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Auf dem Weg in eine neue Ordnung?

Aktuell - Auf dem Weg in eine neue Ordnung?
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Gedanken zur sicherheitspolitischen Lage

Rolf Clement11.03.2025

Manchmal erklärt der Blick auf die Landkarte einiges, wenn auch nicht alles. Wenn wir in Deutschland auf eine Weltkarte schauen, liegt Deutschland in der Mitte, direkt zentral vor uns. Europa schart sich darum. Weit links, im Westen, sieht man die USA, größer als Europa, aber auch ein Stück weg. Etwas näher, aber auch größer, rechts, im Osten, Russland. Und darunter, etwas verschoben, aber auch sehr groß China. Wenn US-Präsident Trump auf eine solche Karte schaut, sind die USA ein großer Fleck im Zentrum der Karte. Weit rechts, im Westen, findet sich da ein kleiner Fleck: Europa. Russland ist rechts wie links zu sehen, und unterhalb Russlands auch da China.

Hält man sich dieses rein optisch vor Augen, kann man nachvollziehen, dass ein Mensch mit der Blickweise eines Donald Trump da auch eine Hierarchie zu erkennen glaubt: Das kleine Europa soll bitte nach der Pfeife der großen USA tanzen.

Trumps Perspektive sind die drei Großen. Und von diesen dreien sollen die USA der Größte sein. Also muss er verhindern, dass Russland und China zu eng zusammenarbeiten. Er muss dafür sorgen, dass die USA den Spitzenplatz besetzen. Mit China besteht gegenwärtig ein kritischeres Konkurrenzverhältnis, vor allem in wirtschaftlichen Fragen. Deshalb will er ein gutes Verhältnis zu Russland und dessen Machthaber Putin, damit die Achse Peking-Moskau ihm diesen Plan, der größte zu sein, nicht vereitelt.

Das könnte die Motivation für die Politik sein, die Trump gegenüber Moskau macht. Er will, um seine Führungsposition zu untermauern, die "kleinen Konflikte" wie den Ukraine-Krieg und die Auseinandersetzung um den Gaza-Streifen als Störfaktoren seines Vormachtstrebens ausschalten.

Die Ukraine ist ein direkter Konflikt zwischen einem kleineren Land und einem der drei Großen. Hinzu kommt, dass Trumps Verbündete, die sich in relativ kleinen Staaten zerlegenden Europäer, diesen Krieg mit besonderer Aufmerksamkeit und einem hohen Engagement "bearbeiten". Sie sind betroffen, durch die regionale Nähe zum Konflikt, durch Cyberaktivitäten in den eigenen Ländern, auch durch Flüchtlingsströme – von humanitären Überlegungen einmal ganz abgesehen. Über die bisherige Bündnispolitik, die Trumps Vorgänger Biden auch noch intensiv betrieben hat, sind die USA in diesen Krieg ebenfalls involviert.

Für Trump sind die internationalen Regeln, die zumeist unter dem Dach der UNO geschrieben worden sind, keine verbindlichen Normen. Die UNO spiegelt die Welt, wie Trump sie sieht, gerade nicht wider. So sind für ihn Grenzen keine gesetzten Linien, sondern eher lockere Vereinbarungen, die – das hat ja auch die Geschichte gezeigt – immer wieder veränderbar sind. Die regelbasierte Ordnung, die sich in den letzten 70 Jahren entwickelt hat, hatte aber zum Ziel, dass Grenzverschiebungen mit Gewalt ausgeschlossen sein sollen. Dieses Diktum lehnt Trump ab, vor allem dann, wenn er andere Interessen hat. Deswegen ist die Haltung Putins für ihn akzeptabel – er versucht gegenüber Kanada, dem Panama-Kanal und Grönland ja eine vergleichbare Politik.

Für die Haltung Trumps kommt ein weiteres wesentliches Element hinzu. Nach allem, was aus Washington zu hören ist, traut Trump den Informationen nicht, die die US-Geheimdienste bereitstellen. Diese Geheimdienste haben auch schon für Trumps Vorgänger Biden gearbeitet. An dessen Administration lässt der aktuelle Präsident kein gutes Haar, also auch nicht an dem Geheimdienst, der Biden informiert und beraten hat. Trump glaubt dem, was in den so genannten sozialen Medien zu lesen ist, heißt es aus Washington.

