https://rotary.de/gesellschaft/carl-faberge-der-faden-zur-vorrevolutionaeren-vergangenheit-a-10220.html
Titelthema: Revolution

Carl Fabergé – der Faden zur vorrevolutionären Vergangenheit

Nach der Revolution galten die Werke des Petersburger Juweliers als Inbegriff von Dekadenz und Verschwendung. Heute erscheinen seine Arbeiten als Ausdruck einer Kultur, die vor allem einen Sinn für Schönheit und Eleganz besaß.

Galina Kornewa01.02.2017

Am 14. Mai 1896 fand die Krönung des Zaren Nikolai II. und seiner Gemahlin Alexandra Fjodo­row­­na statt. Ganz Russland bereite­te sich auf die feierliche Thronbesteigung des Monarchen vor. Jener Tag sollte für die Macht des Landes und den Triumph der Romanow-Dynastie stehen. Schon bald zeigte sich, dass jener Tag auch zu einem Triumph eines russischen Goldschmiedes wurde, der im 21. Jahrhundert wohl als das glorreichste Symbol der vergangenen Epo­che gilt. Dieser Goldschmied hieß Carl Fabergé (1842–1920).

Die Vorbereitungen für die Krönungsfeierlichkeiten haben anderthalb Jahre ge­dauert. Es herrschte ein wahrer Wettbe­werb der Talente in allen Bereichen, darun­ter auch im Schmuckhandwerk – Schmucksachen waren als Auszeichnungen und Geschenke für die Teilnehmer des Zeremoniells gefragt.  

Kunst für die Zarin
Die Analyse der Dokumente des Russischen Staatlichen Historischen Archivs (RGIA) hat gezeigt, dass Carl Fabergé die wohl wich­tigsten Aufträge der damaligen Zeit bekommen hat. So wurde der Goldschmied beauftragt, zwei Anstecknadeln für die Zarenmutter Maria Fjodorowna und für die Kaiserin Alexandra Fjodorowna zu fer­tigen. Die Zarenmutter bekam eine Ansteck­nadel in Form eines Herzens, geziert durch eine Kaiserkrone aus Brillanten mit zwei Miniaturportraits – je eines ihres Sohns Nikolai II. und ihrer Schwiegertochter Alexandra Fjodorowna. Das Schmuckstück hat 10.500 Rubel gekostet, was eine durchaus beträchtliche Summe war – damals lag das Gehalt eines Hofarchitekten bei rund 600 Rubel pro Jahr.

Es darf angenommen werden, dass Nikolai II. persönlich die Form der Ansteck­nadel für seine Gemahlin gewählt hat – eine Rose aus gelben Brillanten. Am 3. Juni 1895 hat der Kaiser eine der vier von Faber­gé vorgestellten Skizzen genehmigt. Die im Archiv entdeckte Rechnung beschreibt genau die Anzahl und Qualität der Brillan­ten sowie die Gesamtkosten dieser Arbeit.

Die Wahl der Blume war kein Zufall. Die Kaiserin Alexandra Fjodorowna, gebürtige Alix von Hessen-Darmstadt, wurde in ihrer Familie wegen ihrer Schönheit „kleiner Sonnenstrahl“ genannt, deshalb war der Vergleich mit einer gelben Teerose durchaus angebracht. Außerdem erinnerte die gelbe Rose der Kaiserin an ihre Lieblingsstadt Darmstadt mit dem prachtvollen Rosarium im Park Rosenhöhe. Ein weiterer Beweis dafür, dass diese Blume eine symbolhafte Bedeutung für die Kaiserfamilie hatte, ist das Fabergé-Osterei von 1895 – das Geschenk zum ersten Oster­fest nach der Hochzeit. Die Überraschung war in Form einer gelben Rose gefertigt. Dieses Osterei befindet sich heute im Fabergé-Museum in Sankt-Petersburg. Was die Anstecknadeln angeht, so ist es durchaus möglich, dass diese Schmucksachen aufgrund jüngster Dokumentenfunde in manch einem Schmuckkästchen auftauchen werden.

Durchbruch als Unternehmer
Carl Fabergé hat außerdem 18 Anstecknadeln in Form einer Krone für die damals in Russland lebenden Großfürstinnen, vier prachtvolle Tabakdosen für vier Großfürsten sowie zahlreiche Geschenke für die Verwandten seiner Gemahlin gefertigt. Es darf behauptet werden, dass kein anderer Goldschmied so viele Aufträge für die lei­tenden Persönlichkeiten des Staates übernehmen durfte.

Nach der Krönung wurde der große Meister immer berühmter. Als 1917 die Revolution ausbricht, leitet Carl Fabergé eine Riesenfirma mit mehreren Hundert qualifizierten Goldschmieden, Künstlern und Designern sowie Vertriebsstellen in vielen Ländern. Leider waren viele Schmuck­sa­chen zu fragil, um die Revolution und zwei Weltkriege zu überleben. Siebzig Jahre lang wurde der Name von Fabergé in Russland kaum erwähnt. Dafür kostet heute jedes kleinste Fabergé-Erzeugnis Unsummen, und viele Sammler träumen davon, eins davon erwerben zu dürfen. Die Fundgeschichten ähneln sich oft einer Detektiv-Story. So galt zum Beispiel die Steinfigur des Kammer-Kosaken Ni­ko­lai Pustynnikow als verlorengegangen. Nach 79 Jahren wurde sie plötzlich auf einem Dachboden in New York gefunden, und 2013 wurde diese Figur bei der Auktion Stair Galleries für 6,435 Millionen US-­Dollar versteigert!

Der dünne Faden der Geschichte
Seit der russischen Revolution sind hundert Jahre vergangen. Vieles wurde seitdem überdacht und umgewertet. Zum Glück wurde dabei auch manch dünner Faden zwischen dem Heute und der glorreichen Vergangenheit der Zarenzeit gezogen: Am 19. November 2013 wurde in Sankt-Peters­burg offiziell das erste private Fabergé-­Museum eröffnet. Es ist die weltgrößte Sammlung an Fabergé-Gegenständen. Fachleute aus der ganzen Welt kommen hierher, um an jährlichen Konferenzen teilzunehmen. Dabei sprechen sie „eine Sprache“ und haben keine Schwierigkeiten, einander zu verstehen.

Galina Kornewa
Dr. Galina Kornewa ist Direktorin für Internationale Beziehungen des Verlags „Liki Rossii“ (Antlitz Russlands) in St. Petersburg. Sie ist Autorin zahlreicher Bücher zur Geschichte Russlands und seiner Beziehungen zu den europäischen Nachbarn. liki-rossii.ru