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Rotary Entscheider

Dänisches Denken für die Hansestadt

Rotary Entscheider - Dänisches Denken für die Hansestadt
Claus Ruhe Madsen hat im ersten Jahr als Oberbürgermeister seine Kompetenz im Krisenmanagement unter Beweis gestellt © Eva Heisenberg

Claus Ruhe Madsen, Oberbürgermeister von Rostock, über offene Türen im Rathaus, sein Engagement für Kinder und sein resolutes Handeln zur Bewältigung der Coronakrise

01.08.2020

Altehrwürdig – das trifft auf die Hansestadt Rostock allemal zu, vor zwei Jahren wurde ihr 800. Geburtstag gefeiert. Ganz neu jedoch und im wahrsten Sinne noch nie da gewesen: Das Stadtoberhaupt stammt aus Dänemark und ist eigentlich Unternehmer. Keine deutsche Großstadt hatte bisher einen Bürgermeister, der jenseits der Landesgrenzen geboren wurde. Vor knapp einem Jahr trat Claus Ruhe Madsen das Amt an und bringt nun seine skandinavische Denkweise in die Stadt an der Warnow.

Sie leben seit mehr als 20 Jahren in Rostock. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Ich wohnte damals im Ruhrgebiet und wurde gefragt, ob ich nicht hier oben einen Möbelladen eröffnen wollte. Ich kannte die Stadt nur wegen Hansa Rostock, hatte aber große Lust auf ein neues Bundesland. Und wenn man erst mal hier lebt, stellt man schnell fest, dass es viel Vergleichbares mit Dänemark hat. Man braucht ein bisschen Zeit, um Menschen kennenzulernen, aber wenn man drin ist, wird es sehr verbindlich.

Ihr erstes Jahr im Amt als Oberbürgermeister ist fast geschafft. Was ist Ihr vorherrschendes Gefühl?

Es war intensiv – ein unglaublich gefülltes, interessantes, umwerfendes Turbo-Jahr. Am Anfang ist man überfahren, weil alles neu und spannend ist, ich war jeden Tag in einer neuen Welt, musste alles kennenlernen. Doch dann kam Corona, da war Krisenmanagement gefragt und zur gleichen Zeit auch schon Management für die Zeit danach, um wieder zur Normalität zurückzufinden. Dazu kommt die ernüchternde Feststellung, dass wir im Haushalt wahrscheinlich um Jahrzehnte zurückgeworfen sind – egal ob privatwirtschaftlich oder kommunal.

Subjektiv betrachtet hat Rostock die Krise relativ gut bewältigt. Was meinen Sie?

(zögert) Ich war ein bisschen überrascht, in welcher Hinsicht der Staat nicht gut vorbereitet war. Wir sehen, dass Globalisierung einige Überraschungen mit sich bringt, auf die man nicht so gut eingestellt war. Und man konnte ja auch nicht wissen, was geschieht, wenn plötzlich alles stillsteht. Rostock hat es sehr gut durch die Krise geschafft. Aber leider ist Corona nur die erste Welle – die Rezession ist die zweite und die Umwelt die dritte. Das ist für mich eine viel stärkere Herausforderung. Zuerst ging es um schnelle Entscheidungen, um Leben und Tod. Jetzt geht’s ums Überleben, und später, wenn die Umwelt Thema ist, um das Leben an sich.

Schon beim allerersten Rostocker Coronafall Mitte März haben Sie sofort die Schließung aller Schulen, Kitas und Ämter angeordnet, auch Sport- und Kultureinrichtungen durften nicht mehr öffnen. In diesem Moment wirkten Sie sehr besorgt.

Das stimmt absolut. In der Krisensitzung hatte ich erfahren, dass wir nur noch für 20 Tage Desinfektionsmittel haben, um Rettungswagen zu reinigen, und kaum noch Einweg-Schutzanzüge. Wir wussten, wie viele Tage vergehen würden, bis wir entscheiden müssen, wer in unsere Kliniken darf und wer nicht – das sind Momente, in denen klar wird: Wir müssen resolut handeln und nicht nach anderen Konsequenzen fragen. Wir müssen Verwaltung, Vorschriften und Bürokratie über den Haufen werfen.

Ich habe auch ein Konzert mit 5500 Besuchern abgesagt. Es gab keine Verordnung zu Großveranstaltungen, das musste ich entscheiden. Wir waren sehr mutig, und ich bin überzeugt, dass wir nicht nur für Rostock, sondern für das Land insgesamt etwas Schlimmes verhindert haben. Wir blieben lange bei sechs Infektionen – es schien also, dass der Lockdown was nützt. Aber ein festgelegtes Drehbuch gab es nicht, wir haben jeden Tag neu abgewogen. Und nachts habe ich nur im Zehn-Minuten-Takt geschlafen.

Ende April haben Sie Rostock zur ersten Corona-freien Großstadt erklärt – was war mit diesem Signal beabsichtigt?

Manche Leute fanden es gefährlich, aber der Gedanke war: Die vielen schlechten Nachrichten haben uns immer weiter in den Keller getrieben – da sollte es auch mal eine gute geben. Denn jetzt geht es um den Glauben an ein Morgen, an die Selbstverantwortung. Ich bekam jeden Abend vom Gesundheitsamt die Zahl der Coronapatienten. Und seit dem 9. April hatten wir zwei Wochen lang keine Neuinfektionen, niemanden in der Klinik oder in Quarantäne – das war ein echtes Glücksgefühl. Ich wollte das mit den Rostockern teilen. Dann rief ganz Deutschland an und hat sich gefreut: endlich mal eine positive Nachricht! Mir war klar: Sollte sich am Abend herausstellen, dass wir 44 neue Erkrankungen haben, bin ich fällig. Aber so war’s nicht, und es blieb fast zwei Wochen lang stabil.

