Polen – Rotary wohin?
Liebe Leserin, lieber Leser,
warum Polen? Für die Beschäftigung mit unserem östlichen Nachbarn gibt es sowohl historische als auch aktuelle Gründe. So begann vor 75 Jahren mit dem Polenfeldzug der Zweite Weltkrieg, und vor 70 Jahren versuchten polnische Freiheitskämpfer, im Warschauer Aufstand das Joch der deutschen Besatzung abzuschütteln.
Die meisten Deutschen haben von Warschau, Posen oder Krakau kaum eine Vorstellung. Die Ursachen dafür sind verschieden. Ein Grund dürfte sein, dass dieses Land während des gesamten 19. Jahrhunderts, in dem unsere moderne Gesellschaft wesentlich geprägt wurde, als Staat nicht existierte. Dadurch gilt vielen Landsleuten bis heute Russland als der eigentliche große Nachbar im Osten. Im 20. Jahrhundert hat der Zweite Weltkrieg das deutsch-polnische Verhältnis für Jahrzehnte vergiftet. Orte wie Auschwitz und Sobibor stehen für einen erbarmungslosen Vernichtungskrieg, in dem Millionen Menschen ermordet wurden. Nach dem Scheitern des Warschauer Aufstands machten Wehrmacht und SS die polnische Hauptstadt dem Erdboden gleich. Und nach dem Krieg wurden mit der Vertreibung der Ostdeutschen aus Schlesien, Pommern und Ostpreußen weitere jahrhundertelange Brücken zwischen beiden Ländern unwiederbringlich abgebrochen. Nicht zu unterschätzen ist schließlich auch die Tatsache, dass unser östlicher Nachbar vier Jahrzehnte quasi auf der falschen Seite des Eisernen Vorhangs lag. Statt Wohlstand und Freiheit wie im Westen herrschten Verfall und Unterdrückung. So wurde Polen zu einem dunklen Fleck auf der mentalen Landkarte der meisten Deutschen.
Doch rechtfertigt dieser historische Ballast auch das Desinteresse in der Gegenwart? Der Wiederaufstieg Warschaus zur pulsierenden Metropole wird hierzulande ebenso wenig beachtet wie die Suche der jungen Polen nach ihrem Platz im Europa des 21. Jahrhunderts. Dabei ist vor allem ihr Ringen mit der traditionellen, klerikal-konservativen und romantischen Geschichtsmythen verhafteten Lebenswelt ihrer Vorfahren ein spannender Prozess. Deshalb widmen sich die Beiträge ab Seite 38 einem Land, dessen Schicksal weit enger mit dem unsrigen verbunden ist als es den meisten Deutschen bewusst ist.
„Let’s Share Your Rotary Vision“ lautet das Motto des diesjährigen Rotary-Instituts. Am 8. und 9. November sind Rotarier aus allen Teilen Europas dazu eingeladen, im Kreise interessierter Freunde über die Zukunft ihrer Organisation zu diskutieren. Angesichts der Tatsache, dass Rotary heute auf einem überaus soliden Fundament steht, mag dieses Anliegen manchen Freund irritieren. Doch hat bereits vor Jahrzehnten kein Geringerer als der Rotary-Gründer Paul Harris erklärt, warum der vorausschauende Blick auch für Rotary notwendig ist: „Dies ist eine sich verändernde Welt; wir müssen bereit sein, uns mit ihr zu verändern. Die Geschichte von Rotary muss immer wieder neu geschrieben werden.“ In diesem Sinne verstehen sich die Beiträge ab Seite 16 als Denkanstoß – sowohl für das Institut im November als auch für die Diskussion in den Clubs.