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Titelthema

Das Gefühl der Hoffnung

Titelthema - Das Gefühl der Hoffnung
Mariam Lau ist Redakteurin im Politikressort der Wochenzeitung Die Zeit. Die gebürtige Iranerin machte zunächst eine Ausbildung zur Krankenschwester und studierte später Amerikanistik. © Phil Dera

Was im Sommer 1980 in Teheran begann, wird sein Ende finden.

01.01.2023

Es ist beschämend lange her, dass ich zum letzten Mal im Iran war. Im Sommer 1980 – damals noch in der Ausbildung zur Krankenschwester – fuhr ich mitten hinein in die islamische Revolution, um meinen Vater Bahman Nirumand zu besuchen. Er war einige Monate zuvor aus dem deutschen Exil in seine persische Heimat zurückgekehrt. Wegen der Dinge, die in jenem Sommer geschahen, habe ich mich bis heute nicht mehr getraut, hinzufahren.


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Wie viele seiner Altersgenossen aus der Opposition gegen den 1979 verjagten Schah hatte auch mein Vater gehofft, Revolutionsführer Ajatollah Chomeini würde ein Einsehen haben und säkularen Kräften wie ihm die Macht übergeben. Mit diesem folgenschweren Missverständnis war mein Vater nicht allein: Der damalige US-Präsident Jimmy Carter soll Chomeini für eine Art Gandhi gehalten haben.

Aber das Regime der Mullahs zeigte der Welt sehr schnell, dass sie die Revolution nicht nur als Fanal gegen den US-Imperialismus verstanden wissen wollten, so wie Linke wie mein Vater oder der französische Philosoph Michel Foucault sie sahen. Sie meinten es ernst: Wo Islam draufstand, sollte wirklich Islam drin sein. Die Bilder, die wir jetzt in diesen Tagen sehen – von jungen Menschen, die für ihren Kampf um Befreiung in aller Öffentlichkeit qualvoll am Galgen hängen –, das hat damals begonnen.

400 Menschen verbrannten 1978 im „Cinema Rex“ in der Stadt Abadan – eine Tat, die Chomeinis Anhänger zwar zunächst dem Geheimdienst des Schahs in die Schuhe schoben. Kurz nach der Revolution aber verdichteten sich die Hinweise, dass die Täter im Auftrag hoher Geistlicher gehandelt hatten – der Hass auf das Kino westlicher Prägung würde in jedem Fall ins Profil passen.

Als ich im Sommer 1980 auf dem Flughafen ankam, nahmen mir die Beamten zur Begrüßung meinen deutschen Pass ab. Wozu brauchte ich den, wenn mein Vater doch Iraner war?

Die Stimmung in Teheran war aufgewühlt: Die US-Botschaft war seit November 1979 besetzt, Hunderte von amerikanischen Geiseln hingen seit Monaten fest. Abends im Fernsehen sah man Verzweifelte mit schwachen Stimmen Geständnisse herauspressen; aus zahllosen Lautsprechern schallten permanente Aufrufe zum Gebet oder Klagen im immergleichen Jammerton.

Mein Vater und ich kauften uns riesige Wassermelonen, tranken abends in der Küche Whiskey und lachten, bis die Tränen kamen. Aber es war eher so eine Art Hysterie, Fassungslosigkeit, nicht wirklich echter Spaß. Einmal gingen wir miteinander durch einen Park und ich fasste ihn im Gespräch am Arm – er wurde blass und zischte: „Nicht anfassen!“ Da habe ich wirklich verstanden, dass etwas Grauenhaftes passieren würde, und dass er wirklich in Gefahr war. Kurze Zeit später ging er in den Untergrund, nachdem etliche seiner Freunde bereits hingerichtet worden waren. Zwei Jahre schlief er in immer neuen Unterschlüpfen, bis er schließlich 1982 bei Nacht und Nebel mit einem Drogensüchtigen als Guide über die afghanische Grenze zurück ins Exil floh.

Sich gleichende Schicksale

Seine damalige Frau, Nasrin Bassiri (meine Eltern waren da bereits seit Jahren geschieden), hielt länger durch. An ihr Schicksal muss ich oft denken, wenn ich dieser Tage die Bilder von den iranischen Frauen sehe, die sich todesmutig den Hidschab vom Kopf reißen. Damals im Sommer transportierte sie im Kofferraum ihres alten Autos Flugblätter, in denen Frauen aufgefordert wurden, sich nicht aus der Öffentlichkeit vertreiben zu lassen, ihren Platz an den Unis zu fordern, auf gute Jobs zu bestehen. Wenn ich mich recht erinnere, waren damals schon gelegentlich weiße Toyotas der Moralpolizei unterwegs, die Frauen auf der Straße anhielten, ihnen den Lippenstift aus dem Gesicht wischten oder die Hosenbeine abschnitten. Auch Nasrin musste nach ein paar Jahren kapitulieren und lebt seither in Berlin – ohne hier jemals heimisch geworden zu sein.

In diesen Tagen erlebe ich sie zum ersten Mal seit langer Zeit voller Hoffnung. Spätestens in dem Moment, als 16-jährige Schülerinnen anfingen, ohne Hidschab auf die Straße zu gehen, war klar: Selbst wenn das Regime die Flammen dieses Mal wieder erstickt – der Anfang vom Ende der Islamischen Republik ist eingeleitet. Es gibt kein Zurück mehr.

Mariam Lau