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Rotary Entscheider

An der Spitze des Orchester-Olymps

Rotary Entscheider - An der Spitze des Orchester-Olymps
Daniel Froschauer spielt auf der Violine „Ex Benvenuti, ex Halphen“ von Antonio Stradivari aus dem Jahr 1727 – eine Leihgabe an die Wiener Philharmoniker von der Angelika Prokopp-Stiftung. © Julia Wesely

Als Erste Violine und Vorstand der Wiener Philharmoniker ist Daniel Froschauer viel unterwegs, vor allem zur Festspielsaison. Nun ist erst mal alles anders.

01.04.2020

Kurz bevor die große Tournee der Wiener Philharmoniker mit dem Beethoven-Zyklus in München wegen Covid-19 eingefroren werden musste, trafen wir deren Vorstand Daniel Froschauer zum Gespräch. Der gebürtige Wiener ist Teil der internationalen Orchesterelite, sein künstlerisches Credo unmissverständlich: Es gibt nur den unbedingten Willen zum Besonderen. Und dennoch: Das Wichtigste für ihn ist nicht die Geige.

Sie wurden an der New Yorker Juilliard School zum Top-Geiger ausgebildet. Da lag eine Solistenlaufbahn nahe. Warum haben Sie sich für den Weg des Teamplayers im Orchester entschieden?
Schuld war wohl das Neujahrskonzert, das ich bereits als Kind geliebt habe. Schon damals war mein Traum: Da möchte ich einmal dabei sein. Mein Vater war Chordirektor in der Wiener Staatsoper, dementsprechend war ich in zahlreichen Vorstellungen. Oper hat seit jeher eine ganz eigene Faszination für mich. Ein Teil von einem so großen Ganzen sein zu dürfen war mein brennender Wunsch.

Ihr Vater war in den 70er und 80er Jahren enger Mitarbeiter Herbert von Karajans bei den Salzburger Festspielen. Sie sind Jahrgang 1965, diese Festspiele sind Ihnen wohl in die Wiege gelegt?
Ja, ich war schon früh mit dabei. Mein Vater hatte eine sehr liebevolle Beziehung zu Karajan, der für so manchen ein eher despotisches Bild verkörpert hat. Als Kinder zu Hause haben wir es vollkommen anders erlebt. Wenn Papa erkrankt war, hat Karajan gleich am Tage darauf gute Wünsche per Telegramm geschickt. Wir kannten eine sehr menschliche Seite von ihm. Mein Vater hat sich extrem viel von ihm abgeschaut, ihn zu Hause den „schlauen Fuchs“ genannt.

Salzburg gilt als globaler Festspielleuchtturm. Dort feiert man heuer das 100-jährige Jubiläum – ohne die Wiener Philharmoniker wäre das nicht denkbar, oder?
Wir sind seit 1922 dabei als künstlerisches Zentrum. Wir spielen dort jedes Jahr groß besetzte Oper, 2020 „Elektra“, „Tosca“ und „Die Zauberflöte“, selbstredend Sinfoniekonzerte. Damit zeigt sich, welches Niveau wir präsentieren und halten wollen. Dort ist etwas Singuläres gewachsen. Treue und verlässliche Bindungen gehören zu unserer Orchesterphilosophie. Präsidentin Helga Rabl-Stadler wiederholt gern: „Ohne Wiener Philharmoniker gäbe es zwar Festspiele in Salzburg, aber nicht die Salzburger Festspiele.“

Sie spielen tagtäglich mit den besten Dirigenten und Solisten. Steigt man in Wien ins Taxi, kennt fast jeder Taxler den Opernspielplan. Ist man als Wiener Philharmoniker eine stadtbekannte Persönlichkeit?
Das stimmt tatsächlich, man kennt uns, wir werden als Musiker wirklich  wertgeschätzt. Das ist etwas Tolles, Wien ist durchaus speziell. Wenn man im Neujahrskonzert spielt, kann es einem auch selber passieren, dass man vom Taxifahrer angesprochen wird: Ich hab‘ Sie im Fernsehen beim NJK gesehen. Dann frage ich immer gleich: Hat Ihnen das Programm gefallen? Das gehört nämlich in meinen Zuständigkeitsbereich.

Das Neujahrskonzert wird oft als teuerstes Konzert der Welt bezeichnet. Dabei geht ein Teil der Erlöse an Amnesty International, Landminenopfer und die ORF-Hilfsaktion „Licht ins Dunkel“ – das wissen viele Menschen gar nicht. Warum wird dies nicht noch etwas mehr ins Licht gerückt?
Hier geht es uns nicht um öffentlichkeitswirksame Marketingeffekte, sondern um Hilfsprojekte. Mit Amnesty zum Beispiel verbindet uns eine lange Partnerschaft. Dort wird nachhaltig gearbeitet und gedacht, was genau zu uns passt. Wir unterstützen eine Reihe von sozialen Projekten – so kompromisslos wie möglich. Die Zauberworte heißen langfristig und bitte auch unbürokratisch.

Weniger bekannt dürfte auch die ungewöhnliche Struktur Ihres Orchesters sein. Was unterscheidet die Wiener von anderen Klangkörpern?
Wir sind in der Staatsoper angestellt mit fixem Gehalt und als Wiener Philharmoniker selbstständig. 1842 wurden wir als Opernorchester gegründet. Schon 1860 wurden unsere Abo-Konzerte als sinfonischer Grundstock aus der Taufe gehoben. Die Statuten des Vereins sehen vor, dass ein Musiker mindestens drei Jahre im Staatsopernorchester gespielt haben muss, bevor er die Aufnahme in den Verein der Wiener Philharmoniker beantragen kann. Als privater Verein agieren wir komplett selbst verwaltend und demokratisch mit flacher Hierarchie ohne Betriebsrat.

