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Das Schnitzel von der Fensterbank

Titelthema - Das Schnitzel von der Fensterbank
© ed/ce/cultured beef website/camera press/laif

Fleisch aus dem Labor ist eine der Visionen für eine klimafreundliche Ernährung in Zeiten der Überbevölkerung. Doch noch liegt es nicht auf dem Teller. Einige technische und gesetzliche Hürden sind noch zu nehmen.

Jörn Kabisch01.07.2019

Auf einer Speisekarte findet man es schon: Eisbäreis, ein gestricktes Steak oder die „Friendly Foie Gras“, moralisch einwandfreie Gänsestopfleber, die sich aus dem Spender aufs Baguette drücken lässt. Ziemlich futuristisch ist das, und tatsächlich hat das niederländische „Bistro in Vitro“ bislang nur eine Filiale im Internet. Auf der Website wird man in eine große Fantasie willkommen geheißen, wie Fleisch aus dem Labor einmal unsere Ernährung und Esskultur umstülpen könnte. Vieles wirkt, als gäbe es das alles schon, das Sorbet aus künstlich hergestelltem Eisbärfleisch oder das Steak, das aus einem Gewebe unendlich langer Muskelfasern besteht – der 3D-Drucker könnte es möglich machen. Schon 2014 ist es online gegangen, doch noch immer sucht man vergeblich eine Möglichkeit, in diesem Restaurant auch zu reservieren. Künstliches Fleisch ist bislang mehr oder weniger Traumnahrung geblieben. Rechnet man die Dutzenden Millionen Dollar um, die bisher in seine Entwicklung geflossen sind, ist es wahrscheinlich sogar das teuerste Lebensmittel der Welt.

Wie bekommt man alle satt?
Aber dennoch gehört Fleisch aus dem Labor zu den Visionen für die Ernährung der Zukunft. 2050, so sind sich Bevölkerungsexperten einig, wird die Menschheit auf über zehn Milliarden angewachsen sein, das ist fast ein Viertel mehr als heute. Wie bekommt man all diese Leute satt? Die Vereinten Nationen prognostizieren, dass bis dahin die Lebensmittelproduktion nahezu verdoppelt werden muss. Aber um gleichzeitig das Klima und die Umwelt zu schonen, müssen neue Nahrungsressourcen gefunden und neue Technologien zur Lebensmittelherstellung entwickelt werden, und wir müssen wahrscheinlich auch unsere Essgewohnheiten ändern.

Fleisch wie überhaupt tierische Erzeugnisse spielen dabei eine zentrale Rolle. Ihre Produktion ist die mit Abstand klimaschädlichste, der Konsum nicht nur deswegen moralisch umstritten, er gilt vielen inzwischen auch gesundheitlich bedenklich – Stichworte dafür sind Tierwohl, Massenstall, Antibiotikaeinsatz. Und doch ist Fleisch das Symbol schlechthin nicht nur für die westliche Art zu essen, sondern weltweit für die Ernährung von Menschen, die es zu Wohlstand gebracht haben. Und der breitet sich aus, in China, in Indien, auch in Teilen Afrikas. Überall dort kommen die Menschen gerade erst so richtig auf den Geschmack. Die Fleischfrage wird deshalb zu einer Überlebensfrage, nicht weil es zu wenig davon gäbe. Sondern weil es zu viel wird.

Schon der englische Premier Winston Churchill fragte, ob es nicht einfacher ginge, als ganze Tiere auf die Weide zu stellen, sie über Jahre zu hüten und anschließend zu töten, wenn doch nur bestimmte Teile auf den Tisch kämen. Heute antworten Biotechnologen: Ja, natürlich. Wir nehmen keine ganze Kuh, sondern nur eine Muskelzelle aus ihrem Körper und vervielfältigen sie auf einem Nährboden im Labor milliardenfach. Es ist Fleisch, das fast so wächst wie Gemüse.

