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Bericht von Bord des Forschungseisbrechers »Polarstern«

Zwischen Pfannkucheneis und Pinguinen

16.01.2015

Das Klima der Erde wird entscheidend vom Temperaturgegensatz zwischen den Polargebieten und den Tropen gestaltet, weil diese Temperaturunterschiede die globalen Windsysteme und Ozeanströmungen steuern. Gegenwärtig ist die Arktis eine der vom Klimawandel am stärksten betroffenen Regionen. Die Temperaturen steigen doppelt so schnell wie im globalen Mittel, und das Meereis zieht sich deutlich zurück – mit drastischen Folgen für das Ökosystem und die Küstenbewohner am Nordpolarmeer. Auch die Antarktische Halbinsel hat sich stark erwärmt. Als Folge sind große Schelfeisgebiete zerfallen, sodass einige Gletscher nun schneller fließen und mehr Eisberge ins Meer schicken. Dadurch steigt der Meeresspiegel zusätzlich an. Die Westantarktis verliert gegenwärtig deutlich mehr Eis durch Gletscherabflüsse als früher, während der große Eisschild über der Ostantarktis noch stabil erscheint.

Als ich 1989 das erste Mal in die Antarktis fuhr, war von diesen Veränderungen noch wenig zu spüren. Inzwischen – 25 Jahre später – haben sich die klimatologischen Verhältnisse deutlich geändert. Um diese Änderungen zu verstehen, sind sowohl Beobachtungen vor Ort als auch fernerkundliche Messungen von Satelliten nötig. Zusätzlich wird das gesammelte Wissen in die physikalisch-numerische Modellierung von Atmosphäre, Ozean und Meereis in den Polargebieten gesteckt. Erst wenn sich die beobachteten Veränderungen mit diesen Modellen nachvollziehen lassen, hat man die Rolle der Polargebiete im Klima- und Ökosystem verstanden. Davon sind wir aber noch weit entfernt.

Beobachtungen in den Polarmeeren, insbesondere die dringend benötigten Daten während des Winters, lassen sich nur von einem entsprechend ausgerüsteten Eisbrecher gewinnen. Der zurzeit weltweit leistungsfähigste Forschungseisbrecher ist die „FS Polarstern“, betrieben vom Alfred-Wegener-Institut. Insgesamt war ich an acht „Polarstern“-Expeditionen beteiligt, für sechs davon als Fahrtleiter. Für meine letzte Winterexpedition – 2013 von Kapstadt zum antarktischen Kontinent, dann nach Nordwesten zur Spitze der Antarktischen Halbinsel und weiter Richtung Punta Arenas (Chile) – wählten wir eine Route, die wir zuletzt vor 21 Jahren im antarktischen Winter gefahren sind.

Ziel der Expedition war die Durchführung eines interdisziplinären Forschungsprogramms in Atmosphäre, Meereis, Ozean und Ökosystem, um die physikalischen und biogeochemischen Eigenschaften und Prozesse während der Meereiswachstums­phase besser zu verstehen. Zwei wesentliche Fragen bestimmten das Forschungsprogramm: Warum nimmt die Ausbreitung des antarktischen Meereises leicht zu, während die Meereisbedeckung in der Arktis stetig zurückgeht? Und: Welche Mechanismen lassen das Ökosystem nach dem langen Winter wieder zum Leben erwachen?

Um diese Fragen wenigstens teilweise zu beantworten, wurde ein ozeanografisches und biologisches Messprogramm durchgeführt, das im Wesentlichen aus den typischen hydrografischen Profilen wie etwa von Temperatur und Salzgehalt bestand und die Produktion von Tiefen- und Bodenwasser im Winter genauer beleuchten sollte. Parallel dazu wurden Netze eingesetzt, um die Überwinterungsstrategie der Copepoden (Ruderfußkrebse) zu untersuchen. Innerhalb des Packeises kamen verschiedene Untersuchungen zur Physik und Biogeochemie des Meereises und zur Struktur der atmosphärischen Grenzschicht dazu. Zudem fanden Untersuchungen zu verschiedenen Aspekten der Chemie der Atmosphäre und zur akustischen Ökologie statt.

