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Hanf

Cannabis-Legalisierung: Reefer Madness

Hanf - Cannabis-Legalisierung: Reefer Madness
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Die wahnsinnige Geschichte der Marihuanaprohibition

Helena Barop01.01.2022

Als vor ein paar Wochen durchsickerte, dass die Ampel-Parteien über eine Legalisierung von Cannabis berieten, reagierte Deutschland erstaunlich entspannt. Ja, die Polizeigewerkschaften und ähnliche übliche Verdächtige warnten reflexhaft vor einem Anstieg der Konsumzahlen. Die Erzählung von Cannabis als "Einstiegsdroge" hatte ihren Auftritt. Selbst Heroin trat in einer kleinen Komparsenrolle auf, als wir uns kurzzeitig vor Heroinbeimischungen im Gras gruselten. Doch insgesamt wurde die Nachricht vom Ende der Marihuanaprohibition aufgenommen, als habe eine Mehrheit der Beobachterinnen und Beobachter sie schon lange erwartet. Inzwischen ist weithin bekannt, dass die gesundheitlichen Gefahren, die mit Cannabis verbunden sind, lange überschätzt wurden. Nachdem bereits viele US-amerikanische Bundesstaaten den Freizeitgebrauch von Cannabis freigegeben haben und auch in Europa in immer mehr Ländern über liberalisierte Cannabisgesetze nachgedacht wird, scheint Deutschland sich also nur einem internationalen Trend anzuschließen und auf eine geänderte Gefahreneinschätzung in der Wissenschaft zu reagieren.

Es scheinen also zumindest erhebliche Teile der Bevölkerung ihre Bedenken in Bezug auf Cannabis aufgegeben zu haben. Wenn wir uns nun aber so weitgehend einig sind, dass Cannabis harmlos genug sei, um es freizugeben – wie konnte es dann geschehen, dass es in weiten Teilen der westlichen Welt seit fast einem Jahrhundert verboten war?

Die Antwort liegt in der Geschichte der US-amerikanischen Drogenpolitik und beginnt mit einer Reihe von Verhandlungen, zu der sich Diplomaten aus dreizehn Ländern – darunter die USA, Großbritannien, Deutschland und China – 1909 in einem Hotel in Shanghai versammelten. Ein US-amerikanischer Bischof namens Charles Brent hatte eingeladen zur Bildung einer ersten internationalen Opiumkommission. Brent hatte Großes vor: Er wollte die Übel des Opiumkonsums bekämpfen. Erst auf den Philippinen, die seit 1989 von den USA als Kolonie verwaltet wurden, und wo ihm die Opiumpfeifen der chinesischen Bevölkerungsgruppe ein Dorn im Auge waren. Dann in den USA, wo sich bürgerliche Stadtbewohner vor dem Verfall ängstigten, der ihrer Befürchtung nach von den Opiumhöhlen in den Chinatowns ausging. Dann auf der ganzen Welt.

Der Opiummarkt ist und war immer ein globaler, und Brent wusste schon 1909, dass er ohne internationale Kooperation nicht verhindern würde, dass Schmuggler die 7107 philippinischen Inseln mit Opium belieferten. Seine Strategie ging auf. Die Kommission von Shanghai verabschiedete eine Reihe von Resolutionen, die festhielten, wann eine medizinische Substanz legitimer Weise konsumiert werden darf und wann nicht: Nur, wenn es eine medizinische Indikation gibt, ist Opiumkonsum den Resolutionen von Shanghai zufolge legitim. Gibt es keine, ist es Missbrauch. Ist es Missbrauch, wird die Substanz zur Droge.

Zwischen 1911 und 1914 folgten internationale Konferenzen, in denen sich die internationale Gemeinschaft darauf einigte, dass mit Drogen – das hieß: Opium, Morphium, Heroin und Kokain – international nicht mehr frei gehandelt werden sollte und dass die einzelnen Staaten Gesetze erlassen mussten, um die Produktion und den Handel mit diesen Stoffen zu reglementieren. Viele Regierungen standen jedoch diesem Verhandlungsergebnis kritisch gegenüber und nur die Regierungen der USA, Chinas und der Niederlande ratifizierten die Opiumkonvention von Den Haag, bis 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach und alle Beteiligten erst einmal Wichtigeres zu tun hatten.

Auch Deutschland leistete gegen die Umsetzung der Opiumkonvention Widerstand, denn als wichtiger Standort der Pharmaindustrie hatte es kein Interesse daran, es dieser Industrie durch rechtliche Auflagen unnötig schwerzumachen. Doch dieser Widerstand gegen die Prohibitionsbemühungen der USA, die weiterhin die treibende Kraft der Opiumdiplomatie waren, zerfiel 1919 zu Staub, als die Siegermächte die Ratifikation der Haager Opiumkonvention zur Bedingung des Versailler Friedensvertrages machten. So blieb Deutschland nichts anderes übrig, als die Opiumkonvention zu ratifizieren. 1920 erließ das Deutsche Reich das Gesetz zur Ausführung des internationalen Opiumabkommens, das aber nur den Handel mit Opiaten und Kokainderivaten regelte und wenig Auswirkungen auf die Konsumgewohnheiten der Deutschen hatte. Neun Jahre später verabschiedete das Parlament dann das Opiumgesetz. Weil die Genfer Opiumkonvention von 1925 auch das indische Hanf in den Katalog der kontrollierten Substanzen aufgenommen hatte, erschien neben Kokain und den Opiaten nun auch Hanf in diesem ersten wirksamen deutschen Drogengesetz. Die genannten Substanzen durften in Deutschland nun nur noch verkauft werden, wenn eine medizinische Indikation und ein Rezept vorlagen – ganz so, wie es sich Bischof Brent zwanzig Jahre zuvor in Shanghai gewünscht hatte.