Dies führt zu einer nachhaltig anderen Weltsicht als bei seinem Vorgänger. Er allein bestimmt, wie die Welt zu sehen ist. Daher kommt auch der Wankelmut, den seine Aussagen immer wieder prägen. Da entzieht er der Ukraine die militärische Hilfe und die Unterstützung durch Aufklärungsergebnisse der Geheimdienste, etwas später ist davon keine Rede mehr. Einen Tag später droht er Russland mit neuen Sanktionen. Er will mit der Ukraine ein Abkommen über die Lieferung von Rohstoffen schließen, möglichst aber so, dass diese geliefert werden als Gegenleistung für die von Biden gewährte Militärhilfe. Von Sicherheitsgarantien, auf die die Ukraine pocht, will Trump nichts wissen, obwohl die USA diese Garantien schon 1994 gegeben haben, als die Ukraine auf die Nuklearwaffen verzichtet hat, die auf ihrem Gebiet aus sowjetischer Zeit noch stationiert waren. Zu den Garantiemächten damals gehörte auch Russland, das mit dem Angriff auf die Ukraine 2022 diese Zusage gebrochen hat. Trump macht jetzt mit der Weigerung, diese Garantien zu geben – oder zu erneuern – dasselbe.

Noch stellt Trump die Mitgliedschaft der USA in der NATO nicht zur Disposition. Aber er macht schon deutlich, dass die Europäer deutlich mehr in ihre Sicherheit investieren müssen, wenn die USA Partner bleiben sollen. Der Ernst der Lage ist manch einem Politiker in Europa mittlerweile klar. Die ewigen Beteuerungen der Europäer, sie müssten zusammenstehen und eine gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik betreiben, verfangen nicht mehr. Dass dies nicht umgesetzt wurde, ist ja ein weiterer Grund für die USA, auf Europa herabzusehen. Die Länder dieses Kontinents bringen für die USA keinen militärischen Mehrwert, auch nicht in einem möglichen Konflikt mit China. Das beweisen die Europäer ja gerade im Ukraine-Konflikt, wo sie oft zögerlich, oft zaghaft zu wenig leisten, um die Ukraine gegen Russland stark zu machen.

Es hat sich in den letzten 70 Jahren herausgestellt, dass die Institutionen NATO und EU nicht (mehr) die geeigneten Foren sind, um diese gemeinsame Politik zu organisieren. Immer wieder gab es Länder, die sich an diesem Projekt nur zögernd oder gar nicht beteiligt haben. Deswegen das Plädoyer, außerhalb der Gremien nach Koalitionen zu schauen, die diese gemeinsame Politik betreiben können. (siehe auch: Clement/Puhl, Die Zukunft der Sicherheit, Hamburg 2024). Die Verlagerung wichtiger Kooperationen aus den Gremien heraus lässt zu, dass weniger willige Staaten ein engeres Zusammengehen nicht mehr blockieren können. Und es ermöglicht, an der europäischen Sicherheit Großbritannien, das der EU nicht mehr angehört, substantiell zu beteiligen.

Frankreich Präsident Macron hat nach dem Eklat zwischen US-Präsident Trump und dem ukrainischen Präsidenten Selensky ein solches Bündnis außerhalb der Gremien zu organisieren begonnen. Der britische Premierminister Starmer hat dies sofort aufgegriffen und unterstützt. Dies muss die Keimzelle einer europäischen Sicherheitsarchitektur werden, die diesen Namen auch verdient. Dringend dazu gehören müssen auf jeden Fall Polen und Deutschland. Die vier sind zentral für eine neue europäische Sicherheitsordnung. Aber sie müssen auch an einem Strang ziehen.

Ein wichtiges Kriterium muss sein, dass die Europäer sich unabhängig von den USA machen. Sie müssen auch ohne Washington handlungsfähig sein. Das heißt nicht, dass die Europäer auf die Zusammenarbeit mit den USA und deren Schutz verzichten wollen. Das heißt nur, dass eine Verteidigung auch möglich sein muss, wenn die USA ausfallen.

Das lässt sich leicht festmachen am Nuklearschirm, den die USA über die europäischen Verbündeten halten. Wenn man nun daran denkt, dass dieser einmal nicht mehr funktionieren könnte, hat Frankreich angeboten, sein Nuklearpotenzial für die Verteidigung Europas einzubringen – natürlich unter französischer Führung. Auch Großbritannien hat ein ähnliches Angebot gemacht.

Für Europa bietet sich das französische Angebot eher an. Das britische Nukleararsenal stützt sich weitgehend auf US-Produkte ab. Wenn das Modell Ukraine in einer weiteren Krise Schule macht, ist nicht sicher, dass die US-Firmen die nötigen Bestandteile einer europäischen Nuklearmacht liefern. Das Interesse der USA im Trump-Modus ist ja gerade, dass die Europäer auch künftig nicht so agieren können wie die USA, also sind Lieferungen über den Atlantik nicht sicher.

Um Europa sicherheitspolitisch zu einem Player zu machen, muss noch viel geleistet werden. So muss in Deutschland auch die Einsicht in die Notwendigkeit sicherheitspolitischer Unabhängigkeit von den USA noch wachsen. Und: Diese Gesellschaft muss resilienter werden. Sicherheitspolitische Überlegungen müssen in anderen Politikbereichen mehr Platz finden.