Fleisch auf Knopfdruck
Ein Schnitzel, das sich ernten ließe wie das Basilikum auf der Fensterbank? Was für eine spinnerte Idee! Und doch eine, die Geldgeber anzieht. Da wäre zum Beispiel die Firma „Supermeat“. Das Start-up aus Israel startete 2016 eine Crowdfunding-Kampagne für die Entwicklung eines Bioreaktors, nicht größer als ein Kühlschrank, der Hühnerfleisch produziert und auf Knopfdruck ausspuckt. Einen Bauplan gab es noch nicht, aber das Gerät, so warb das Video, „lasse sich in Supermärkten, Restaurants oder sogar in Privatwohnungen aufstellen“. Supermeat warb in nicht einmal zwei Monaten 100.000 Dollar und anschließend bei größeren Investoren noch einmal drei Millionen ein. Doch Supermeat ist nicht das erste Start-up. Seit 2013 erstmals ein künstlicher Burger der Öffentlichkeit unter viel Pomp in London präsentiert wurde, finden sich Geldgeber. Damals hatte ein Forscherteam um den niederländischen Pharmakologen Mark Post fast zehn Jahre an der Entwicklung der Hightech-Frikadelle getüftelt, unterstützt vom Google-Gründer Sergej Brin. In den vergangenen zwei Jahren sind klingende Namen wie Bill Gates oder Richard Branson dazugekommen.

Ersatz auch für Leder und Eier
„Cultured meat“, „Clean meat“ oder auf Deutsch „In-vitro-Fleisch“: Das sind die Schlagworte, mit denen junge Biotechnologie-Firmen um Investoren werben. Und alle behaupten, es sei nur noch ein kleiner Schritt, bis Fleisch, Fisch, Eier oder Milch aus dem Labor auf dem Markt landen. Auch an künstlichem Leder wird bereits geforscht. Ebenso an der freundlichen Foie Gras – nicht in Frankreich, sondern in den USA, bei dem Biotech-Unternehmen „Just“.

Die In-vitro-Metzger haben zwar auch den moralischen Vorteil im Auge, dass für ihr Fleisch kein Tier leiden muss. Sie argumentieren aber vor allem mit dem Klima. Denn heutzutage entfallen fast 15 Prozent der weltweiten Treibhausgas emissionen auf die Nutztierproduktion – mehr als weltweit durch Verkehr entsteht. Mit Fleisch aus dem Bioreaktor lasse sich der Energieverbrauch um bis zu 45 Prozent zurückdrehen, bei Emissionen, dem Verbrauch an Flächen und Wasser seien Einsparungen um mehr als 95 Prozent möglich, sagen sie. Wissenschaftler, die diese Prognosen überprüft haben, sind da weit skeptischer, es ist aber derzeit noch unmöglich, belastbare Zahlen zu generieren oder wenigstens plausible Hochrechnungen anzustellen. Ein weiteres Argument, vor allem in den USA, ist das gesundheitliche. Denn dort steht der Antibiotikaverbrauch in der konventionellen Tierhaltung in der Kritik. Die In-vitro-Unternehmen werben damit, ihr künftiges Produkt sei ohne solche Hilfsmittel sauber und hygienisch, eben echtes „clean meat“.

Weltweit sind es etwa eine Handvoll Start-ups, die sich mit dem Thema beschäftigen. Sie sitzen vor allem in den Vereinigten Staaten und Israel. In den USA heißen sie Memphis Meat, Just oder Mission Barns, in Israel sind es beispielsweise Aleph Farms oder Supermeat. In Europa liegt der Hotspot mit Meatable und Mosa Meat in den Niederlanden. Die Firmen sitzen überall dort, wo auch Forschung ihren Schwerpunkt hat, Israel beispielsweise ist seit Jahrzehnten in der Agrartechnologie ein Vorreiter. In den Niederlanden sitze inzwischen aber die größte wissenschaftliche Community für In-vitro-Fleisch, heißt es bei Mosa Meat. Das ist die Firma, die Mark Post nach der Burger-Präsentation gegründet hat.

