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Titelthemage

Boden gut gemacht

Titelthemage - Boden gut gemacht
In diesem Berliner Gemeinschaftsgarten des 19. Jahrhunderts wurde offenbar nicht nur gearbeitet, sondern auch geplaudert. © Getty Images

In kurzer Zeit zerstört der Mensch wertvolle Böden, die sich über Jahrtausende entwickelt haben. Doch er kann sie auch erschaffen.

Alexander Stahr01.03.2021

Böden sind Lebensgrundlage von Mensch, Tier und zahllosen Organismen. Die natürliche Entwicklung eines Bodens hängt von verschiedenen Faktoren ab. Von den chemischen und physikalischen Eigenschaften des Ausgangsgesteins der Bodenbildung, von der Verwitterungsbeständigkeit des Gesteins, vom Wasserangebot, vom Klima, von der Arbeit der Tiere, Pflanzen, Pilze und Mikroorganismen sowie von der Zeit. Ein land- oder forstwirtschaftlich rentabel nutzbarer Boden benötigt bis zu mehrere Tausend Jahre für seine Entwicklung. Aufgrund dessen ist die Mehrzahl unserer wertvollen Böden bei Verlust infolge unsachgemäßer Bewirtschaftung und Bodenerosion nicht ersetzbar. Unter den Boden beeinflussenden Faktoren fehlt daher noch ein seit Jahrtausenden zunehmend an Bedeutung gewinnender Faktor: der Mensch.

Mehr als 15 Meter tiefe Erosionsschluchten, so genannte Runsen, zeugen vielerorts in Mitteleuropa von den bodenzerstörenden Eingriffen des Menschen in die Vegetation. Insbesondere in der Frühen Neuzeit (circa 1500 bis etwa 1800) wurden Wälder zu Äckern. In Verbindung mit dem kühl-feuchten Klima der Kleinen Eiszeit, einem Klimapessimum vom 15. Jahrhundert bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, wurden die zeitweise vegetationslosen Böden Opfer häufiger Starkniederschläge.

Bis heute ist die Bodenerosion durch die Landwirtschaft ein Umweltproblem. Der Faktor Mensch kann in kürzester Zeit Boden zerstören. Er kann aber auch das Gegenteil bewirken, indem er einen fruchtbaren Boden erschafft, wo es die Natur nicht vermochte. Solch anthropogene Böden werden auch als Kultosole (lat. solum, der Boden) bezeichnet.

Plaggenesch

Im Raum der nordwestdeutschen Geest mit ihren meist nährstoffarmen oberflächlich ausgelaugten Sandböden hat sich der wirtschaftende Mensch besondere Maßnahmen einfallen lassen, um aus einem für den Ackerbau unrentablen Boden fruchtbare Erde zu erschaffen. Dort ist die mittelalterliche Plaggenwirtschaft seit etwa 1000 nach Christus bekannt.

Was hat man damals gemacht? Man stach Heide- oder Grassoden (Plaggen) aus dem Boden und brachte diese als Einstreu in die Ställe. Mit den tierischen Exkrementen vermischt, wurden die Plaggen anschließend zusammen mit anderen organischen Abfällen (Asche, Küchenabfälle) kompostiert und auf Ackerflächen, Esch genannt, aufgebracht. So wurden diese Äcker durch den organischen Dünger dauerhaft fruchtbar.

Infolge dieser Wirtschaftsweise über lange Zeiträume, bildeten sich über den natürlichen Böden so genannte „Eschhorizonte“, die heute oft mächtiger als einen Meter sein können. Im 12. und 13. Jahrhundert begann insbesondere im Osnabrücker Land neben der damals gängigen Dreifelderwirtschaft die Plaggenwirtschaft, das Hauptverbreitungsgebiet von Plaggeneschen. Das Sauerland gilt als die südliche Verbreitungsgrenze dieses Bodentyps. Mit der Einführung des Mineraldüngers endete die arbeitsintensive Plaggenwirtschaft Anfang des 20. Jahrhunderts.

Plaggenesche sind auch heute noch ertragreiche Ackerstandorte. Sie besitzen gute Nährstoffvorräte, ein hohes Porenvolumen, einen guten Wasserhaushalt und ein stabiles Bodengefüge. Aufgrund nicht seltener archäologischer Funde in den Eschhorizonten, sind Plaggenesche wichtige Archive der Kultur- und Landschaftsgeschichte.