So geriet Cannabis in Deutschland in die Kategorie der illegalen Drogen. Ohne den Versailler Vertrag wäre diese Entwicklung nicht zwangsläufig erfolgt, womöglich hätte sie zumindest noch auf sich warten lassen. Das zeigt zum Beispiel ein Seitenblick nach Österreich: Dort wurde Cannabis erst 1963 verboten. Der Mechanismus war jedoch der gleiche, denn auch Österreich folgte mit der Hanfkriminalisierung den Auflagen eines internationalen Abkommens, das maßgeblich von den USA gestaltet und vorangetrieben worden war, nämlich den Auflagen des Einheitsabkommen über die Betäubungsmittel (Single Convention on Narcotic Drugs) von 1961.

Dass Cannabis nicht früher wieder aus dem Katalog der verbotenen Drogen herausfiel, liegt in erster Linie an einem resoluten Bürokraten namens Harry J. Anslinger. Seit 1930 leitete er die erste eigenständige US-amerikanische Drogenbehörde, das Federal Bureau of Narcotics (FBN). Geprägt durch seine Erfahrungen im Kampf gegen den illegalen Alkoholkonsum während der Prohibitionszeit war Anslinger ein Hardliner. Seiner Überzeugung nach ließ sich Drogenkonsum nur mit entschiedenen Repressionsmaßnahmen unterdrücken: Harte Strafen, resolute Strafverfolgung, Abschreckung und die Bekämpfung der Lieferketten hatten während seiner 32 Jahre währenden Amtszeit Priorität.

Um die eigene Machtposition zu sichern, die Relevanz seiner Behörde in Erinnerung zu halten und Ressourcen für seine Arbeit zu mobilisieren, entwarf und befeuerte Anslinger regelmäßig Angstkampagnen, in denen er ohne erkennbaren Anlass vor bestimmten Drogen warnte. Die erste große Kampgange dieser Art fand in den 1930er Jahren statt und verteufelte Cannabis.

Mit viel Phantasie und wenig wissenschaftlich gestützter Evidenz entwarf Anslinger in dieser Zeit ein groteskes Zerrbild von Cannabiskonsum und seinen gesundheitlichen Folgen, das bis heute durch das kollektive Bewusstsein der westlich geprägten Welt geistert. Diesem Zerrbild zufolge führen Marihuana und Haschisch ihre Konsumentinnen und Konsumenten in den Abgrund: Sie werden wahnsinnig, rücksichtslos, gewalttätig, sie morden, vergewaltigen, fahren im Rausch unschuldige Passanten zu Tode, sie verlieren vollständige die Kontrolle über ihr Leben und springen von Sinnen aus dem Fenster in den Freitod.

Um seine Thesen zu belegen, hatte Anslinger stets eine Anekdote aus seinem Arbeitsalltag als oberster Drogenbekämpfer zur Hand. Gezielt sammelte er besonders drastische Fälle von Cannabiskonsum mit gewalttätigen Folgen in einer eigens dafür angelegten Akte, von der später belegt werden konnte, dass die meisten dort aufgeführten Fälle fiktionale Wurzeln hatten oder stark verzerrt dargestellt waren. Verbreitet wurden Anslingers Ansichten zu Cannabis über eine Reihe von Zeitungsartikeln, vor allem aber über zwei Spielfilme: Reefer Madness (1936) und Assassin of Youth (1937). In ihnen taumeln kiffende Jugendliche durch ein Gewaltinferno, bis sie am Ende an ihrem Cannabiskonsum zugrunde gehen.  

Tatsächlich geht die Forschung auch heute davon aus, dass zwischen Cannabiskonsum und psychotischen Erkrankungen ein Zusammenhang besteht. Wie dieser Zusammenhang jedoch genau funktioniert, ist bis heute nicht letztgültig geklärt. Sicher ist, dass Anslingers Propaganda diesen Zusammenhang in einer Weise verzerrte, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat. Trotzdem gelang es ihm mithilfe dieser drastischen Angstkampagne, das Cannabisverbot fest im US-amerikanischen Prohibitionssystem zu verankern und es mithilfe der internationalen Drogenpolitik in viele Länder der Welt zu exportieren. Geschädigt hat er damit nicht nur all die Menschen, die seither aufgrund ihres Cannabiskonsums als Kriminelle bestraft, weggesperrt, stigmatisiert und marginalisiert wurden, sondern auch die, die in den vergangenen Jahrzehnten vom medizinischen Nutzen der Hanfpflanze Heilung oder Linderung hätten erfahren können.

Helena Barop

Dr. Helena Barop ist Historikerin und freie Publizistin. In ihrem Buch „Mohnblumenkriege. Die globale Drogenpolitik der USA, 1950-1979“ erklärt sie, warum der War on Drugs gescheitert ist.  

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