In Deutschland dagegen gibt es bisher nur Anfänge. Von sich reden gemacht hat vor allem die PHW-Gruppe (Wiesenhof), sie hat sich vor zwei Jahren an Supermeat beteiligt. „Wir sehen dies als Beginn einer strategischen Partnerschaft“, sagte PHW-Chef Peter Wesjohann 2018 bei der Bekanntgabe. Man wolle Supermeat vor allem bei der Positionierung auf dem europäischen Markt beraten. Und jüngst hat sich ein Fraunhofer-Institut in Lübeck ein spezielles Verfahren für Zellvermehrung patentieren lassen. Experten sehen den Hauptgrund, warum Europa und vor allem Deutschland hinterherhinken, in der fehlenden Vernetzung zwischen Wirtschaft und Wissenschaft. Zudem werden die Hürden für die Zulassung als Lebensmittel in der EU als wesentlich höher eingeschätzt als etwa in den Vereinigten Staaten. Dort gibt es verschiedene Zuständigkeiten auf Bundes- und Landesebene, in Europa muss für das Laborfleisch, das als „Novel Food“ gilt, bei der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA die gesundheitliche Unbedenklichkeit mit wissenschaftlichen Studien nachgewiesen werden. Am Ende wird politisch entschieden, durch die EU-Kommission. Mosa Meat beispielsweise rechnet mit mehreren Jahren, bis ihr Fleisch auf den Markt darf.

Künstlichem Fleisch fehlt „Fitness“
Bis dahin sind die Biotechnologen noch mit großen anderen Herausforderungen konfrontiert. Eine davon: Fleisch ist ein komplexes Gebilde und besteht aus Muskelzellen, Sehnen, Fett und Kollagenen, die in einer dreidimensionalen Struktur aufgebaut sind. Diese Vernetzung zu organisieren, sodass am Ende mehr als Hackfleisch entsteht, stellt die Wissenschaft vor Probleme. Außerdem spiegelt sich im Fleisch heute noch das Leben und die Bewegung des Tieres, es macht einen Teil der Fleischigkeit und den Biss aus. In der Forschung wird sogar versucht, das mit Elektroreizen zu imitieren, das künstliche Fleisch kommt im Labor gewissermaßen ins Fitnessstudio.

Auf der Suche nach einem ethisch korrekten Nährmedium
Das größte Problem ist noch das Nährmedium, in dem das Fleisch heranwächst. Damit sich die Zellen im Labor teilen und vervielfältigen, ist man in großer Zahl auf Wachstumshormone angewiesen. Quelle dafür ist bislang Kälberserum, das aus den Föten geschlachteter schwangerer Kühe gewonnen wird. Aus tierethischer Sicht ist dies hoch bedenklich, weil wahrscheinlich auch Föten zu diesem Zeitpunkt bereits Leid empfinden. Experten hoffen, das Kälberblut durch Algen ersetzen zu können. Andere Forschungsansätze arbeiten mit Bakterien oder pflanzlichen Nährböden. Solche Verfahren sind aber bisher nicht ähnlich effizient und drehen an der Klimabilanz wie an der Kostenschraube. Gerade hier ist noch ein weiter Weg zu gehen. Die In-vitro-Unternehmen wissen, auf dem Markt wird ihr neues Produkt nur Bestand haben, wenn es nicht nur im Geschmack, sondern auch beim Preis mit konventionellem Fleisch mithalten kann. Das 250.000-Dollar-Patty von Mosa Meat kostet übrigens nur noch 10 Dollar.

Jörn Kabisch
Jörn Kabisch ist freier Food-Journalist und Autor des Buches „Mit Herd und Seele“ (Piper 2018). Seit etwa zwei Jahren beschäftigt er sich mit der technologischen und digitalen Revolution im Ernährungsbereich, der New Food Economy. tabldoot.de