Tradition ist ein gewichtiger Begriff, den Klassikliebhaber mit Ihrem Orchester verbinden. Warum?
Unser großes Glück war natürlich der 1870 gegründete Musikverein, der seitdem unser Zuhause ist. Dirigenten und Komponistenpersönlichkeiten prägten uns dort enorm. Unzählige Uraufführungen haben wir gemacht, sämtliche Beethoven-Sinfonien. Brahms, Bruckner waren ständig bei uns, Mahler als Operndirektor hat unseren Klang im Ohr gehabt. Wir haben dadurch einen besonderen Zugang zu den Werken entwickelt.

Was hat es denn eigentlich mit dem viel gerühmten Wiener Klang auf sich, wie kommt der zustande?
Ich glaube, der entsteht dadurch, dass wir aus der Oper gewohnt sind, Sänger zu begleiten, und wir ständig ein Ohr offen haben. Auch in der größten Besetzung agie- ren wir wie in der Kammermusik. Es muss in Fleisch und Blut übergehen, dass man sich zurücknimmt, wo man nicht so wichtig ist, hervorkommt, wo man dominanter sein muss. Es ist das Zuhören untereinander und dieser gehauchte Klang von den Streichern, sodass man im größten Fortissimo noch die anderen hört. Wir schauen ganz stark bei unseren Engagements darauf, dass wir Musiker finden, die in diesen Klang hinein investieren, nichts wegwischen, genau in diese Tradition hineinspüren, die ein gutes Ohr haben. Ganz egal, ob sie aus Amerika, aus Japan oder Korea kommen, wenn sie in diesem Klang zu Hause sind, dann passen sie zu uns.

Und wie ticken die Wiener Philharmoniker so im Orchesteralltag?
Hier ein typisches Beispiel. Ein Reisetag. In der Früh ist der Flug verspätet, dann sind die Zimmer im Hotel noch nicht fertig, der Saal zum Proben ist kalt, es wurde nicht ausreichend geheizt. Gelingt das Konzert am Abend gut, redet kein Mensch über die Hürden. Dann sind alle begeistert, die Stimmung ist fantastisch. Wehe aber, wenn es umgekehrt ist: Alles perfekt organisiert, aber das Konzert erfüllte nicht unsere Erwartungen ...

Muti, Mehta, Barenboim, die weltbesten Dirigenten konzertieren mit Ihnen innerhalb eines Monats. Gibt es für Sie „Liebesehen“?
Sogar viele. Zubin Mehta ist ein wunderbares Beispiel. Wir musizieren miteinander seit über 50 Jahren. Er war 1962 zum ersten Mal bei uns. Ricardo Muti arbeitet mit uns seit 1971. Wir feiern nächstes Jahr in Salzburg 50 Jahre mit ihm als Partner, eine ganz außergewöhnliche Kontinuität. Dirigenten kommen zu uns als junge Musiker, sie lernen viel vom Orchester und geben uns, wenn sie älter sind, genau das wieder zurück.

Vor Kurzem mussten Sie einem Cellisten vor dem Hintergrund von Missbrauchsvorwürfen kündigen. Welche Haltung finden Sie in der #Metoo-Debatte?
Wer sich in unserer Zeit nicht an Regeln hält, muss die Konsequenzen tragen. Vor allem bei Minderjährigen, bei Schutzbefohlenen ist es ein Muss, absolut integer zu sein. Ich habe eine 14-jährige Tochter, die sehr fein Cello spielt. Wenn sie berichten würde, dass ihr Lehrer sich nicht korrekt verhält, wäre das ein nicht auszuhaltender Schmerz. Gerade ein Lehrer-Schüler-Verhältnis ist für mich etwas absolut Unantastbares, das ist „heilig“ für mich, da gibt es keine Kompromisse.

Welche Bedeutung hat Familie für Sie?
Mein Vater war absolut prägend, meine Tochter ist jetzt für mich das Wichtigste in meinem Leben. Was ich ihr an Zeit schenke, das bekomme ich auf vielfache Art zurück. Wir haben da eine fantastische Solidarität im Orchester. Die Kinder haben Priorität, im Zweifel Vorrang vor Dienstplänen. Skypen mit meiner Tochter trägt die Sekretärin in meinen Terminkalender ein, holt mich dann auch aus der Sitzung, damit ich es nicht verpasse.

Sie sind Mitglied im Rotary Club Wien-Graben, seit wann?
Als ich zu den Philharmonikern kam, das war 1998. Mein Vater war lange Mitglied beim Rotary Club Wien-West. Einen gemischten Club finde ich spannend, dort nehme ich Impulse aus für mich ungewohnten Bereichen auf. Auch die Leitlinien haben für mich Substanz, zum Beispiel im Vorstandsamt, in Situationen, in denen ich mich erst einmal zurücknehme und überlege: Ist es wahr? Ganz wichtig sind mir die Charity- Konzerte. Die unbürokratische Art zu helfen gefällt mir sehr gut. Mir war es fast peinlich, als mein Club den „Daniel-Froschauer-Preis“ zur Unterstützung junger Nachwuchsmusiker initiiert hat. Da hätte ich den Titel „Wien-Graben- Preis“ deutlich lieber gesehen, aber geehrt gefühlt habe ich mich trotzdem.

Das Gespräch führte Dorothe Gschnaidner