sinne eines „shared heritage“. Für ein besseres Verständnis einer gemeinsamen, über Jahrhunderte verflochtenen globalen Geschichte werden in Zukunft nicht nur wir Menschen, sondern auch die hier vorhandenen Objekte reisen müssen. Denn das, was sie uns von dieser gemeinsamen Geschichte erzählen können, ist von unschätzbarem Wert für uns alle.


Zeiten und Preise

Der Zutritt zum Humboldt-Forum und der Besuch aller Ausstellungen ist in den ersten 100 Tagen nach Eröffnung kostenfrei. Ab dem 13. November 2021 kostet der Besuch ausgewählter Ausstellungen Eintritt. Veranstaltungen sind in der Regel kostenpflichtig.

Öffnungszeiten:

Mo., Mi., Do., So.: 10–20 Uhr,
Fr. u. Sa.: 10–22 Uhr, Di. geschlossen.


Exponate der Sammlung Lips 

Unter dem provokanten Titel „Der Wilde schlägt zurück“ zeigte das Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln zwischen März und Juni 2018 erstmals Darstellungen von Europäern aus dem Blickwinkel der Kolonisierten. Der Ausstellungstitel geht zurück auf das Buch The Savage Hits Back or The White Man through Native Eyes, das in den 1930er-Jahren hohe Wellen schlug: Vor den Nationalsozialisten geflohen, publizierte Julius Lips, der Kölner Ethnologe und ehemalige Direktor des Rautenstrauch-Joest-Museums, sein antifaschistisches und antikoloniales Werk im amerikanischen Exil. Er zeigte darin, wie Künstler aus den Kolonien Europäer darstellten. In seiner Arbeit zum „Gegenschlag“ des vermeintlich „Wilden“ und seinen polemischen Deutungen wird der Europäer selbst zum Barbaren. Das Haus der Kulturen der Welt in Berlin zeigte Stücke der Sammlung Lips und weitere Kolonfiguren in seiner Ausstellung „Spektral-Weiß“ (11/2019–01/2020).


Kolonfigur

2021, titelthema, koch, titelbild
© SMB/Ethnologisches Museum/Martin Franken

Bismarck-Archipel, Papua-Neuguinea (um 19o0)

Unsere Titelseite zeigt eine Kolonfigur, also ein Kunstwerk eines indigenen Künstlers, die einen Vertreter der europäischen Kolonialmächte darstellt.


Mehr Exponate aus den Sammlungen des Humboldt-Forums sehen Sie HIER.


Lars-Christian Koch

Prof. Dr. Lars- Christian Koch ist Musikethnologe und seit Anfang 2018 Direktor für die Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin im Humboldt- Forum.