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Schwerpunkt 100. Katholikentag

Den Menschen im Mittelpunkt sehen

Die Chance, Leuten zu begegnen, die man sonst nie trifft

Manuel Herder30.04.2016

Der 85. Deutsche Katholikentag war für mich ein besonderer: Es war mein erster und er fand auch noch zuhause in meiner Heimat in Freiburg statt. Das Motto „Ich will euch Zukunft und Hoffnung geben“ ist für mich bis heute mit einem Gesicht verknüpft: mit dem von Mutter Teresa. Ich war zwölf Jahre alt und durfte den „Engel der Armen“ begrüßen, durfte in die Augen der Heiligen blicken. Und ich weiß noch, dass ich ihr damals mein Lieblingskuscheltier für arme Kinder in Indien geschenkt habe und dabei das Gefühl hatte, wenigstens meinen kleinen, bescheidenen Beitrag geleistet zu haben, um anderen „Zukunft und Hoffnung“ zu geben.

Die Begegnung mit Mutter Teresa hat mich zutiefst berührt und war zugleich eine Vorgeschmack auf das, was Katholikentage für mich ausmachen: die Chance, Menschen zu begegnen, die man sonst nie treffen würde. So viele Gespräche, die mich beeindruckt haben, mit Lesern, Autoren oder auch ganz Fremden. Ich erinnere mich an  eine Ordensschwester, die ein großes Herz für die Ökumene hatte. In einer Diskussion lächelte sie mich an und fragte: „Ja, glauben Sie denn wirklich, dass Jesus römisch-katholisch war?“ oder auch der lapidare Hinweis „Der liebe Gott hat keinen Terminkalender“ und die damit verbundene Aufforderung, sich Zeit zu nehmen für sich selbst, für andere und für Gott – dafür könnte es kaum eine bessere Gelegenheit geben als den Katholikentag.

15 Katholikentage später
Heute, 38 Jahre später, ist die Persönlichkeit Mutter Teresas noch immer präsent. Ganz besonders auch deshalb, weil Papst Franziskus sie am 4. September dieses Jahres offiziell heilig sprechen wird. Für ihn ist der Engel der Armen ein sichtbares Symbol – eine Ikone – der christlichen Barmherzigkeit und so stellt er sie der Kirche als Beispiel, als Vorbild zu diesem Heiligen Jahr der Barmherzigkeit zur Seite.

Mutter Teresa war ein Mensch! Einer der wenigen Menschen, von denen man sagen kann: „Sie hat sich ganz den Menschen hingegeben“. Sie hat – manchmal wohl auch verzweifelt – in den Menschen Gott gesucht. Die Suche nach Gott trieb sie um. Heute wissen wir auch, dass sie oft gezweifelt hat und trotz alledem nicht abgewichen ist von ihrem Weg. Sie schaute den Einzelnen an und ich bilde mir ein, dass sie es mit dem gleichen Blick in Kalkutta tat, wie sie mich anschaute, damals, als ich als Kind ihr in Freiburg begegnete.

Als Motto des 100. Katholikentag wurde ein Spruch aus dem Johannesevangelium gewählt: Ecce homo – Siehe, der Mensch. Papst Johannes Paul II. nahm sich das Wort des Pilatus immer wieder als Meditationsgrundlage. So sagte er vor Universitätsprofessoren: „Als Pilatus der aufgebrachten Menge das geschundene Antlitz Christi zeigte, ahnte er nicht, dass er sich in gewisser Weise zur Stimme einer Offenbarung machen würde. Ohne es zu wissen, zeigte er der Welt denjenigen, in dem jeder Mensch seinen Ursprung erkennen kann und von dem sich jeder Mensch das Heil erhoffen darf. Der damalige Papst erinnert uns daran, dass wir Christen in dieser Offenbarung leben. In der Offenbarung, dass Gott Mensch wurde und unter uns gelebt hat. Gelegentlich hatte ich die Chance, Johannes Paul II. persönlich zu begegnen und Bücher zu überreichen. Nicht zuletzt der Band über Mutter Theresa. Er nahm ihn, las die Titelformulierung auf Deutsch laut vor, schaute in die Runde, sah mich an und sagte laut: „Gut!“

Amoris Laetitia – Ecce homo
Mittlerweile haben wir auch viele Texte von Papst Franziskus veröffentlicht: seine Reden, seine Enzykliken und Bücher aus seiner Zeit in Argentinien. Als ich ihm zwei Wochen nach seiner Rede in Straßburg den fertigen Band seiner Reden überreichte, nahm er ihn erstaunt entgegen, las den Titel „Europa, wach auf!“ laut auf Deutsch vor und fragte: „Schon fertig?“ Wenn es darum geht, eine Enzyklika, oder aktuell ein nachsynodales Schreiben, der Weltöffentlichkeit vorzustellen, dann beginnt eine hektische eine „geladene“ Zeit. Was zunächst über Monate Zeit zu haben schien, muss plötzlich innerhalb von Tagen veröffentlicht werden. Bei uns im Verlag warten wir auf den Moment, in dem wir den Text vor uns haben.

Was steht drin? Wann bekommen wir den Text, wann können wir damit beginnen, ihn zu lesen, wann starten die Kollegen mit dem Stichwortverzeichnis, wie lange brauchen wir bis zum Druck? Obwohl ich als Verleger auch dieses Mal bei „Amors Laetitia“, dem aktuellen Schreiben zu Liebe in der Familie auf das Produkt und den Erfolg achten musste, geschah doch etwas Besonderes: Ich kam selbst von diesem Text nicht los. Zwar bin ich es ja schon gewohnt, dass der Papst mich überrascht – aber dieses Mal? Franziskus nimmt in diesem Text die Heilige Schrift als Anfang zu seinen Ausführungen – wie Johannes Paul II. – zur Begründung seiner Sorge um das Wohl des Menschen, aus der sich die Verbindung zwischen Mensch und Gott, die Verbindung zwischen dem Menschen und der Schöpfung ableiten lässt.

Der Papst erinnert uns: Du bist Mensch, Geschöpf Gottes, Ebenbild Gottes und deshalb ist dein Handeln wichtig für die Schöpfung. Wenn also in diesem Jahr das Motto des Katholikentages das „Ecce homo“ ist, dann denke ich an Johannes Paul und im besonderen Maße an die bald heiliggesprochene Mutter Teresa von Kalkutta und Papst Franziskus. Ich denke aber auch an Benedikt XVI. und seinen Satz „Wer glaubt, ist nie allein“. Dass daraus ein Buch wurde, mag nicht verwundern, immerhin haben wir rund 52 Titel von Benedikt XVI./Joseph Ratzinger verlegt.

Auf die Frage, wie viele Wege es zu Gott gibt, antwortete Benedikt XVI.: „In etwa so viele wie es Menschen gibt“. Siehe der Mensch – Ecce homo. Auch der diesjährige Katholikentag wird wieder ein Fest der Begegnung werden. Wer Freude am Pathos hat, freut sich an Johannes Paul II., wer Freude an Theologie hat, freut sich an Benedikt XVI. und wer Freude am Wandel hat, freut sich an Franziskus. Wer Freude an Menschen hat, freut sich auf das Miteinander im Glauben.