Rigosol

Dem Weinliebhaber wird wohl nur ein Boden aus Menschenhand sehr am Herzen liegen: der Weinbergsboden oder Rigosol. Der Name des Bodentyps stammt von „rigolen“ (französisch: rigole, die Rinne). Beim Rigolen wird der Weinbergsboden tiefgründig umgeschichtet. Nahezu jeder Weinberg wird vor der Neuanlage nach einer Brachezeit rigolt. Das Rigolen erfolgte bis in die 1950er Jahre fast ausschließlich durch Handarbeit – und zwar bis in Tiefen von einem Meter. Heute wird in der Regel mit speziellen Rigolpflügen in Tiefen von 40 bis 80 Zentimetern gearbeitet. Bereits den Römern waren die Effekte des Rigolens bekannt.

Sehr drastisch werden die Gründe für das Rigolen im Weinbaulehrbuch des Cannstatter Feldmessers Johann Michael Sommer aus dem Jahr 1791 beschrieben. Sommer erklärte den schlechten Wuchs von Rebflächen dadurch, dass „die Schuld bloß daran liege dass der Weinberg nicht tief genug umgeritten worden, dass also die zarten Wurzeln, wie es doch die Vernunft hätte lehren sollen, in einem so starken Boden nicht tief genug eingeschlagen worden, wodurch sie bey kaltem Wetter erfrohren, und bey dürrem Sommer verdorret sind“.

Hortisol

Eigenheimbesitzer und Schrebergärtner sind stehts bemüht, ihren Gartenboden oder Hortisol (lateinisch: hortus, der Garten) zu verbessern, indem kräftig Kompost eingearbeitet wird. Dadurch werden etwa sandige Böden nährstoffreicher. Zudem wird durch die Einarbeitung von organischer Substanz besser Wasser gespeichert, die Bodenstruktur krümeliger und das Bodenleben reicher. Im Gegensatz zum Ackerboden, der sich über Jahrhunderte bis Jahrtausende entwickelte, kann ein Gartenboden in einem halben Tag entstehen. Der Mini-Bagger im Garten hinterm Haus macht‘s möglich.

Böden sehr alter Bauerngärten können ein wahres Archiv der Kulturgeschichte sein. Setzt man heute vor allem auf Kompost, gelangten in früheren Zeiten neben organischen Materialien wie Stroh, Mist oder Küchenabfälle auch Scherben, Holzkohle und Knochen in den Gartenboden. Für Bodenkundler und Archäologen sind solche Funde wertvolle Hinweise auf die Siedlungs- und Kulturgeschichte.

Der Kolluvisol

Das Wesen aller Handlungen des Menschen scheint auch hinsichtlich des Bodens durch eine schlechte und eine gute Seite charakterisiert zu sein. Denn durch Wassererosion am bewirtschafteten Hang abgespültes Bodenmaterial findet sich am Hangfuß und in Tälern wieder. Dieses umgelagerte Bodenmaterial bezeichnet man als Kolluvium (lateinisch: colluvio, das Wirrwarr). Hat sich im Laufe der Zeit ein humoser Oberboden darin entwickelt, spricht man vom Bodentyp Kolluvisol. Kolluvisole haben ein gutes Wasser- und Nährstoffspeichervermögen und können ebenfalls Aufschlüsse über die Kultur- und Landschaftsgeschichte geben. In den Alpen und anderen Hochgebirgen sind Kolluvisole aufgrund der großen Höhenunterschiede und der Steilheit der Hänge mit einhergehender Bodenabtragung durch Wassererosion, Rutschungen, Muren und Lawinen sehr häufig anzutreffen. Im Hochgebirge hat der Mensch jedoch nicht immer seine Finger im Spiel.

Alexander Stahr

Dr. Alexander Stahr ist Diplom-Geograf, Bodenkundler und Autor mehrerer geowissenschaftlicher Fachbücher. Nach leitender Tätigkeit im Umweltbereich der Stadt Frankfurt am Main arbeitet er heute als freiberuflicher Wissenschaftsredakteur und Gutachter für den Bereich Boden- und Grundwasserschutz.

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