Wie geht es jetzt weiter?

Wir wollen aus der ersten Welle lernen, denn gebrannter Boden ist fruchtbarer Boden. Damals hatten wir zum Beispiel Mühe, genügend Laptops zu besorgen, um möglichst viele Mitarbeiter der Stadtverwaltung mobil arbeiten zu lassen. Nun müssen die Amtsleiter entscheiden, was sie brauchen – ob sie Gummistiefel oder Schiffe bestellen. Wenn sie später nur Gummistiefel haben und das Wasser steigt weiter, müssen sie erklären, warum sie keine Schiffe besorgt haben.

Und wir wollen viele Menschen weiter mobil arbeiten lassen. Dann könnten wir vielleicht zehn oder 20 Prozent Büromieten, Energie und Pendelverkehre einsparen. Wir wollen auch sehen, wie sich Schulen, Firmen und öffentliche Gebäude besser auf eine eventuelle zweite Welle vorbereiten können.

Es sieht manchmal so aus, als habe man in Rostock diese Krise besser bewältigt als anderswo. Sehen Sie das auch so?

Ich gucke nur bis zur Stadtmauer (lacht). Nein, ich würde mir nie ein Urteil über andere Städte erlauben. Aber ich weiß, dass wir hier alles getan haben – auch gegen Widerstände und mit eigenen Methoden.

Sie selbst sind eigentlich kein Politiker, kommen auch nicht aus der Verwaltung. Ist das als Oberbürgermeister eher gut oder eher schlecht?

Ich glaube, es kommt auf den Menschen an. Bei uns in Rostock ist der Bürgermeister der Chef der Stadtverwaltung – und ich habe etwas unterschätzt, wie viel Verwaltung in dem Job steckt. Ich dachte, es wäre mehr Gestaltung. Aber wir lernen uns kennen, die Verwaltung und ich. Und vielleicht kann ich ein bisschen von dem einführen, wie es in Dänemark ist: Dort fragt man sich, wie es der Bürger gern hätte. Im Rathaus sind die Türen offen, Leute laufen herum, es gibt eine Kinderspielecke. Ich möchte auch in Rostock mehr den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Wir wollen Smile City werden im Hinblick auf Verkehr, Nachhaltigkeit, Verwaltung – menschenfreundlich eben.

Es ist sicher auch ein Wagnis, vom Unternehmer zum Bürgermeister zu werden. Gab es Erfahrungen, mit denen Sie nicht gerechnet hätten?

Ja. Ich glaube, ich war ein bisschen naiv, worauf ich mich eingelassen habe. Aber es ist schön so, ich springe gern ins Wasser und stelle fest, ob ich schwimmen kann. Ich hätte zum Beispiel nicht erwartet, dass der OB so eine starke Aufmerksamkeit bekommt.  Das Merkwürdigste ist, dass ich nicht mehr Claus bin, so wie mein Leben lang. Jetzt bin ich auf einmal Herr Madsen oder Herr Oberbürgermeister, egal ob ich im Anzug oder in der Badehose unterwegs bin.

Negativ empfinde ich, dass so viel auf allem herumgehackt wird. Positiv sind besonders Termine in Kindergärten – das ist ein echter Energie-Tanker, wenn ich meine kleinen Bürgerinnen und Bürger treffe, wenn sie mir Bilder malen, erzählen, Fragen stellen. Da bekomme ich gute Laune.

Konnten Sie in diesem ersten Amtsjahr alle Vorstellungen durchsetzen?

Manches schiebt man an, aber dann dauert es einfach, bis es sichtbar wird. Es ist ein 24-Stunden-Job, und ich schaffe manchmal nicht alles, was ich mir vorgenommen habe. Aber ich fahre stolz nach Hause, kein Tag ist wie gestern. Ich bin gern fröhlich, aber ich denke über alles extrem viel nach. Denn ich weiß aus meiner Zeit als Unternehmer: Ich muss jeden Abend alles dafür tun, dass es morgen so wird, wie wir es uns vorstellen. Das kann man ja nicht dem Schicksal überlassen.

Sie sind Rotary-Mitglied im RC Warnemünde. Inwieweit sind Sie dort aktiv?

Ich bin seit vielen Jahren dabei, war oft für Praktisches zuständig, war Clubsekretär und irgendwann auch Präsident. Dann wurde ich gleichzeitig Präsident der IHK, und es wurde sehr schwer, alles unter einen Hut zu bekommen. Deshalb habe ich ein wenig mit der Anwesenheitsquote zu kämpfen. Aber ich war schon immer der Meinung, einen Rotarier misst man nicht an seiner Anwesenheit, sondern an seinem Tun. Ich bin für viele Projekte ehrenamtlich unterwegs, organisiere zum Beispiel seit ein paar Jahren ein Radrennen zugunsten schwerstkranker Kinder. Oder wir musizieren in Kitas, wo die Kinder sonst eher nicht in die Nähe eines Instruments kommen. Und zu guter Letzt ist Rotary ein starkes Netzwerk, mit dem man gemeinsam etwas für die Gesellschaft bewegen kann.

Das Gespräch führte Dörte Rahming.