Und es bedarf großer Investitionen. In der EU, aber auch in Deutschland werden große Geldbeträge bereitgestellt, um dieses Ziel zu erreichen. Da darf man sich von den Zahlen nicht blenden lassen. Zunächst ist nicht definiert, in welchem Zeitraum die Mittel, die bereit gestellt werden, ausgegeben werden dürfen. Das kann jetzt auch noch keiner sagen, weil die Leistungsfähigkeit der europäischen Rüstungsindustrie eine noch unbekannte Größe ist. Bis vor einigen Wochen wurde in solche Debatten immer wieder diskutiert, ob man Waffensysteme nicht in den USA von der Stange kaufen könnte – schneller und vielleicht sogar billiger. Dieser Weg ist jetzt politisch verstellt. Man kann nicht, um von den USA unabhängiger zu werden, genau dort einkaufen und sich wieder in eine neue, andere Abhängigkeit von eben diesem Land zu begeben.

Hier fällt dann die Trump-Politik auf die USA zurück. Die wirtschaftliche Lage in den USA entwickelt sich gegenwärtig ungünstig. Wenn Rüstungslieferungen über den Atlantik für die Europäer immer weniger in Frage kommen, fallen in den USA Aufträge weg. Andererseits profitiert davon die europäische, auch die deutsche Rüstungsindustrie, damit der Arbeitsmarkt hierzulande mit den Effekten höherer Steuereinahmen und mehr Einzahlungen in die Sozialsysteme.

Aber das kostet Zeit. Um die richtigen Signale zu setzen, muss jetzt schnell gehandelt werden. Die Industrie fährt ihre Kapazitäten schon hoch. Aber diesem Hochfahren sind auch Grenzen gesetzt. Politische Stimmungen sind volatil. Wenn nach einem Ende des Ukraine-Krieges die alten Diskussionsmuster wieder greifen, könnte die Politik die Beschaffungen bei der Bundeswehr auch wieder reduzieren. Die Rüstungsindustrie braucht Verlässlichkeit, dass eine bestimmte Politik über einen längeren Zeitraum betrieben wird, damit sich die Investitionen lohnen. Aber auch dann wir es Jahre dauern, wenn nicht Jahrzehnte, bis die Bundeswehr auf dem Stand ist, der für eine angemessene Mitwirkung an der Landes- und Bündnisverteidigung erforderlich ist.

Ein weiteres Problem stellt besonders in Deutschland die Personallage dar. Seit Jahren versuchen die jeweiligen Bundesregierungen, die Truppenstärke von gegenwärtig rund 180.000 Soldatinnen und Soldaten auf 203.000 anzuheben. Mittlerweile geht man in der Bundeswehrführung davon aus, dass man deutlich mehr benötigt. Immer wieder wird als ein wesentliches Instrument für die Rekrutierung neuer Soldaten die Wiedereinführung der Wehrpflicht genannt. Dies soll nicht die alte, vor über zehn Jahren aufgegebene Wehrform sein, sondern eine flexiblere, die auch Frauen den Grundwehrdienst erlauben würde. Dies ist wichtig, weil zur Zeit starke Jahrgänge in Pension gehen, aber schwächere ins wehrfähige Alter kommen. Die Bundeswehr hat viele Formen der Werbung bereits ausprobiert. Aber an einem Umstand kam sie nicht vorbei: Die jetzt anstehenden Jahrgänge sind kleiner, es gibt nicht ausreichend junge Menschen, die zur Bundeswehr gehen wollen – andere Berufe kämpfen ebenso. Die Wiedereinführung einer Wehrpflicht ist also kein Garant für eine größere Truppenstärke.

Was bleibt als Resumee? Die regelbasierte internationale Ordnung steht massiv unter Druck – wenn es sie in der umfassenden Form überhaupt noch gibt. Die USA machen eine Politik, die das eigene Land absolut beherrscht. Trump ist kein Politiker, der im internationalen Konzert mitspielen möchte, er will DER Solist sein. Dem ordnet er alles unter. Deswegen wird es schwer, ihn zu einem Verhalten zu bewegen, das auch die Interessen der anderen berücksichtigt. Dazu ist er, wenn überhaupt, nur durch wirtschaftliche Massnahmen zu bewegen. Für die Durchsetzung seiner Interessen opfert er auch ein Land wie die Ukraine. Die Europäer müssen ihm deutlich machen, dass und wo er sie braucht. Und sie müssen sich unabhängig von der US-Politik machen. Um hier Fortschritte zu erzielen, müssen neue Wege jenseits der bestehenden Organisationen gegangen werden.

Rolf Clement

Rolf Clement ist Experte für Sicherheitspolitik, Journalist und Autor. Er betätigt sich zudem als Lehrbeauftragter und Keynote-Speaker, zum Beispiel auf dem Rotarischen Sicherheitsforum 2025 in Köln.
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