Das Herzstück der Expedition waren die Eisstationen, bei denen alle Disziplinen beteiligt waren. Zwei Langzeitstationen dauerten vier Tage, eine drei Tage lang. Dazu kamen noch fünf Stationen zu jeweils zehn Stunden, und zusätzlich fanden zehn kurze Eisstationen von einigen Stunden Dauer statt. Das Besondere war, dass nach zwei Dekaden Pause sowohl das Klima- als auch das Ökosystem im Mittwinter auf zwei hydrografischen Schnitten durch das Weddellmeer genauer untersucht werden konnten. Die Ergebnisse sind in allen Fällen einzigartig und in einigen Beispielen auch überraschend.

Heftige Schneestürme, schwere Eisfahrt, die Dunkelheit der Polarnacht und Temperaturen unter –30 °C erwarteten uns auf der Südhalbkugel, während bei uns daheim der schönste Sommer stattfand. 49 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 13 Ländern machten sich gemeinsam mit den 44 Männern und Frauen der Schiffsbesatzung auf den Weg ins Eis. Es war keine leichte Fahrt, sie hat aber unsere Erkenntnis um ein Vielfaches erweitert. Ein wesentliches Ergebnis war, dass das Ökosystem die Polarnacht nicht völlig heruntergefahren im Winterschlaf verbringt, sondern dass einige Arten selbst mit dem wenigen Dämmerlicht Photosynthese betreiben, wenn auch auf einem reduzierten Niveau.

Antarktis Aktuell

Meine neunte „Polarstern“-Expedition führt mich zurzeit entlang der gleichen Fahrtroute von Kapstadt nach Punta Arenas. Aber jetzt ist Sommer in der Antarktis, und wir sind wieder mit einem internationalen Team auf Expedition. An Bord sind Meteorologen, Ozeanografen, Meereisphysiker, Biologen, Ökologen, Geologen, Chemiker, Forschungstaucher, Hubschrauberpiloten und Techniker der verschiedensten Ausrichtungen.

Gemeinsam untersuchen wir, wie das Ökosystem im Meereis und Ozean dem Übergang der physikalischen Umwelt vom Winter zum Sommer folgt. Hierfür stehen ozeanografische, biologische und meereisphysikalische Arbeiten auf dem Programm, um die Zirkulation und den Wärmegehalt des Weddellmeers zu untersuchen, ein quantitatives Verständnis der Wechselbeziehung zwischen Meereis und dem pelagischen Nahrungsnetz zu erarbeiten, die langfristige Beobachtung des Kohlenstoffzyklus im Südlichen Ozean fortzusetzen und die Abhängigkeit der Verbreitung und Häufigkeit von Vögeln und marinen Säugern von der ozeanografischen Umwelt zu erforschen.

Unsere aktuelle Reise traten wir Anfang Dezember 2014 an, die ersten schmelzenden Meereisfelder erreichten wir ein paar Tage später bei 60° Süd auf dem Greenwich Meridian. Das Eis ist locker gepackt und deutlich auf dem Rückzug von der maximalen Winterausdehnung in das Sommerminimum. In der Nähe des Kontinents ist das Meereis deutlich dicker und dichter gepackt, und die Durchfahrt bereitet mehr Mühe. Nach geologischen Probennahmen am Meeresboden am Kontinentalhang sind die Arbeiten auf dem Greenwich-Meridian abgeschlossen. Danach geht es in die offene Küstenpolynja an der Schelfeiskante. Dort ist der Weg nach Westen leichter bis zur deutschen Polarforschungsstation Neumayer III, die wir für die kommende  Überwinterung mit Proviant und Treibstoffen versorgen. Im Anschluss geht es quer durch das Weddellmeer zur Spitze der Antarktischen Halbinsel. Am 30. Januar enden die Arbeiten bei Elephant Island, einen Tag später gehen die Wissenschaftler in Punta Arenas von Bord.

Die Polarforschung bietet Naturwissenschaftlern und Technikern ein interessantes und spannendes Tätigkeitsfeld, in dem nicht nur Grundlagenforschung zum Tragen kommt, sondern auch die Anwendung in Vorhersagen und Szenarien des Klima- und Ökosystems, die für unsere Gesellschaft zur Zukunftsvorsorge benötigt werden.


Verfolgen Sie die aktuelle „Polarstern“-Expedition mit Berichten, Bildern und Karten der Eissituation in Antarktis und Arktis unter www.meereisportal.de